Süd/Südwest. .

Lina Vieres traut sich was. Die 28-jährige Biologiestudentin trat vor wenigen Wochen in die Fußstapfen ihres verstorbenen Vaters Peter Vieres, Mitbegründer der Harpener Walderlebnisschule. „Das ist eine wunderbare Möglichkeit, um der Welt etwas von sich mitzugeben“, sagt die neue zweite Vorsitzende des Fördervereins Lernort Natur, die auch die pädagogische Leitung übernahm. „Wir wollen vor allem Kindern und Jugendlichen Impulse geben, sich etwas zu trauen, sie selbst zu sein. Die Natur ist dafür ein wunderbares Medium.“

Die Walderlebnisschule liegt am Rande eines Naturschutzgebietes im Berghofer Holz und bietet Führungen für Schulklassen und Kindergärten, Seminare und Spiele für Jung und Alt an, u.a. über die Familienbildungsstätte. Am Wochenende feierte der Förderverein Lernort Natur nach monatelangen Renovierungsarbeiten nun die Wiedereröffnung.

„In Bochum ist so ein Ort einmalig“, freut sich Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz. Jochen Borchert, ehemaliger Landwirtschaftsminister und Ehrenpräsident verschiedener Jägerverbände, bedauert, dass junge Menschen auf Distanz gingen zum Wald, und diesen für unantastbar hielten. Dies sei eine „Schieflage des Naturbildes“: „Sie verkennen die Rolle des Menschen als Teil der Natur.“ Dazu gehöre es, Wald und Tiere zu pflegen und zu nutzen. „Die Jugend soll die Natur wieder entdecken.“

„Im Wald duzen wir uns“, empfängt der erste Vorsitzende Werner Zalisz die Besucher. Zum Vornamen kriegt jeder einen Tiernamen, passend zum Anfangsbuchstaben. Also: Ilona Igel, Felix Fuchs, Rita Reh. Handys, Müll und Zigaretten sind auf den Waldspaziergängen tabu. „Die Kinder finden das großartig hier“, schwärmt Volker Neuhoff, Biologie-Lehrer an der Nelson-Mandela-Schule in Langendreer. „Und wer mit Stöckelschuhen in den Wald geht, zieht beim nächsten Mal freiwillig Gummistiefel an.“

Nur wenige Meter von der Walderlebnisschule entfernt wohnt Carmen Stog (45). Sie sieht Zalisz regelmäßig mit Gästen durchs Grün stapfen, Steine umdrehen, Käfer in die Hand nehmen. „Wir unterstützen die Idee sehr. Es ist so wichtig, schon ganz früh mit der Natur Erfahrungen zu sammeln“.

„Im Wald sind sogar die Kleinsten mucksmäuschenstill“, erklärt die Jägerin Ursula Vierhaus (61). „Sie lauschen – dann hören sie das Vogelgezwitscher.“ An die beruhigende Kraft der Natur glaubte auch Peter Vieres und entwickelte vor sieben Jahren mit einem kleinen Team die „Waldstadt Ritalin“. Diese bietet eine Alternative zu dem gleichnamigen Medikament, das immer mehr Kinder erhalten, die möglicherweise am sogenannten Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) leiden. Der Aufenthalt und die Beschäftigung mit der Natur sollen sich positiv auf die Konzentrationsfähigkeit und das Wohlbefinden dieser Kinder auswirken.

Drei Waldpädagogen und vier Natur- und Landschaftsführer gestalten mittlerweile das Programm der Walderlebnisschule, für das sich immer mehr Schulen und Kindergärten begeistern. „In meiner Arbeit begegne ich oft Kindern, die es nicht einfach haben“, sagt Vieres. Notendruck, sozialer Druck, Familienzwist belasten sie. „Wenn sie zu uns kommen, fragt niemand, woher sie kommen. Sie können sich einfach ausprobieren.“