Bochum. Nach einem schweren Autofall steht eine Patientin des Bergmannsheil wieder mitten im Leben: eine von vielen Erfolgsgeschichten der Bochumer Uni-Klinik.

Warum? Sonja Graßkemper findet bis heute keine Erklärung. Ihr fehlt jede Erinnerung an jene Horrorminuten des 25. Juni 2010, als sie auf der Heimfahrt von der Arbeit mit ihrem Opel Vectra gegen einen Straßenbaum krachte. Bei bestem Wetter. Bei freier Sicht. „Ich muss das Bewusstsein verloren haben. Warum? Ich weiß es nicht“, grübelt die 30-Jährige. Bis heute, fast fünf Jahre nach dem verheerenden Unfall, wird sie im Bergmannsheil behandelt: als eine von täglich 170 Reha-Patientinnen und -Patienten.

1890 als erste Unfallklinik der Welt eröffnet (seinerzeit für verunglückte Bergleute), ist das Berufsgenossenschaftliche Uni-Klinikum auf die Versorgung von Unfallopfern spezialisiert. Die Rehabilitation mit jährlich 7000 stationären Patienten zählt gleichfalls zu den Fachgebieten des Krankenhauses. Die Leidens-, aber auch Erfolgsgeschichte von Sonja Graßkemper ist somit typisch für das Bergmannsheil.

Ins künstliche Koma versetzt

Es besteht Lebensgefahr, als die Malerin und Lackiererin 2010 in ihrer Heimatstadt Lippstadt von der Feuerwehr aus dem Autowrack geschnitten wird. Beide Ober- und Unterschenkel sind mehrfach gebrochen. Sonja Graßkemper wird mit einem Rettungshubschrauber zur Erstversorgung in ein Krankenhaus in Bielefeld geflogen und ins künstliche Koma versetzt. Erst nach einer Woche wird sie wach: im Bergmannsheil, wohin sie kaum 24 Stunden später verlegt worden ist.

Hier, im überregionalen Trauma-Zentrum, erfährt die junge Frau die bestmögliche medizinische Betreuung. Die ist bitter erforderlich. „Das Verletzungsbild war sehr komplex“, berichtet Chirurg Dr. Dominik Seybold, der Sonja Graßkemper von der ersten Stunde an behandelt. Den linken Unterschenkel hat es besonders schlimm erwischt. Er wurde beim Unfall fast komplett abgetrennt. Knochen muss vom Becken, Haut vom Rücken entnommen werden. Es gelingt, eine Amputation zu verhindern. „Die Extremitäten zu retten: Dafür sind wir hier Experten“, betont Dr. Seybold.

15 Operationen muss Sonja Graßkemper in den folgenden Monaten überstehen. „Die Reha begann schon am ersten Tag“, schildert sie. Das Reha-Zentrum Bergmannsheil mit 70 Physio-, Ergo- und Sporttherapeuten begleitet die Patienten auf dem Weg zurück in den Alltag. Die Lippstädterin absolviert u.a. ein Lungentraining und Übungen für das Handgelenk. Die Verletzten und Verunglückten zu aktivieren, zu motivieren: „Das ist ungeheuer wichtig. Die aktive Mitarbeit macht 50 Prozent der Heilung aus“, weiß Dr. Seybold.

Ein Vierteljahr wird Sonja Graß-kemper am Bürkle-de-la-Camp-Platz stationär behandelt. In den folgenden drei Jahren ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. Die Reha setzt sie im Institut „Medicos auf Schalke“, einem Kooperationspartner des Bergmannsheil, fort. Nach zwei Jahren kann sie zum ersten Mal wieder alleine stehen. Sie muss neu laufen lernen. „Nicht schlimm“, sagt sie sich, „das habe ich ja schon einmal hingekriegt...“

Umschulung zur Bürokauffrau

Die starke, mutige Frau kriegt es wieder hin. Sie steht – und das ist wörtlich zu nehmen – längst wieder mitten im Leben. Spezialschuhe gleichen die unterschiedlichen Beinlängen aus. Nur noch alle sechs Monate muss sie zur Kontrolluntersuchung nach Bochum fahren. Und auch beruflich geht’s voran. Als Malerin und Lackierer kann sie zwar nicht mehr arbeiten. Seit 2014 absolviert sie aber eine Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement – passenderweise in einem Malerbetrieb.

„Es geht mir Spitze“, sagt die Patientin im WAZ-Gespräch. „Es war ein langer Weg. Doch wir haben die bestmöglichen Ergebnisse erzielt. Frau Graßkemper lebt, hat beide Beine und kann im Job neu durchstarten. Das ist auch und vor allem ihrem Durchhaltewillen zu verdanken“, sagt der Chirurg.

Sonja Graßkemper hat neuen Lebensmut, neue Lebenslust gefasst, sich soeben ein neues Auto gekauft. Die Ärzte und Reha-Fachleute freuen sich mit ihrer Patientin. Doch der nächste Hubschrauber mit einem Unfallopfer kann schon in wenigen Minuten im Anflug auf das Bergmannsheil sein.

200 Landungen des Helikopters im Jahr bedeuten für die Unfallkinik 200 neue Schicksale und Herausforderungen.

Bergmannsheil feiert am Montag 125-jähriges Bestehen 

Mit einem Festakt in der Sporthalle wird am Montag, 16. März, das 125-jährige Bestehen des Bergmannsheil gefeiert. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zählt ebenso zu den Festrednern wie Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Rolf Schönewerk, Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz und der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Dr. Joachim Breuer.

Am 1. März 1890 wurde das Bergmannsheil eröffnet – damals mit dem Ziel, verunglückte Bergleute des Ruhrgebietes zu behandeln. „Als erste, spezialisierte Unfallklinik der Welt leistete das Haus Wegweisendes auf den Gebieten der Unfallchirurgie und der Rehabilitation von Unfallopfern“, heißt es in einer Dokumentation des Bergmannsheil zum Jubiläum.

In der Folge wurde die Klinik kontinuierlich erweitert. Neben der Unfallchirurgie entstanden Abteilungen zur Behandlung von Rückenmark- und Schwerbrandverletzten. Zugleich baute das Haus die Innere Medizin (Kardiologie, Pneumologie, Endokrinologie, Gastroenterologie) und die Neurologie auf und aus. In jüngerer Zeit entstanden die Herzchirurgie, eine Abteilung für Schmerzmedizin und zuletzt eine Abteilung für Neurochirurgie und Neurotraumatologie.

Seit 1977 ist das Bergmannsheil eine Klinik der Ruhr-Universität Bochum. Es ist damit das einzige berufsgenossenschaftliche Krankenhaus in Deutschland, das zugleich Universitätsklinikum ist. Mehr als 2000 Mitarbeiter sind heute im Bergmannsheil beschäftigt. Sie versorgen jährlich über 80 000 Menschen stationär und ambulant – unabhängig vom Versichertenstatus. Patienten, die infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit über die gesetzliche Unfallversicherung versichert sind, werden ebenso versorgt wie Patienten der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung.

Im Laufe seiner 125-jährigen Geschichte und nach der weitgehenden Zerstörung im Zweiten Weltkrieg veränderte das Bergmannsheil mehrmals sein äußeres Erscheinungsbild. Derzeit wird der zweite Bauabschnitt des neuen Funktionstraktes und Bettenhauses errichtet. „Man könnte sagen: Das Bergmannsheil entsteht gerade zum dritten Mal“, sagt Geschäftsführer Johannes Schmitz und kündigt weitere Investitionen an: „Eines unserer nächsten Projekte wird der Bau einer eigenen Reha-Klinik sein.“