Ihren 20. Geburtstag feiert in dieser Woche die Methadonambulanz der Bochumer Krisenhilfe. Was zu Beginn mit Kopfschütteln, ja böser Kritik bedacht wurde, hat sich mittlerweile zu einem festen Bestandteil der Hilfen für schwer Suchtkranke in dieser Stadt entwickelt. WAZ-Redakteur Michael Weeke sprach mit dem Sozialpädagogen Ulrich Merle (46), Fachbereichsleiter der Methadonambulanz, und dem Leitenden Arzt Dr. Heinrich Elsner (60) über eine Einrichtung, die im Bewusstsein vieler Menschen immer noch nicht richtig angekommen ist.

Wie war die Situation der Betreuung von Heroinabhängigen in Bochum vor Einrichtung der Methadonambulanz?

Ulrich Merle: Es herrschte das Abstinenzparadigma vor und es gab in der ambulanten Drogenhilfe wenig Möglichkeiten einer ambulanten Behandlung. Stationäre Maßnahmen hatten alle die Abstinenz vom Drogenkonsum zum Ziel.

Heinrich Elsner: Es gab schon in den 60er Jahren in den USA Bestrebungen, ein Medikament zu geben, damit die Abhängigen die Drogen nicht auf der Straße illegal kaufen mussten. Gesucht wurde ein Opiat, das nur einmal am Tag genommen werden musste.

Als in Bochum als eine der ersten Städte in NRW mit der Gabe von Methadon an schwerst abhängige Drogenkranke begonnen wurde, gab es Kritik, ja offenen Widerstand.

Merle: Ja, der Widerstand entstand, weil die Öffentlichkeit immer noch am Abstinenzprinzip festhielt. Es durfte nicht sein, dass der Abhängige in seiner Abhängigkeit festgehalten wurde. Für die Fachwelt war da aber schon klar, dass diese Abstinenz nur in ganz wenigen Fällen von jetzt auf gleich gelingen kann. Außerdem wollten viele in der Stadt immer noch nicht wahrhaben, dass Abhängigkeit eine Krankheit ist. Vielmehr sahen und sehen es viele Menschen als eine Art Charakterschwäche an.

Elsner: Es gab noch einen anderen Grabenkampf und der ging so: Warum wird auf öffentlichen Kosten Süchtigen ihr Suchtmittel gegeben? Das ist die Diskussion bis heute. Das war damals aber ganz heftig.

Doch die Krisenhilfe ließ sich nicht beirren, richtete eine eigene Ambulanz ein. Wie lief das damals ab?

Elsner: Wir hatten die konkrete Angst, dass die, die bis dahin am Heroin verdient hatten, uns bedrohen würden. Passiert ist zum Glück nichts. Hinzu kommt, als das aus dem Bergmannsheil ausgelagert wurde, sah man die Menschen in der Stadt, zuvor waren die im Krankenhausbetrieb nicht aufgefallen.

Merle: Das waren Pionierzeiten. 25 Patienten hatten wir zum 1. Januar 1994. Binnen eines Jahres wurde diese Zahl mindestens vervierfacht. Es gab einen riesigen Bedarf.

Schnell mussten bestimmte Vorstellungen modifiziert werden. Etwa was den sogenannten Beigebrauch von Drogen angeht?

Elsner: Am Anfang gab es die Vorstellung, die kriegen ihr Methadon, und dann brauchen sie nichts anderes mehr. Methadon – und alles ist gut. So war es aber eben nicht. Methadon ist ein Opiat, das im wesentlich keine seelische Wirkung hat, aber den Entzug wegnimmt. Die Abhängigen suchten aber eine Wirkung. Also haben sie andere Sub-stanzen gesucht, um eine Wirkung zu bekommen. Schnell war klar, dass es nicht so einfach war. Besonders, da ja viele Abhängige zugleich psychisch erkrankt sind. Je kranker sie waren, desto höher war der Beigebrauch. Dann übten wir den Spagat, psychisch erkrankte Abhängige eben nicht aus dem Programm zu werfen. Wir haben aber grundsätzlich gesagt, jemand, der definitiv Drogen genommen hat, der hat kein Methadon bekommen. Bis heute haben wir ein System mit dreimaliger Verwarnung.