Bochum. Jupp Tenhagen war Bochums erster Nationalspieler. Er lief auch für Borussia Dortmund auf. Am Samstag empfängt sein VfL den BVB.
Er heißt Franz-Josef, aber so nennt ihn im Fußball niemand. Jupp Tenhagen zählte in den 70er-Jahren zu den unerschütterlichen und unabsteigbaren Bochumern, fußballerisch war er sogar der beste von ihnen. 1977 wurde er Bochums erster Nationalspieler. Borussia Dortmund begann damals gerade erst wieder, sich zu etablieren, der BVB war zwischen 1972 und 1976 Zweitligist. Doch als der VfL 1981 finanzielle Probleme hatte, wurde Jupp Tenhagen nach Dortmund transferiert. Nach drei Jahren ging er wieder zurück nach Bochum. Heute betreibt der 69-Jährige Fußballschulen und ist Mitglied des VfL-Präsidiums. An diesem Samstag empfängt der VfL als Außenseiter den BVB (15.30 Uhr/Sky).
Herr Tenhagen, manche sprechen beim Duell Bochum gegen Dortmund vom kleinen Derby. Und Sie?
Jupp Tenhagen: Es ist etwas Besonderes für uns, gegen Borussia Dortmund zu spielen. Und für uns ist es auf jeden Fall kein kleines, sondern ein großes Derby.
Kann der Aufsteiger den Favoriten ärgern?
Tenhagen: Die Ansprüche sind andere. Aber wir haben uns in allen Spielen teuer verkauft, außer vielleicht gegen den FC Bayern. Wir können mithalten. Wir werden uns nicht verstecken.
Hätten Sie früher gedacht, dass beide Vereine einmal so eine große Kluft trennt?
Tenhagen: Man muss den Dortmunder Verantwortlichen einfach ein großes Lob aussprechen. Ich habe Präsident Reinhard Rauball als Spieler selbst kennengelernt. Er ist ein Fachmann, ein toller Mensch. Dortmund ist finanziell und auch sportlich absolut gewachsen, der BVB gehört zu den Topklubs in Europa.
Springen wir zurück in die 1970er-Jahre. Damals sind Sie von Rot-Weiß Oberhausen nach Bochum gewechselt. Wie kam es dazu?
Tenhagen: Es lief natürlich alles anders ab als heute. Obmann Erwin Höffken kam mit einem großen Blumenstrauß bei uns zu Hause vorbei, meine Frau war direkt begeistert. Und ich wollte nicht weg aus meiner Heimat, also habe ich mich für den VfL Bochum entschieden.
Sie waren Libero. Was sagen Talente heute, wenn Sie davon erzählen?
Tenhagen: Heute kennt das keiner mehr, einen Libero gibt es nicht mehr. Wenn ich sage, ich war Libero und wir haben mit zwei Manndeckern gespielt, dann schauen mich die jungen Fußballer alle ungläubig an.
In Bochum gehörten Sie zur legendären Mannschaft der Unabsteigbaren.
Tenhagen: Der VfL war eine große Familie, in der ich mich wohlgefühlt habe. Wir Spieler haben oft etwas unternommen. Heute gehen die Profis in den VIP-Bereich, wir sind immer in die Vereinskneipe „Haus Frein“ an der Castroper Straße gegangen, da wurde es schon mal fröhlich.
Mussten Sie sich bei Niederlagen etwas anhören?
Zuhause am Niederrhein
Jupp Tenhagen (69) lebt am Niederrhein, geboren wurde er in Millingen, heute ein Ortsteil von Rees. Er ist Inhaber eines Sportgeschäfts in Emmerich. Als Bundesligafußballer gelang ihm 1971 der Durchbruch bei Rot-Weiß Oberhausen. Von 1973 bis 1981 sowie von 1984 bis 1988 spielte er für den VfL Bochum – und dazwischen für Borussia Dortmund. Er bestritt drei Länderspiele.
Tenhagen: Unsere Fans waren harmlos, immer nett. Wir haben ja aus unseren Möglichkeiten fast das Optimale rausgeholt.
Sie durften sich dann als erster Bochumer als Nationalspieler bezeichnen.
Tenhagen: Irgendwann bekam ich die erste Einladung. Ich durfte mit nach Südamerika reisen, in Rio vor 160.000 Zuschauern im Maracana-Stadion gegen Brasilien spielen. Das bleibt. Ich war nur sehr unglücklich, als ich 1978 nicht für die WM in Argentinien nominiert wurde.
Woran hat das gelegen?
Tenhagen: Vielleicht, weil ich nur beim VfL Bochum gespielt habe, dort keine internationale Erfahrung gesammelt habe. Das war mein Manko. Ich war vor allem darüber enttäuscht, dass ich die Nachricht nur im Fernsehen erfahren habe, der damalige Bundestrainer Helmut Schön hat mich nicht angerufen. Das hätte ich erwartet.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft wieder ein Nationalspieler vom VfL kommt?
Tenhagen: Im Moment sehe ich das nicht. Im Jugendbereich macht mir Tjark Ernst Hoffnung, das ist ein sehr guter Torhüter, vielleicht wächst er heran. Allerdings wechseln Top-Talente meistens, bevor sie so weit sind. Wie zum Beispiel Leon Goretzka.
Sie haben Bochum hingegen zunächst nicht verlassen.
Tenhagen: Ich hatte ein Angebot des FC Bayern vorliegen, aber meine damalige Frau wollte nicht nach München ziehen, und ich wollte sie und meine zwei Kinder nicht alleine lassen. Deswegen hat sich das zerschlagen. Ich hätte es ansonsten gemacht, das sage ich ganz ehrlich.
Dafür zog es Sie später zum BVB. Warum?
Tenhagen: Eigentlich hatte ich gerade meinen Vertrag verlängert, ich wollte meine Karriere in Bochum beenden. Doch der VfL bangte um die Lizenz, nur ich kam für einen Transfer von einer Größenordnung von rund einer Million D-Mark infrage. Es ist mir schwergefallen, doch Bochum wäre ansonsten schweren Zeiten entgegengegangen. Ich hatte also keine andere Wahl.
Dafür konnten Sie zu Hause wohnen bleiben, weil Dortmund um die Ecke lag.
Tenhagen: Ich habe nachher in Haldern gewohnt. Wir hatten sogar eine kleine Fahrgemeinschaft, ich habe Jürgen Sobieray immer mitgenommen. Überhaupt haben mir die drei Jahre beim BVB viel gebracht. Sportlich konnte ich international spielen, das hat mich geprägt, mir neue Erkenntnisse gebracht. Nur habe ich mich dann verletzt.
Sie sind nach drei Jahren noch einmal nach Bochum zurückgekehrt. Warum?
Tenhagen: Ich habe mich mit dem BVB nach meiner Verletzung geeinigt, dass ich zurückgehe. Ich habe noch zwei Jahre gespielt, bis Hermann Gerland Trainer wurde und mich an seiner Seite wollte. Für mich war es eine Chance, ins Trainergeschäft einzusteigen. Als Hermann ein Angebot aus Nürnberg hatte, rückte ich sogar in die erste Reihe. Ich habe mir das zugetraut, nur musste ich parallel meine Lizenz machen, habe deswegen oft gefehlt. Der Verein war am Ende nicht mehr gewillt zu verlängern.
Was gefiel Ihnen mehr: zu spielen oder zu trainieren?
Tenhagen: Profi zu sein ist wesentlich schöner. Als Trainer hatte ich weniger Handlungsmöglichkeiten, ich konnte nicht selbst auf das Spiel einwirken.
Wie schauen Sie heute auf die Entwicklung im Profifußball?
Tenhagen: Alles hat sich verändert. Es wird mit viel mehr Geld gearbeitet, Welten liegen dazwischen. Die Frage ist, ob es sich immer weiter steigern lässt.
Was ist Ihre Prognose?
Tenhagen: Ich denke, dass wir am Limit sind. Alles andere wird ungesund. Sollten die Ablösesummen noch weiter steigen oder mehr Vereine von Investoren aufgekauft werden, wäre das nicht gut.
Zurück zu Samstag. Wer ist die größere Attraktion derzeit: Milos Pantovic mit seinen besonderen Toren oder Dortmunds Angreifer Erling Haaland?
Tenhagen: Pantovics zwei Tore waren sicherlich sensationell, die muss man erst mal so machen. Aber Erling Haaland ist natürlich eine Sensation. Er hat ein riesiges Durchsetzungsvermögen, einen großen Willen.
Hätten Sie ihn aufgehalten?
Tenhagen: Ich hätte es versucht, aber ob es mir gelungen wäre, weiß ich nicht. Er hat schon eine große Energie.
Was wäre die größere Leistung: Die Meisterschaft für den BVB oder der Klassenerhalt des VfL Bochum?
Tenhagen: Klare Antwort: Wenn der BVB die Meisterschaft holt. Denn von unserem Klassenerhalt bin ich einfach überzeugt.