Berlin. Franziska van Almsick gewann 2002 Gold über 200 Meter Freistil - nach einem der größten Comebacks der Sport-Geschichte. Im Interview spricht die heute 36-Jährige über ihre Söhne, ihr Leben als ehemaliger Schwimm-Star und deutet an, dass sie ihre Erfahrung gerne weiter gegeben hätte.

Die Europameisterschaft 2014 in Berlin weckt bei allen Schwimm-Fans Erinnerungen an die Titelkämpfe vor zwölf Jahren. Die EM wurde zu den Festspielen der Franziska van Almsick. Keiner hatte mehr an sie geglaubt, doch sie schaffte eines der größten Comebacks der Sport-Geschichte: Gold über 200 Meter Freistil in Weltrekord-Zeit. Die heute 36-Jährige erinnert sich nicht nur an diesen schönsten Moment ihrer Karriere, sie spricht auch über ihre Söhne, befürwortet eine Olympia-Bewerbung Berlins und wundert sich, dass sie noch nie vom Deutschen Schwimm-Verband auf eine mögliche Mitarbeit angesprochen wurde.

Frau van Almsick, die vor einem Jahr zurückgetretene Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen hat gesagt, sie schalte automatisch noch in den Wettkampf-Modus, wenn sie hier in die Schwimmhalle komme. Es müssten wohl noch Hormone am Werk sein, die dieses Prickeln erzeugen. Ist das bei Ihnen auch so?

Franziska van Almsick: Da stelle ich dann fest, dass ich doch einige Jahre älter bin und mein Rücktritt auch schon länger her ist. Ich hatte einfach schon zu viele tolle Momente. Ich habe zwei Kinder. Da prickelt es bei mir in anderen Momenten.

Zum Beispiel?

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Van Almsick: Wenn mein Sohn zum Beispiel vor mir steht und mir sein Schwimm-Abzeichen in Bronze präsentiert, dann bin ich stolz. Dann kribbelt es bei mir.

Wie oft gehen Sie mit Ihren Söhnen Don Hugo und Mo Vito schwimmen?

Van Almsick: Nicht so häufig. Ich liebe mein Privatleben und schütze es, so weit es geht. Vor allem meine Söhne sind mir heilig. Und dann ist es, ehrlich gesagt anstrengend, wenn ich mit ihnen in ein öffentliches Schwimmbad gehe. Da gibt es viele Leute, die einen ansprechen.

Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Söhne auch mal Leistungsschwimmer werden?

Van Almsick: Also bei meinem Sohn ist der Zug schon abgefahren. Er ist sieben Jahre alt, in dem Alter müsste er schon richtig trainieren. Er schwimmt gern und ist auch ein sehr sportlicher Typ, aber er hat mit dieser Sache schon abgeschlossen, weil er mit Wucht erfahren hat, dass seine Mutter das mal so richtig gut gemacht hat.

Weiß er, dass Sie ein Schwimm-Star waren?

Van Almsick: Mittlerweile hat er davon erfahren. Und für ihn ist das abschreckend. Er findet es gut, Dinge besser zu können als ich. Auf musikalischer Ebene hat er da leichtes Spiel, denn ich kann noch nicht einmal Noten lesen. Er spielt sehr schön auf dem Klavier, und ich würde nicht einmal ein C auf der Tastatur finden.

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Bundestrainer Henning Lambertz hat gefordert, dass in Deutschland schon die 10- bis 12-Jährigen viel höhere Kilometerumfänge schwimmen müssen. Kann man seinem Kind überhaupt empfehlen, so viel zu trainieren?

Van Almsick: Man muss es anders angehen. Es darf kein Zwang dahinter stehen. Die Atmosphäre und die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Schule und Sport müssen so organisiert werden, dass weder das eine noch das andere auf der Strecke bleibt. Sonst bekommt man die großen Umfänge im Training nicht hin. Im Ostteil unserer Republik gibt es immer noch gut funktionierende Sportschulen. Ich bin auch von der 5. Klasse an in Berlin auf eine solche Schule gegangen. Und da war es möglich, nicht um 5.30 Uhr, sondern erst um 7.30 Uhr vor der Schule ins Wasser zu springen. Die Schule begann dann erst um zehn Uhr. Es gibt heute zu wenige Städte, in denen so etwas möglich ist.

Van Almsick über ihre Jugend, Michael Phelps und Mixed-Staffeln 

Ist der Nachwuchs zu faul für ein so hartes Training?

Van Almsick: Das weiß ich nicht. Wir müssen unsere Trainer besser ausbilden. Ein Trainer darf nicht sagen, du musst, du musst. Der muss die Sportler einfangen und ihnen klar machen, pass mal auf, heute müssen wir noch mal zwei Kilometer mehr abspulen. Wenn man sich die Trainingspläne von Michael Phelps anschaut, dann sieht man: Von nichts kommt nichts. Der hat seine halbes Leben in der Schwimmhalle verbracht.

Das wird bei Ihnen nicht anders gewesen sein. Haben Sie nichts verpasst in Ihrer Jugend?

Van Almsick: Nein. Ich habe so viele Dinge dazu gelernt, die mich in meinem Leben weiter gebracht haben. Selbst durch verpasste Rennen bin ich enorm gereift. Ich bin 1994 bei der WM in Rom erst rausgeflogen, dann reingerutscht und habe mit Weltrekord Gold geholt. 1995 bei der EM in Wien bin ich als Neunte schneller als die Europameisterin gewesen. Ich bin heute die, die ich bin mit aller Ruhe und Gelassenheit, weil ich im Sport so viele Erfahrungen machen durfte.

War die EM in Berlin vor zwölf Jahren das größte Erlebnis?

Van Almsick: Absolut. Und zwar nicht wegen der Goldmedaille oder wegen des Europameistertitels. Viel wichtiger war die Erkenntnis, man kann mal auf die Schnauze fallen. Aber man muss seinen Hintern bewegen und versuchen wieder aufzustehen. Ich habe es fünf Jahre lang probiert und keiner hat an mich geglaubt. Aber ich habe es geschafft. In der Halle flossen in Berlin damals nach meinem Sieg viele Tränen von Leuten, die ich gar nicht kannte. Ich bin durch dieses Erlebnis ein mutiger, ein risikobewusster Mensch. Ich weiß, dass ich Kritik überstehe.

Wie weh hat es getan, als sie 2000 als Franzi van Speck verspottet wurden?

Van Almsick: Klar, als 22-Jährige hat mich das damals sehr geschmerzt. Heute würde ich damit anders umgehen. Aber der Rückschluss ist auch falsch, der oft gezogen wird. Ich bin nicht 2002 so schnell geschwommen, weil ich 2000 so beschimpft worden bin. Ich bin 2000 nach Berlin gefahren mit dem Vorsatz, entweder du verreißt das Ding völlig und trittst dann zurück oder du gewinnst. Es gab nur Schwarz oder Weiß.

Zwölf Jahre später gibt es bei der EM weder deutsche Einzelstarterinnen über 100 und 200 Meter Freistil noch Freistilstaffeln. Welche Fehler sind gemacht worden?

Van Almsick: Als Außenstehende ist es für mich schwierig, das zu beurteilen. Ich rede seit langem, dass die Dinge nicht so laufen, wie sie laufen könnten. Es hat sich nichts bewegt. Jetzt gibt es endlich erste Schritte. Wie die Besetzung des Cheftrainer-Postens durch Henning Lambertz oder möglicherweise die Einbindung von Britta Steffen. Der Deutsche Schwimm-Verband hat es verpasst, ehemalige Schwimmer in die Arbeit einzubeziehen. Wir hatten so viele Spitzenleute.

Lassen Sie sich denn auch einbinden?

Van Almsick: Also mich hat bis heute niemand gefragt.

Wären sie denn bereit?

Van Almsick: Das ist mein Sport. Es hat mich noch nie jemand gebeten, zum Beispiel mal mit in ein Trainingslager zu fahren. Oder ich hätte meine Erfahrungen weiter geben können, wie man mit Medien umgeht. Nichts ist passiert.

Die Heim-EM könnte auch eine Bewerbung Berlins um Olympische Spiele 2024 forcieren. Sollte sich Berlin bewerben?

Van Almsick: Als Sportler begrüße ich das natürlich. Olympia ist etwas ganz Besonderes. Als klar denkender Mensch muss ich mich allerdings auch fragen, ob wir uns so etwas finanziell leisten können. Eine Bewerbung Berlins kann es nur geben, wenn alle Berliner mitmachen.

Was halten Sie denn von den neu eingeführten Mixed-Staffeln?

Van Almsick: Das finde ich witzig, wenn plötzlich ein Mann gegen eine Frau schwimmt und noch einen Rückstand aufholen kann. Das hat Potenzial. Auch kleinere Nationen könnten sich ins Licht schieben.