Washington. Bei Talkshow-Gastgeberin Oprah Winfrey wollte Lance Armstrong eigentlich ein Doping-Geständnis abgeben. Doch die bevorstehende Beichte wird dosiert ausfallen, sagt Winfrey. Die Radsportwelt wartet gespannt, ob der ehemalige Tour-de-France-Sieger Hintermänner und Mitwisser enttarnt.

Es ist seit Tagen die erste echte Nachricht im Gerüchtezirkus um die angebliche Läuterung des Lance Armstrong: Der "gewiefteste Dopingsünder der Radsportgeschichte" (Sports Illustrated) wird in seiner ab Freitagmorgen 3 Uhr mitteleuropäischer Zeit in zwei Etappen à 90 Minuten ausgestrahlten Fernseh-Beichte nicht uneingeschränkt reinen Tisch machen. Oprah Winfrey, Amerikas wirkungsmächtigste Talkshow-Gastgeberin, hat dies am Dienstag gegenüber der Konkurrenz vom Sender CBS auf mehrfaches Nachfragen eingeräumt.

Armstrong "hat nicht so ausgepackt, wie ich das erwartet hatte."

Am Montag hatte der Showstar zweieinhalb Stunden lang mit Armstrong in einem Hotel in Austin/Texas gesprochen. Winfreys Fazit: "Er hat nicht so ausgepackt, wie ich das erwartet hatte." Damit ist der Verdacht bestätigt, der in Amerika seit Tagen kursiert: Der 41-Jährige, der sämtliche sieben Tour-de-France-Siege aberkannt bekam, nachdem ihm US-Dopingfahnder nachgewiesen hatten, über zehn Jahre Kopf des "ausgeklügelsten, professionellsten und erfolgreichsten Dopingprogramm" gewesen zu sein, "das die Welt jemals gesehen hat", wird der globalen Fernseh- und Internet-Gemeinde nicht mehr als eine sorgsam abgezirkelte Vorstellung liefern.

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"Reue light", heißt es bereits auf dem Internet-Portal Huffington Post. Winfrey, eine Expertin in Sachen Erwartungsmanagement beim Publikum, hat sich auf das über die Weihnachtstage auf Hawaii vereinbarte Interview für ihren Kabelkanal OWN wie auf ein "College-Examen" vorbereitet, mehrere Bücher gelesen und den 1000-seitigen Abschlussbericht der Dopingfahnder studiert.

Stillschweigen über die Details

Von 112 vorbereiteten Fragen habe Armstrong "nicht alle", aber einen Gutteil "nachdenklich, ernsthaft, vorbereitet und befriedigend beantwortet". Stellenweise sei sie "überrascht und fasziniert" gewesen. Über sämtliche Details wurde bis zur Ausstrahlung Stillschweigen vereinbart. Damit der weltweit begehrte Inhalt nicht vor Sendebeginn bekannt wird, hat Winfrey die Video-Kassetten "im Flugzeug mit ins Handgepäck genommen". Angebliche Trendaussagen des Interview-Marathons fanden gleichwohl umgehend ihren Weg in die Medien.

So berichtete die in der Causa Armstrong oft vor dem Feld fahrende "New York Times", dass der 1996 an Hodenkrebs erkrankte Sportler ein Jahrzehnt hartnäckiges Lügen im Kern bestätigt und die umfangreiche Einnahme verbotener Substanzen von Epo über Testosteron bis Kortison eingeräumt hat. Zudem, und das wäre um einiges brisanter, habe er die Mitwisserschaft hoher Funktionäre des Radsport-Weltverbands UCI und anderer Parteien offengelegt und angekündigt, nach Rücksprache mit dem US-Justizministerium als Zeuge gegen Rad-Rennställe aussagen, die ebenfalls dem Doping frönten. Alleiniger Zweck: Strafrabatt in eigener Sache.

Hofft Armstrong auf die zweite Chance?

Langjährige US-Kommentatoren der immer noch Titelseiten füllenden Armstrong-Saga bezweifeln das und verweisen auf Prozesse wegen Meineids und Schadensersatzklagen in Höhe von bis zu 60 Millionen Dollar, die Armstrong drohten, wenn er mit gerichtsfesten Aussagen von seiner Lebenslüge abweichen sollte. In der Zeitung "USA Today" kommen anonym bleibende Mitwisser zu Wort, die davon ausgehen, dass Armstrong mit seinem Auftritt bei Oprah Winfrey "auf den Bauch und nicht auf den Kopf der Menschen zielt".

Sportstars, selbst tief gefallene, kriegen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten oft eine zweite Chance, wenn sie sich tränenreich vor einem Millionenpublikum selbst in den Senkel stellen und Besserung geloben. Oprah Winfrey hat hier vor vier Jahren der einstigen Star-Sprinterin Marion Jones beste Dienste erwiesen. Bei ihr konnte die wegen Meineides zu sechs Monaten Gefängnis verurteilte Athletin leutselig erklären, dass sie "niemals wissentlich gedopt hat". Armstrong wird sich diese Strategie wegen der ungeheuren Beweislast nicht zu eigen machen können.

Warum er trotzdem mit einem dosierten Mea Culpa an die Öffentlichkeit geht, beschreiben Experten wie Juliet Macur im Kern so: Zu den finanziell folgenreichsten Fällen gehört das Thema US Postal. Der staatliche kontrollierte und aus Steuergeldern finanzierte Dienstleister hat über die Jahre über 40 Millionen Dollar als Sponsor in den von Armstrong angeführten Rennstall gesteckt - unter der Maßgabe, dass leistungssteigernde Mittel unter Androhung hoher Schadensersatzforderungen untersagt waren.

Strafnachlass durch Enttarnung der Hintermänner?

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Seit Armstrong von ehemaligen Kollegen wie Floyd Landis beschuldigt wird, der oberste Doping-Beauftragte im Team gewesen zu sein und Kritiker gnadenlos gemobbt zu haben, will US Postal viel Geld zurück. Würde Armstrong allerdings, ob bei Oprah oder später an anderer Stelle, schonungslos auspacken und die Hintermänner, Mitwisser und Weggucker des Skandals benennen, könnte er nach amerikanischem Sonder-Recht als Tippgeber ("Whistleblower") erheblichen Strafnachlass erwarten.

An dieser Stelle kommen Namen wie die des ehemaligen Sportdirektors und Mentors Johan Bruyneel, des italienischen Doping-Arztes Michele Ferrari und der Radsport-Weltverbands-Größen Pat McQuaid und Hein Verbruggen ins Spiel. Sollte Armstrong ihnen ans Leder gehen oder mit harten Fakten die Vorlagen dafür liefern, so Beobachter vom "Wall Street Journal", stünde der internationale Radsport "wohl vor dem Kollaps". Ob's so kommt? Am Donnerstagabend, 21 Uhr Ostküstenzeit, geht Lance Armstrong auf die erste Etappe seiner Büßer-Rundfahrt. Mehrere Berge liegen vor ihm. Die Ziellinie ist noch nicht in Sicht.