Genf. Nachdem Lance Armstrongs sieben Tour-de-France-Siege von der UCI am Montag aberkannt worden waren, hat der Radsport-Weltverband nun auch entschieden, was mit den vakanten Titeln geschehen soll: Sie werden nicht neu nicht neu vergeben. Damit gehen auch zwei deutsche Fahrer leer aus.
Armutszeugnis erster Klasse: Der Radsport-Weltverband UCI kann nach der Disqualifikation des größten Dopingsünders der Sportgeschichte von 1999 bis 2005 keinen einzigen würdigen Ersatzsieger für Lance Armstrong präsentieren. Mit der Entscheidung, in den Siegerlisten Lücken zu lassen, weil inklusive des dreimaligen Tour-Zweiten Jan Ullrich nahezu alle denkbaren Nachrücker belastet waren oder sind, hat die UCI am Freitag ihr Versagen im Anti-Doping-Kampf eindrucksvoll dokumentiert.
"Die UCI ist entschlossen, diese schmerzhafte Episode in der Geschichte unseres Sports wiedergutzumachen", sagte der umstrittene Präsident Pat McQuaid in Genf. "Heute ist der Radsport ein völlig anderer Sport als noch in der Zeit von 1998 bis 2005. Die Fahrer unterliegen nun den innovativsten und effektivsten Anti-Doping-Maßnahmen und -Regularien im Sport", so McQuaid: "Dennoch haben wir die weltweiten Reaktionen auf die Armstrong-Affäre wahrgenommen und diese zusätzlichen Schritte unternommen, um auf die schwerwiegenden Bedenken zu reagieren."
Unschuldsvermutung gegen Nachrücker aufgehoben
Die UCI setzt eine unabhängige Kommission ein, um die Verstrickungen des Verbandes in die Affäre zu untersuchen. "Wir werden alle Maßnahmen ergreifen, welche die Kommission als notwendig erachtet, und den Radsport zurück in die Spur bringen", sagte McQuaid. Zudem fordert die UCI von Armstrong und allen anderen betroffenen Fahrern die Rückzahlung der Prämien.
Der Verband beschwor in seinem Hauptquartier im schweizerischen Aigle am Genfer See allerdings ein neues Problem herauf. Denn die UCI, die unter Führung von McQuaids Vorgänger Hein Verbruggen Armstrongs Machenschaften lange geduldet und gedeckt haben soll, hob damit quasi die Unschuldsvermutung gegen mögliche Nachrücker auf.
"Ich bin gespannt, wie man nun erklärt, dass gegen diese Fahrer keine Schritte eingeleitet werden", sagt die frühere deutsche Radsport-Präsidentin Sylvia Schenk als Sportbeauftragte der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International.
Fast alle hinter Armstrong waren ebenfalls belastet
Nahezu alle, die hinter Armstrong unter den Top Ten das Tour-Ziel erreichten, sind oder waren belastet wie der ehemalige deutsche Radsport-Held Jan Ullrich als Zweitplatzierter 2000, 2001 und 2003 oder 2004 Armstrongs Teamkollege Andreas Klöden (ebenfalls Zweiter). Über sämtlichen Toursiegern der Epoche, ob Armstrong, Ullrich, Bjarne Riis, Marco Pantani, Floyd Landis oder Alberto Contador - ob offiziell noch als Sieger geführt oder nicht - liegt der Schatten des Betrugs.
Große Schuld daran trägt McQuaid, der wie 2006 Verbruggen ins Kreuzfeuer der Kritik gerät. Aktuelle und frühere Fahrer wie der dreimalige Tour-Sieger Greg LeMond, Tyler Hamilton (beide USA) und der deutsche Ex-Profi Jörg Jaksche fordern seinen Rücktrittt, auch John Fahey, Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA: "Niemand, der in Armstrongs Jahren bei der UCI an verantwortlicher Stelle tätig war, kann noch rechtfertigen, weiterhin an der gleichen oder einer ähnlichen Position zu sein."
IOC erwägt Aberkennung der Olympia-Medaille
Die amerikanische Anti-Doping-Agentur USADA, die den Fall Armstrong gegen den Widerstand der UCI klärte, hat bereits deutlich gemacht: "Der Radsport ist keineswegs gesäubert. Dies sollte nun Aufgabe einer unabhängigen 'Wahrheits- und Schlichtungskommission' sein."
Bisher hält Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), zur UCI-Führung und versicherte, die Sportart bleibe weiter im olympischen Programm.
Das IOC will nun über die Aberkennung von Armstrongs Zeitfahr-Bronze bei Olympia 2000 in Sydney entscheiden. Nach dem Code der WADA wäre dies nur acht Jahre zurück möglich. Aber das IOC sieht offenbar besondere Umstände für eine Verlängerung der Verjährungsfrist. Die UCI hat Armstrong bis ins Jahr 1998 zurück disqualifiziert. Offenbar in der Gewissheit, dass dieser keinen Widerspruch beim Internationalen Sportgerichtshof CAS einlegt. Wegen Meineids in einem früheren Prozess droht dem Texaner schon Gefängnis bis zu 30 Jahren.
Auf Armstrong kommen hohe Geldforderungen zu
Doch Armstrong muss zudem um sein auf rund 100 Millionen US-Dollar (76 Mio. Euro) geschätztes Vermögen bangen. Auf ihn wartet eine Prozesslawine durch getäuschte Sponsoren und Renn-Veranstalter, die Schadenersatz und Prämienrückzahlungen in zweistelliger Millionen-Höhe fordern. Zugleich sind seine Werbepartner Nike, Trek, Oakley und Anheuser-Busch abgesprungen, fast alle Einnahmequellen versiegt.
Tour-Chef Christian Prudhomme kündigte bereits an, Prämien von drei Millionen Euro allein für seine sieben Siege zurückzufordern. Die texanische Versicherungsgesellschaft SCA Promotions will 7,5 Millionen Dollar (5,76 Millionen Euro), die Armstrong eingeklagt hatte, nachdem die Assekuranz die Prämien für die Siege 2002-04 wegen Dopinggerüchten auf Eis gelegt hatte. Auch die Londoner Sunday Times will 1,2 Millionen Euro zurück, die Armstrong gegen sie erstritten hatte. Das US-Justizministerium ermittelt wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder beim staatlich unterstützten US-Postal-Team. (sid)