Istanbul. Angelique Kerber geht als Geheimfavoritin in die am Dienstag beginnenden WTA-Championships der besten acht Spielerinnen in Istanbul. Die Kielerin träumt am Saisonende von ihrem ersten großen Titel.
Die Wette gilt - auch in Istanbul. Wenn Angelique Kerber beim WTA-Masters am Bosporus ihren Höhenflug mit dem ersten großen Titel krönen würde, dann wäre die Zeit reif für einen Karrieresprung der besonderen Art. "Das mit dem Fallschirmsprung als Wetteinsatz ist noch aktuell. Eigentlich gilt es ja nur im Fall eines Grand-Slam-Sieges. Aber wir haben beschlossen, Istanbul gehört dazu", sagte Kerber vor dem Turnierstart am Dienstag.
"Jede von uns kann diese Weltmeisterschaft gewinnen"
Dass die 24-jährige Kielerin gemeinsam mit ihrem Wettpartner und Trainer Torben Beltz demnächst durch luftige Höhen schweben wird, erscheint trotz der schwierigen Gruppe gar nicht so unwahrscheinlich. Das weiß auch Aufsteigerin Kerber, die übrigens Höhenangst hat. "Jede von uns kann diese Weltmeisterschaft gewinnen, es geht eng zu. Mein Ziel ist es, rauszugehen und jedes Match zu gewinnen. Das wäre ein Traum", sagte die Wimbledon-Halbfinalistin, die als ungeschlagene Gewinnerin des Saisonabschlussturniers der besten Acht 1,35 Millionen Euro kassieren könnte.
Die Fußverletzung, die sie zur Aufgabe in Peking und zuletzt zur Absage des Turniers in Luxemburg gezwungen hatte, ist nach einem Heimaturlaub auskuriert. Auf dem lilafarbenen Hartplatz im 13.800 Zuschauer fassenden Sinan Erdem Dome unweit des Goldenen Horns trainiert Kerber seit dem Wochenende schon fleißig für ihre erste WM.
"Bonus für eine tolle Saison"
Die Teilnahme ist gleichermaßen ein "Bonus für eine tolle Saison" und eine "weitere Chance" auf den ganz großen Wurf, wenngleich in der Gruppe die Weltranglistenerste Wiktoria Asarenka (Weißrussland), Olympiasiegerin Serena Williams (USA) und Li Na (China) auf sie warten.
Kerber staunte nicht schlecht über die Tatsache, dass jede Spielerin eine eigene feudale Umkleide mit eigenem Namensschild hat. Besonders aber genießt sie in diesen Tagen die glamourösen Veranstaltungen rund um das sportliche Stelldichein der Besten.
Die im vergangenen Jahr als Ersatzspielerin in die Türkei gereiste Andrea Petkovic hatte ihr vor der Abreise wertvolle Tipps gegeben. "Petko hat mir gesagt, dass ich drei Abendkleider mitnehmen muss, weil es hier schon etwas schicker zugeht. Make-up und die Frisuren bekommen wir aber gemacht", berichtete die Linkshänderin. Kerber ist die erste Deutsche seit Anke Huber vor elf Jahren, die sich für das Saisonfinale qualifiziert hat. Steffi Graf gewann die WM-Krone fünfmal, zuletzt 1996.
Obwohl Kerber im Jahr ihres endgültigen Durchbruchs die meisten Matches aller acht Teilnehmerinnen gespielt hat (76), glaubt Barbara Rittner nicht an einen physischen Nachteil. "Die Atmosphäre beim Masters wird sie beflügeln und viel Energie freisetzen. Angie kann da gar nicht müde werden", sagte die Fed-Cup-Teamchefin. Rittner sieht den Persönlichkeitswandel von Kerber als einen der Gründe für die Erfolgsstory 2012: "Aus dem kleinen, schüchternen Mädchen ist eine offene und eigenständige Frau geworden, die weiß, was sie will."
"Es ist ein geniales Gefühl"
Und Kerber hat nach einer Saison mit ihren ersten beiden Turniersiegen (Paris-Indoors, Kopenhagen) sowie den Finalteilnahmen in Cincinnati und Eastbourne Lust auf mehr bekommen. Mit der neuen Popularität jedenfalls kommt die deutsche Nummer eins bestens klar. "Ich kann zuhause normal einkaufen gehen, aber ein paar Blicke sind jetzt schon immer da", erzählte sie. Am meisten freut es sie, wenn Kinder ihr sagen, sie hätten angefangen, Tennis zu spielen. "Es ist ein geniales Gefühl", sagt Kerber, "einigen Kindern die Spielfreude am Tennis gegeben zu haben."
Die Nummer sechs des Rankings weiß, dass es im Fall eines Sieges bei einem Grand-Slam-Turnier oder des Sprungs an die Weltranglistenspitze ein weiterer Popularitätsschub folgen würde. Kerber: "Damit gehe ich locker um, denn das sind ja meine sportlichen Ziele." Nach den Tagen von Istanbul wird sich die Überfliegerin erst einmal in den Urlaub verabschieden ("Irgendwo in die Sonne"), ehe im Dezember mit einem Konditions-Block die neue Saison eingeläutet wird. Gut möglich, dass sie bis dahin ihren ersten Fallschirmsprung hinter sich hat. (sid)
Kerber im Interview
Sie haben sich erstmals für das Saisonabschlussturnier der besten acht Spielerinnen qualifiziert. Sehen Sie es als Bonus für ein traumhaftes Jahr oder als Chance für einen großen Titel?
Angelique Kerber: Beides. Ich bin schon aufgeregt und will das alles genießen. Es ist ein Bonus für eine tolle Saison. Ich bin stolz, so eine WM mitspielen zu dürfen. Andererseits ist es natürlich auch eine große Herausforderung. Mein Ziel ist es, rauszugehen und jedes Match zu gewinnen - wie bei jedem Turnier. Irgendwann will ich einen großen Titel gewinnen.
Hat die Wette mit Ihrem Trainer Torben Beltz auch in Istanbul Bestand, dass Sie bei einem großen Titel zusammen mit ihm einen Fallschirmsprung wagen?
Kerber: Das mit dem Fallschirmsprung ist noch aktuell. Eigentlich gilt es ja nur im Fall eines Grand-Slam-Sieges. Aber wir haben beschlossen, dass Istanbul dazugehört.
Hat die Veranstaltung in Istanbul für Sie den gleichen Stellenwert wie ein Grand-Slam-Turnier?
Kerber: Das ist schwierig zu beurteilen. Ich denke, es ist etwas Anderes, aber es ist auch eine große Sache und nicht viel kleiner als ein Grand Slam. Wenn ich weit komme, wäre das ein Traum.
Hat Ihnen Andrea Petkovic schon Tipps gegeben? Immerhin war sie 2011 als Ersatzspielerin am Bosporus dabei.
Kerber: Petko hat mir schon einiges erzählt. Zum Beispiel, dass ich drei Abendkleider mitnehmen muss. Da geht es schon etwas schicker zu. Es gibt vor dem Turnier einige Veranstaltungen. Make-up und die Frisuren bekommen wir dort aber gemacht.
Was wird am Ende einer langen Saison über Sieg und Niederlage entscheiden?
Kerber: Die Fitness und der Kopf, aber vor allen Dingen die Tagesform. Jeder kann dieses Turnier gewinnen, es geht sehr ausgeglichen zu. Bei uns oben ist alles relativ eng. Anders als bei den Männern, wo eigentlich immer dieselben Vier im Halbfinale stehen.
Haben Sie sich nach Ihren Erfolgen schon an die neue Popularität gewöhnt?
Kerber: Auf den Turnieren schon, da ist es inzwischen normal für mich. Zuhause ist es aber immer noch ein bisschen komisch. Ich kann dort normal einkaufen gehen, aber ein paar Blicke sind immer da. Da kommen auch mal Leute und wollen Foto haben, das hält sich allerdings in Grenzen. Am meisten freut es mich, wenn Kinder zu mir kommen und sagen, sie hätten angefangen Tennis zu spielen. Es ist ein geniales Gefühl, einigen Kindern die Spielfreude am Tennis gegeben zu haben.
Fürchten Sie den nächsten Popularitätsschub, wenn sich die ganz großen Erfolge einstellen?
Kerber: Ich denke, wenn ich ein Grand-Slam-Turnier gewinne oder die Nummer eins bin, würde es nochmal einen Schub geben. Damit gehe ich locker um, denn das sind ja meine sportlichen Ziele. Ich bin jetzt auch offener geworden und glaube, dass das für mich kein Problem sein würde.
Gibt es schon Urlaubspläne für die Zeit nach Istanbul?
Kerber: Auf jeden Fall will ich in die Sonne, wahrscheinlich auf die Malediven.
2011 haben Sie den Durchbruch geschafft, in diesem Jahr kam der Aufstieg in der Weltrangliste. Unter welchem Aspekt soll 2013 stehen?
Kerber: Es wir kein leichtes Jahr werden. Ich muss bestätigen, was ich 2012 geschafft habe. Und ich will sogar noch bisschen besser spielen, was nicht einfach ist. Ich werde versuchen, mich Ende des Jahres gut vorzubereiten. Aber das nächste Jahr wird ganz anders werden, weil ich gleich überall gesetzt bin. (sid)