Bochum. Ben Johnson, gesperrter Skandalsprinter von 1988, will als Leichtathletik-Trainer arbeiten. Um Hilfe zu bekommen, ist er nach Bochum gereist.

Ein Foto, zwei Männer im Gespräch. Der eine ist Michael Huke, Leichtathletik-Manager des TV Wattenscheid 01, das ist klar. Und der andere? Ist das nicht… Ben Johnson? Der Ben Johnson? Der frühere Super-Sprinter? Die Zen­tralfigur eines der größten Skandale der Sportgeschichte?

In Wat-ten-scheid?

„Ja, der Ben Johnson.“ Der Bochumer Anwalt Christof Wieschemann lacht. Johnson ist sein Klient. Die beiden haben Wichtiges vor. „Wenn er schon hier in Bochum ist, dann musste ich mit ihm natürlich auch einen Abstecher zum TV Wattenscheid machen“, sagt Wieschemann, auch Anwalt des TV 01. Michael Huke wusste zwar, dass Johnson in der Stadt ist, konnte dann aber kaum glauben, dass er plötzlich tatsächlich an die Lohrheide kam. Huke sprach mit dem 60-jährigen Kanadier über gemeinsame frühere Wettkämpfe und zeigte ihm die Leichtathletik-Anlage in Wattenscheid. „Er war beeindruckt von unseren kompakten Trainingsstätten, wie nah bei uns alles zusammen ist“, erzählt der 53 Jahre alte TV-01-Manager. „Ganz hin und weg war er auch von unserem Mittagessen. Es gab Kassler mit Sauerkraut. Er war begeistert“, sagt Huke und lacht.

Ben Johnson: Ein gefallener Weltstar

„Unsere Sportler haben Ben in der Halle sofort erkannt, mit einigen hat er über das Training und Bewegungsabläufe gesprochen“, schildert Huke, der früher sogar einige Rennen gegen Johnson bestritten hatte. Jetzt also trafen sie sich wieder, sie redeten über die damaligen Zeiten. Der eine, Manager eines Leichtathletikvereins, der andere, ein gefallener Weltstar.

Ben Johnson im Ruhrgebiet: Michael Huke, Manager des TV Wattenscheid 01, zeigt ihm das Lohrheidestadion.
Ben Johnson im Ruhrgebiet: Michael Huke, Manager des TV Wattenscheid 01, zeigt ihm das Lohrheidestadion. © Privat

„Als ich selbst noch Jugendlicher war, war Ben ein Idol für uns. Jemand, zu dem wir aufgeschaut haben. Seine Duelle gegen den großen Carl Lewis, das war immer wie David gegen Goliath. Klar haben wir dann dem Underdog Johnson die Daumen gedrückt. Bis dann die tragische Wende für ihn kam“, erinnert sich Huke.

Eine Wende, die die Sportwelt erschütterte.

Olympische Sommerspiele 1988 in Seoul. Vor dem 100-Meter-Finale herrscht Hochspannung. Der Amerikaner Carl Lewis, Olympiasieger von 1984, ist der große Favorit, der Kanadier Ben Johnson sein größter Herausforderer. Nach dem Startschuss preschen die acht Finalisten los, nach kaum zu fassenden 9,79 Sekunden hält die Uhr an: Neuer Olympiasieger und auch Weltrekordhalter ist Ben Johnson, sein Erfolg eine Sensation.

Doch Ruhm und Ehre währen nicht lange. Nach dem steilen Aufstieg folgt der tiefe Fall: Wenige Tage nach dem Rennen wird Johnson positiv auf Stanozolol getestet und nachträglich disqualifiziert. Gold geht doch noch an Lewis -- in dem Rennen, das als „das schmutzigste aller Zeiten“ in die Geschichte eingehen wird. Sechs der acht Finalisten werden später mit Doping in Verbindung gebracht. Johnson wird für zwei Jahre gesperrt.

„Keine Angst vor Weltverbänden“

Doch dabei bleibt es nicht. 1993 hat er einen weiteren positiven Dopingtest und wird vom Leichtathletik-Weltverband (World Athletics) gesperrt. Lebenslang.

In den folgenden Jahrzehnten versucht Johnson gegen die Doping-Verurteilungen vorzugehen – in Kanada erfolgreich, international erfolglos. „Irgendwann hat er sich dann mehr oder weniger seinem Schicksal ergeben, weil er auch in ein Alter kam, in dem er nicht mehr vorne hätte mitlaufen können“, berichtet Christof Wieschemann.

Warum eigentlich er? Ein Anwalt aus Bochum? Er lacht: „Ich habe mir international den Ruf erworben, keine Angst vor den Weltsportverbänden zu haben und auch recht erfolgreich zu sein. Überrascht hat mich die Anfrage dennoch“, sagt Wieschemann, der an diesem Dienstag 60 wird, und erinnert sich an 2019: „Ich wollte eigentlich schon ins Bett, sitze auf der Bettkante und checke noch mal die E-Mails. Da sehe ich eine Nachricht von Ben Johnson. Ich dachte erst, da nimmt mich einer auf den Arm, aber es war ernst gemeint“, erzählt der Anwalt, der sich in den vergangenen 20 Jahren einen Namen im internationalen Sportrecht gemacht hat, bereits etliche Male für Mandanten vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) klagte, unter anderem gegen das Internationale Olympische Komitee, das Internationale Paralympische Komitee oder die Fifa vor Gericht zog.

Ein kanadischer Anwalt hatte den Kontakt zu Wieschemann hergestellt. So kam er also zu seinem bisher prominentesten Mandanten. Aber warum braucht Ben Johnson (wieder) einen Anwalt? „Er möchte als Leichtathletik-Trainer tätig sein“, sagt Wieschemann und berichtet, dass Johnson in der Vergangenheit zwar in anderen Sportarten, wie beispielsweise im Fußball als Fitness-Coach von Diego Maradona, arbeiten konnte, nicht aber in der internationalen Leichtathletik. „Vor einigen Jahren bekam Ben ein Trainer-Angebot aus Katar, das dann im letzten Moment aber wieder zurückgezogen wurde. Es habe einen Anruf vom Leichtathletik-Weltverband gegeben. Beweisen können wir das nicht. Aber Ähnliches ist ihm schon öfter widerfahren“, sagt Wieschemann.

Darum will er mit Johnson jetzt gegen die lebenslange Sperre, die sich nicht nur auf die aktive Sportlerlaufbahn bezieht, sondern auf jede Funktion in der organisierten Leichtathletik, vorgehen. „Ich formuliere es mal so: In der Vergangenheit war Ben nicht immer gut beraten. Von seinem Vermögen ist nicht viel geblieben. Und darum hat es für ihn ein Stück weit auch eine ökonomische Notwendigkeit, wieder international als Trainer tätig sein zu können.“

Christof Wieschemann
Christof Wieschemann © Ralf Rottmann / Funke Foto Services

Eine einfache Aufgabe sieht anders aus, schließlich hat Ben Johnson schon mehrmals versucht, gerichtlich gegen seine Doping-Verurteilungen vorzugehen. „Ich habe alle möglichen Unterlagen und Protokolle aller Verfahren und Urteile, die ich bekommen konnte, studiert und durchgearbeitet. Für mich ist der klare Eindruck entstanden, dass man an Ben ein Exempel statuieren wollte. Allen, also Sportlern, Funktionären und Zuschauern, war klar, dass es zu der damaligen Zeit mit dem Doping nicht so weitergehen konnte“, sagt Wieschemann. Damals, als es noch keine Welt-Anti-Doping-Agentur gab, keinen konkreten Anti-Doping-Code.

Doch nicht Johnsons erste Doping-Verurteilung ist es, die der Bochumer Anwalt als Anknüpfungspunkt für ein Vorgehen gegen die lebenslängliche Sperre sieht. Sondern die zweite: „Als Ben 1993 das zweite Mal, ebenfalls unter fragwürdigen Umständen, wegen eines Doping-Vergehens gesperrt wurde, gab es noch keine Regel, dass man deswegen lebenslang auch nach der aktiven Laufbahn vom organisierten Sport ausgeschlossen werden kann. Die trat erst 2004 mit dem World-Anti-Doping-Code in Kraft. Und in jedem rechtsstaatlichen System gibt es ein Rückwirkungsverbot“, sagt Wieschemann und erklärt: „Das heißt, man kann nicht nachträglich mit einer Strafe belegt werden, die es zum Zeitpunkt des Regelverstoßes nicht gab.“

Entscheidung noch in diesem Jahr

Genau hier sieht er die Chance für Johnson. Ein erster Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit dem Leichtathletik-Weltverband scheiterte allerdings.

„Wir werden also gerichtlich dagegen vorgehen“, kündigt Wieschemann an. Ob beim Internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne oder in Monaco, wo World Athletics seinen Sitz hat, ist noch nicht klar. Sicher ist aber: Die Entscheidung wird noch dieses Jahr fallen. „Nur in einem Fall würden wir von einer Klage absehen, nämlich dann, wenn die möglichen Verfahrenskosten Bens finanzielle Möglichkeiten überschreiten“, sagt Christof Wieschemann. Ein Wiedersehen mit Ben Johnson in Bochum, wo ihn am Bahnhof niemand erkannt hat, soll es aber auf alle Fälle geben.