Essen. Durch die Vorauswahl Brisbanes sinken hierzulande Olympia-Chancen. Rhein Ruhr City zeigt: Deutsche Hoffnungen scheitern nicht immer am Konzept.

Um Thomas Bach zu verstehen, muss man diese Geschichte kennen: Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) war früher ein sehr guter Fechter. 1976 gewann er bei den Sommerspielen in Montreal Olympia-Gold mit der Mannschaft. Der sportliche Ehrgeiz wurde vier Jahre später durch höchst unsportliche Ereignisse gebremst: Sowjetische Truppen waren in Afghanistan einmarschiert, die westliche Welt, darunter die Bundesrepublik Deutschland, boykottierte die Fünf-Ringe-Spiele in Moskau. „Die Erfahrung von 1980 prägt mich bis heute“, sagte Bach einmal der Welt am Sonntag. Wut und Enttäuschung über die verpasste Teilnahme treiben ihn heute noch an.

Am Mittwochabend hat aus deutscher Sicht ein Olympia-Plan einen schweren Rückschlag erlitten. Thomas Bach, 68, hätte nach der Sitzung des IOC-Exekutivkomitees gleich sagen können: „And the winner is: Brisbane.“ Sollte Australien nicht in absehbarer Zeit im Pazifischen Ozean untergehen, werden die Olympischen Sommerspiele 2032 im Bundesstaat Queensland und in dessen Hauptstadt ausgetragen.

IOC-Entscheid macht auch Rhein Ruhr City 2032 zum Statisten

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Eine Bewertungskommission hat das Konzept Brisbanes als exzellent eingestuft; verlaufen nun exklusive IOC-Gespräche mit dem bevorzugten Partner gut ab, könnten die Australier schon bei einer der nächsten IOC-Sessionen als Ausrichter zur Abstimmung vorgeschlagen werden. Die anderen potenziellen Bewerber, darunter auch die Initiative Rhein Ruhr City 2032, sind vom IOC zu Statisten degradiert worden.

Berlin, Leipzig, München, Hamburg, nun Nordrhein-Westfalen: Warum tut sich Deutschland mit Bemühungen um das olympische Spektakel so schwer?

„Das sind zwei Stränge“, erklärt Fecht-Weltmeister Max Hartung, Sprecher des Vereins Athleten Deutschland. „Zum einen sind es die Entscheidungsprozesse, die bei der Vergabe einfach besser laufen müssen. Zum anderen geht es darum, die Menschen zu erreichen. Und das gelingt in Deutschland nicht gut genug. Umso trauriger ist es, dass wahrscheinlich nun nicht die Chance besteht, die Bürger mit transparenten Konzepten zu überzeugen, dass ihnen klar wird: Wir haben alle etwas von diesem sportlichen Event.“

Thomas Bach denkt erst IOC, danach deutsch

Fecht-Weltmeister Max Hartung ist Sprecher des Vereins Athleten Deutschland.
Fecht-Weltmeister Max Hartung ist Sprecher des Vereins Athleten Deutschland. © DPA

Wer glaubt, Bach hätte aufgrund seiner Herkunft den Landsleuten einen Gefallen tun können mit dem Auftrag, die Spiele in elf Jahren an Rhein und Ruhr auszurichten, der irrt. Der Tauberbischofsheimer versteht sich als Weltbürger, und Bach dient allein dem Ringeorden, nationale Interessen sind dem untergeordnet. Und das IOC hat mit Deutschland auf gewisse Art genauso seine Probleme wie Deutschland mit ihm.

Sommerspiele in Deutschland haben nie ein gutes Ende genommen: 1936 in Berlin die Propagandaspiele unter dem Hakenkreuz, 1972 in München die Ermordung israelischer Delegationsmitglieder durch palästinensische Terroristen. Viel präsenter als düstere Erinnerungen sind heute die Bilder von Gigantomanie und Korruption, wenn das Stichwort IOC fällt. Weil Projekte wie die Hamburger Elbphilharmonie, der Berliner Flughafen oder der Stuttgarter Hauptbahnhof planerisch wie finanziell aus dem Ruder liefen, bleibt oft die Frage: Und dann soll man sich ein Großereignis wie Olympische Spiele aufhalsen?

Bürgerbefragungen in Deutschland: Olympia? Nein, danke

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Auf Sportfunktionäre wirkt die Strahlkraft der Fünf Ringe ungebrochen. Die Bürgervoten für München 2022 und Hamburg 2024 aber sagten zuletzt aus: Olympia? Nein, danke. „Wenn man für Transparenz sorgt, kann man das Vertrauen gewinnen, dass die Bürger sagen: Das sind unsere Spiele“, erklärt Hartung.

Die Menschen an Rhein und Ruhr kommen womöglich gar nicht dazu, vielleicht bei der Bundestagswahl im September über die Idee abzustimmen. Sportvermarkter Michael Mronz hat zwar angekündigt, die Initiative weiterzuführen, doch auch wenn seine Olympia-Vorstellung modernen Anforderungen genügt, sind die Erfolgsaussichten nun mager. Heute will er sich mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zum weiteren Vorgehen äußern. Hartung hofft auf eine Fortsetzung, ist aber skeptisch: „Es ist nun schwierig vorstellbar, wie man noch in einen geordneten Bewerbungsprozess zurückkehren könnte.“

Rhein Ruhr City 2032 und DOSB nicht auf einer Wellenlänge

Rhein-Ruhr-Initiator Michael Mronz (links) bekam zuletzt Unterstützung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.
Rhein-Ruhr-Initiator Michael Mronz (links) bekam zuletzt Unterstützung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. © DPA

Dass das IOC mit seiner Präferenz für Brisbane auch den Deutschen Olympischen Sport-Bund (DOSB) überrascht hat, ist ein anderes Problem: Der deutsche Sport ist international nicht so vernetzt und einflussreich wie erwartet. DOSB-Präsident Alfons Hörmann handelte gemäß der Absprachen mit der Initiative und dem Bundesinnenministerium, indem er dem IOC Gespräche absagte. „Es wäre nicht seriös gewesen, vorschnell in den Entwicklungsdialog einzutreten“, sagte der 60-Jährige. Bürgerbefragung und Finanzkonzept fehlen noch – also keine Verhandlungen über 2032. Brisbane – unbelastet, das Okay der Bevölkerung einholen zu müssen – hatte alle Parteien an Bord. Hartung: „Ich kann nicht nachvollziehen, warum man überrumpelt wurde. Es muss doch einen abgestimmten Fahrplan gegeben haben.“

Darüber hinaus scheint Deutschland für Olympia schon zu demokratisch zu sein. Eine Bürgerbeteiligung an Entscheidungsprozessen, dazu eine starke Vertretung, die sich für die Rechte der Athletinnen und Athleten einsetzt – dies ist alles nicht zwingend im Sinne des IOC. „Da kann ich nur mutmaßen“, erklärt Hartung, „aber wie toll wäre es, wenn ein Land mit einer meinungsstarken, selbstbewussten Athletenschaft Olympische Spiele organisieren würde?“ Zweifel an guten Spielen in Australien hat der 31 Jahre alte Kölner natürlich auch nicht.

IOC-Präsident Bach tut seinem Vertrauten Coates einen Gefallen

Gute Laune in Brisbane nach dem IOC-Votum zu Olympia 2032: Queenslands Premierministerin Annastacia Palaszczuk (links) und John Coates, Vertrauter von IOC-Präsident Thomas Bach und Chef des australischen NOKs.
Gute Laune in Brisbane nach dem IOC-Votum zu Olympia 2032: Queenslands Premierministerin Annastacia Palaszczuk (links) und John Coates, Vertrauter von IOC-Präsident Thomas Bach und Chef des australischen NOKs. © DPA

Nur haben auch interne IOC-Gefälligkeiten ein Gewicht bei der Vergabe der Spiele. John Coates ist Down Under Chef des Nationalen Olympischen Komitees. Der 70-Jährige ist der Vize von Thomas Bach, dessen wichtigster Mann bei der Planung der Corona-Spiele von Tokio in diesem Sommer. Auf Coates geht auch die Öffnung des Vergabeprozedere für ganze Regionen sowie das neue Bewertungssystem zurück. Bach preist es als „kostengünstig und unpolitisch“ an, es könne kein Einfluss von außerhalb des zehnköpfigen Komitees genommen werden. Hat sein Vertrauter Coates genau dies getan? Der IOC-Präsident wies solche Vorwürfe am Mittwoch zurück. Hartung: „Dass die Entscheidung pro Brisbane so schnell fiel, war schon überraschend. Überhaupt war es schwierig nachzuvollziehen, wie dieser Prozess abläuft. Das ist genau das falsche Signal.“

In unsicheren Pandemie-Zeiten wollte das IOC für die Sommerspiele 2032 eine rasche, sichere Lösung. Rhein-Ruhr hat auch ein gutes Konzept, Brisbane aber den größeren Rückhalt. So wird sich NRW vorerst nicht in die Liste von Gastgebern Olympischer Sommerspiele einreihen, die da bald lautet: Peking 2008, London 2012, Rio 2016, Tokio 2021, Paris 2024, Los Angeles 2028 – und eben Brisbane 2032.