Köln. Im Frühjahr startet eine Online-Befragung für fünf Millionen Vereinsmitglieder in NRW. LSB-Vizepräsidentin Küppers: „Lange überfällig“
Der Landessportbund NRW hat eine Studie in Auftrag gegeben, die sexualisierte Gewalt im Breitensport untersuchen soll. Experten der Universität Wuppertal und der Kinder- und Jugendpsychatrie des Universitätsklinikums Ulm sollen feststellen, wie oft Missbrauch und Grenzüberschreitungen in den Vereinen vorkommen. Für den Frühjahr 2021 ist eine anonyme Online-Befragung geplant, zu der die rund fünf Millionen Vereinsmitglieder zur Teilnahme aufgerufen werden. Erste Ergebnisse werden im Herbst 2021 erwartet.
„Dieser Schritt ist lange überfällig“, sagte Vize-Präsidentin Mona Küppers bei einem Pressegespräch am Dienstag in Köln. Der LSB habe bereits erfolgreiche Handlungsleitfäden für Vereine entwickelt, doch die Präventivarbeit müsse weiter verbessert werden. Der Verband möchte zudem Fakten schaffen. „Je tiefer man sich mit diesem Thema beschäftigt, desto schlimmer wird es“, sagt Martin Wonik, Vorstandsmitglied des LSB NRW. Ihn ärgere, wenn „durch sensationslüstige Medien und Wissenschaftler“ das Thema ohne Einordnung öffentlich präsentiert werde. „Wir wollen ganz konkret fragen, was passiert da?“
Im Breitensport gibt es noch keine Zahlen
Prof. Dr. Bettina Rulofs, Leiterin des Arbeitsbereiches Sportsoziologie an der Bergischen Universität Wuppertal, hat in einer früheren Arbeit bereits sexualisierte Gewalt im Leistungssport untersucht. Das Ergebnis damals: „43 Prozent der Sportlerinnen und 23 Prozent der Sportler haben eine Form sexualisierter Gewalt erlebt“, sagt Rulofs. Im Breitensport gibt es noch keine Zahlen. „Im Leistungssport haben Athletinnen und Athleten eine starke Abhängigkeit zum Trainer. Deshalb ist es schwierig, sich aus den Fängen zu befreien. Aber auch im Amateursport hat ein Trainer Macht. Die Möglichkeit, Druck auszuüben, gibt es auch hier.“ Zudem sei der Breitensport stark auf Ehrenamtliche angewiesen, der Einstieg in einen Verein stelle für potentielle Täter keine Hürde dar.
Der LSB engagiert sich laut eigener Aussage seit 25 Jahren im Kampf gegen sexualisierte Gewalt. Als der LSB 1996 eine erste Studie in Auftrag gegeben habe, sei der Verband angefeindet worden, berichtet Dr. Brigit Palzkill, LSB-Beauftragte zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. „Damals machten sich Vereine verdächtig, wenn sie ein Präventionskonzept erstellen wollten. Heute wird Prävention und Intervention als Normalität angesehen. Die Stimmung hat sich zum Glück geändert. Die Öffentlichkeit ist sensibler geworden.“ Palzkill mahnt aber auch: „Die Fixierung auf schwere Fälle stellt ein Problem dar. Ziel muss es sein, das über jede Form der Grenzüberschreitung gesprochen werden kann.“ Deshalb gehe es bei der Studie auch um verbale Gewalt oder Grenzüberschreitungen, die beispielsweise bei Hilfestellungen im Training erlebt wurden.
LSB will einen Betroffenenrat installieren
Neben der Studie hat sich die Arbeitsgruppe vorgenommen, Betroffene und deren Vereine zu kontaktieren. In Interviews soll der Fall aufgearbeitet werden, um die Präventions- und Aufklärungsarbeit zu verbessern. Außerdem will der LSB einen Betroffenenrat installieren. Man wolle das Wissen der Opfer nutzen, um andere zu schützen. „Betroffene haben ein enormes Wissen“, sagt Rulofs. „Sie haben ein großes Potenzial, dieses System zu ändern.“ Das Arbeitsziel wäre in dieser Form in Deutschland einmalig.
Die Studie läuft bis Juli 2022. Der LSB ist optimistisch, dass auch andere Landessportbünde einbezogen werden können.