Münster. Die querschnittsgelähmte Bahnradfahrerin Kristina Vogel genießt in Münster eine Reitstunde bei Vielseitigkeits-Olympiasiegerin Ingrid Klimke.

Die Geschichte beginnt 2016 in den Rocky Mountains. Zu dieser Zeit absolvieren die Bahnrad-Olympiasiegerinnen Kristina Vogel und Miriam Welte in Colorado Springs ein Trainingslager. Sie nutzen einen der Ruhetage in den USA, um einen Reiterhof zu besuchen. Vogel reitet dort zusammen mit Welte zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Pferd. Es ist ein Erlebnis, das ihr in Erinnerung bleiben wird.

Vier Jahre später nun, an einem Tag im Juni 2020, ist Kristina Vogel (29) in Münster-Amelsbüren. Die Landschaft hier hat mit der in Colorado nichts gemein. Berge gibt es nicht, stattdessen flaches Land: Felder, Wald und Wiesen. Vogel ist angereist, weil sie sich einen Eintrag von ihrer „Bucket List“ erfüllen will. Also von der Liste mit Wünschen, die sie 2018 nach ihrem schweren Trainingsunfall erstellte, als sie auf der Radrennbahn in Cottbus mit einem Rennfahrer bei hohem Tempo zusammenprallte. Ein Unfall, der ihr Leben für immer veränderte.

Athletinnen kennen sich aus dem Sporthilfe-Klub der Besten

Im Rollstuhl fährt die querschnittsgelähmte Thüringerin auf das Gelände des Integrativen Reittherapiezentrums. An ihrer Seite: die zweimalige Vielseitigkeits-Olympiasiegerin Ingrid Klimke (52), Gerd Schönfelder (49), als Ski-Rennfahrer erfolgreichster deutscher Sportler bei Paralympischen Spielen, und auch Miriam Welte (33), Vogels enge Freundin, mit der sie große Bahnrad-Erfolge im Duo feierte (Olympia-Gold 2012 in London im Teamsprint) und die im vergangenen Jahr ihre Karriere beendete.

Sie alle kennen sich schon seit längerer Zeit, haben gemeinsam auch Zeit im Klub der Besten verbracht, in der von der Deutschen Sporthilfe organisierten Urlaubswoche für Deutschlands erfolgreichste Athleten eines Jahres. Um sich eines ihrer neuen Lebensziele, eine Reitstunde bei Klimke, zu verwirklichen, hat Vogel am Morgen noch an einem Theorie-Seminar bei der Reitmeisterin teilgenommen. Nun steht der praktische Teil auf dem Plan.

Und dann sitzt Kristina Vogel auf Bernd, dem Pferd

Martina Schuchardt, Leiterin des Reittherapiezentrums, händigt die Helme aus. Schönfelder darf als Erster aufs Pferd, nun ist Vogel an der Reihe. In der Halle steht eine kleine Treppe mit vier Stufen, mithilfe derer sie auf das Pferd gesetzt werden soll, das den Namen Bernd trägt. Dabei hilft Oliver Schäfer (51), Weltes Lebensgefährte, der früher viele Jahre als Fußballprofi in der Bundesliga spielte, unter anderem beim 1. FC Kaiserslautern, wo er seit 2017 die U19 trainiert.

Zu Besuch in Münster: Die querschnittsgelähmte Bahnrad-Olympiasiegerin Kristina Vogel mit ihrer langjährigen Teamkollegin Miriam Welte (rechts) und Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke.
Zu Besuch in Münster: Die querschnittsgelähmte Bahnrad-Olympiasiegerin Kristina Vogel mit ihrer langjährigen Teamkollegin Miriam Welte (rechts) und Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke. © Lutz Kaiser / Agentur Datenreiter

Schäfer legt seine Arme um Vogel, umklammert sie fest, damit er sie aus dem Rollstuhl heben kann. Es ist ein Moment, in dem nicht nur Vogel die Anspannung anzusehen ist. Aber er hievt sie sicher aufs Pferd, während Schuchardt die Anweisungen gibt. Vogel sitzt im Sattel. „Ist das hoch!“ sagt sie und lächelt. Ihre Beine, die sie seit ihrem Unfall nicht mehr spürt, werden durch die Bügel an den Füßen gestützt.

Nach den ersten Runden in der Halle geht's nach draußen aufs Gelände

Schuchardt läuft auf der einen Seite mit, Klimke auf der anderen, während Bernd mit Vogel auf dem Rücken in der Reithalle die ersten Schritte macht. Auch Schönfelder und Welte reihen sich auf ihren Pferden ein. Nach drei Runden geht es nach draußen aufs Gelände. Das Wetter spielt an diesem Nachmittag mit. Vogels Helm glitzert mit kleinen Reflektoren in der Sonne. Sie strahlt übers ganze Gesicht.

Begleitet von einem Fernsehteam reiten Vogel, Welte und Schönfelder einige Meter über den Hof, dann über eine Allee. Sie dürfen sich dabei viel Zeit nehmen, es geht an diesem Tag entspannt zu. Wieder zurück an der Halle leistet Schäfer erneut Hilfe, indem er Vogel herunter vom Pferd zurück in den Rollstuhl hebt. Alles hat ohne Probleme geklappt. „Es ist ganz toll, dass sich Kristina das getraut hat“, sagt Klimke. „Ich hatte Gänsehaut.“

Vogel nach der Reitstunde: "Heute bin ich sehr stolz auf mich"

Vogel ist sehr glücklich. „Es ist verrückt: Auch ohne meine Beine zu spüren, kriege ich das Reiten gut hin“, sagt sie. „Heute bin ich sehr stolz auf mich, weil ich in einem normalen Sattel geritten bin.“ Sie kann nun auf ihrer Bucket List einen weiteren Haken machen. „Das ist etwas sehr Schönes, was mich grinsen lässt: Wer kann schon sagen, dass er mit Ingrid Klimke mal reiten war?“ Dass Miriam Welte wie damals in Colorado mitgeritten ist, hat für Kristina Vogel eine besondere Bedeutung: „Ich bin sehr froh, dass ich das erste und das erste neue Mal mit ihr teilen kann.“