Gummersbach. Handball-Legende Heiner Brand befürwortet den Abbruch der Bundesliga. Kiel sieht er als verdienten Meister – doch Zukunfts-Sorgen macht er sich.

Er war Handball-Weltmeister als Spieler und als Trainer, doch mit der Welt steht auch das Leben von Heiner Brand in Zeiten der Corona-Krise fast still. Der 67-Jährige hat im heimischen Gummersbach jedoch die jüngsten Entwicklungen im Handball verfolgt. Ein Gespräch über den Bundesliga-Abbruch, den Meister THW Kiel und die großen Zukunftssorgen des Sports.

Herr Brand, eigentlich glaubt man ja, jemand wie Sie hat schon alles erlebt. Und nun stecken wir in der Corona-Krise. Fühlt sich die jetzige Situation des Stillstands für Sie immer noch ein stückweit unglaublich an?
Heiner Brand: Nicht mehr, mittlerweile hat sich alles etwas eingespielt. Meinen letzten öffentlichen Auftritt hatte ich am 8. März als Experte des Fernsehsenders Sky beim Spiel der Füchse Berlin gegen die SG Flensburg-Handewitt, und schon auf dem Rückflug hatte ich ein richtig schlechtes Gefühl. Mit meiner Frau war ich danach noch einmal in Gummersbach essen – und seitdem sind wir größtenteils zu Hause. Was ich auch gar nicht so schlimm finde, bei dem schönen Wetter mit Terrasse und Garten. Aber da bin ich auch ein bisschen privilegiert, für viele Menschen in unserem Land ist die Situation eine dramatische, da müssen wir nichts schönreden.

Wie sieht denn Ihr Tagesablauf derzeit aus?
Brand:
Wie viele Leute haben wir viel im Haus gemacht. Also Dinge, für die wir vorher nie Zeit hatten, wie aufräumen und ausmisten. Da hat sich in über 40 Jahren viel angesammelt. Dann habe ich mich auch wieder an einen Englisch-Kurs im Internet gewagt und ich versuche, mich fit zu halten: Fahrradfahren, Walking, ein bisschen Gymnastik. Aber klar ist es ungewohnt, dass man viel weniger Kontakt zu Familie und Freunden hat.

Die Handball-Bundesliga hat sich am Dienstag zum Abbruch der Saison entschlossen. Die richtige Entscheidung?
Brand: Ich denke schon. Es war ja von vornherein klar, dass viele Mannschaftssportarten nicht die gleichen Voraussetzungen haben wie der Fußball, der ja abhängig von den hohen Fernsehgeldern ist. Im Handball spielt das TV-Geld im Etat der Teams eine kleinere Rolle, die Fernsehpräsenz ist eher ein zusätzlicher Anreiz für die Sponsoren. Von daher machen Geisterspiele im Handball viel weniger Sinn.

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Was auch Sie als Sky-Experte arbeitslos macht…
Brand:
Sicher wäre ich auch im Einsatz gewesen, auch die Vorträge, die ich sonst häufig in Unternehmen halte, fallen derzeit weg. Aber das ist jetzt eher nebensächlich. Geisterspiele hätten durchaus einen sportlichen Wert, aber das Ganze muss auch wirtschaftlich Sinn machen. Die Deutsche Eishockey-Liga hat ja schon sehr früh reagiert angesichts der Kosten für die großen Arenen, das wird sich nicht gerechnet haben. Im Handball ist es ähnlich, auch wenn viele Hallen nicht ganz so groß sind wie die im Eishockey. Sportlich ist die Entwicklung natürlich schade. Wobei die meiner Meinung nach stärkste Mannschaft der Saison auch Meister geworden ist, und in Flensburg liegt die zweitstärkste auf dem zweiten Platz.

Meister der abgebrochenen Spielzeit ist der THW Kiel. Aber ist ein Meistertitel in einer verkürzten Saison auch etwas weniger wert?
Brand:
Kiel ist momentan eben Tabellenführer, und auch wenn der THW mal ab und an geschwächelt hat, ist er doch die beste Mannschaft und war auch vor der Saison mein klarer Favorit. Aber es wird den Umständen entsprechend ja auch keine großen Feiern in Kiel geben, man wird diesen Titel vielleicht etwas anders einordnen als die anderen zuvor. Trotzdem kann man stolz sein in Kiel, weil man sich diese Position bis zum jetzigen Zeitpunkt erkämpft hat.

Finden Sie die angewandte Quotientenregelung zur Tabellenbestimmung, Pluspunkte geteilt durch Anzahl der Spiele mal 100, gerecht?
Brand:
Den Umständen entsprechend schon. Sicherlich ist das keine hundertprozentig gerechte Lösung, es hätte noch einiges passieren können, das letzte Saisondrittel ist häufig spannend. Der eine Klub hätte vielleicht noch stärkere Gegner gehabt als der andere. Oder erinnern wir uns an die Situation vor zwei Jahren, als die Rhein-Neckar Löwen den Titel auf der Schlussgeraden noch an Flensburg verspielt haben, womit wirklich niemand mehr gerechnet hatte. Aber es sind eben besondere Zeiten in allen Bereichen, und die muss auch der Sport akzeptieren.

Andere Ligen, die vorzeitig abgebrochen wurden, zum Beispiel die Handball-Bundesliga der Frauen, Eishockey und Volleyball, haben keinen Meister ausgerufen. Warum aber die Handball-Männer?
Brand: Das ist eine individuelle Entscheidung der jeweiligen Liga-Führung, die ist bei den Frauen eine andere als bei den Männern. Aber klar: Irgendwie hat jede Lösung in einer solchen Situation einen Hauch von Ungerechtigkeit. Aber die entsprechenden Liga-Organe sind ja mit mehreren Leuten besetzt, es muss also einen Konsens in der Entscheidungsfindung gegeben haben.

Neben dem HSC Coburg steigt nun auch Tusem Essen in die 1. Liga auf. Ihr VfL Gummersbach bleibt als Tabellenvierter in der 2. Liga…
Brand:
Ich hätte mich sicherlich sehr gefreut, wenn der VfL direkt wieder aufgestiegen wäre. Auf der anderen Seite bleibt die Frage, ob es sportlich und wirtschaftlich schon gereicht hätte, um in der Bundesliga zu bleiben. Ich habe hier in Gummersbach einige Zweitligaspiele gesehen, und da fällt es mir bei allen Teams schwer, an einen Verbleib in der 1. Liga zu glauben, zumal es vier Absteiger geben wird. Die zweite Liga ist vom Niveau her schon ein Stück von der ersten entfernt.

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Ohnehin gibt es sehr viele Fragezeichen, gerade was die Zukunft des professionellen Handballs betrifft. Kann die neue Saison eigentlich wie erhofft im September beginnen? Wie wird die Zwangspause den Klubs wirtschaftlich zugesetzt haben?
Brand: Das sind die großen Fragen. Ich denke, dass auch die Klubs da noch nicht viel weiter sind. Wer weiß, ob Zuschauer bis Ende des Jahres überhaupt zugelassen werden. Es fällt mir schwer, mir eine funktionierende Bundesliga ohne Zuschauer vorzustellen. Ich hoffe natürlich, dass es eine Lösung geben wird.

Man muss sich also große Sorgen um den Handball machen?
Brand:
Ja, um den Handball, aber auch um viele weitere Sportarten wie Basketball, Eishockey oder Tischtennis. Die sind einer ähnlichen Situation wie wir. Wobei es wohl sehr viel Verständnis seitens Sponsoren und Fans gibt und die Ausgleichsforderungen wegen der ausgefallenen Spiele hoffentlich nicht zu hoch ausfallen. Aber auch die Sponsoren können durch die Corona-Situation in wirtschaftliche Probleme geraten und werden dann andere Prioritäten setzen als die Unterstützung eines Sportvereins. Ich mache mir daher viel größere Sorgen um die kommende Saison. Auch der normale Zuschauer wird angesichts Kurzarbeitergelds oder gar Arbeitslosigkeit nicht mehr so engagiert dabei sein können wie zuvor. Das sind alle Dinge, die man noch gar nicht richtig abschätzen kann.

Auch die Spieler werden sich einschränken müssen, das derzeitige Gehaltsgefüge wird doch kaum zu halten sein.
Brand:
Wo kein Geld eingenommen wird, kann auch keins ausgegeben werden. Da müssen sich Spieler und Klubs unterhalten. Es gab ja schon die Notwendigkeit von Kurzarbeit und freiwilligem Gehaltsverzicht der Spieler, sonst wäre schon jetzt die Basis für die kommende Saison zerstört worden. Genau wie im Fußball ja auch. Die Spieler sind ja nicht dumm, die wissen auch, dass die Vereine ohne diese Solidarität schon früh in Schwierigkeiten geraten - und künftig gibt es dann gar nichts mehr.

Und es wird ein Terminchaos geben.
Brand:
Klar, wenn die Arenen wieder belegt werden und der Sport, Kunst und Unterhaltung mit Terminen versehen werden, wird es eng im Belegungsplan. Hinzu kommen die Verschiebungen der europäischen Handball-Ligen und von Turnieren wie Olympia. Aber irgendwie wird das schon klappen. Handballer sind es gewohnt, viel zu spielen.