Essen. Reiner Calmund, früherer Manager von Bayer Leverkusen, spricht über die Finanzprobleme der Bundesliga-Klubs während der Corona-Krise.

Die Corona-Krise lähmt den Fußball. Bei so manchem Klub geht die Angst um, dass finanzielle Ausfälle zur existenziellen Bedrohung werden könnten. Reiner Calmund hat eine ähnliche Situation schon erlebt. Er war Manager von Bayer 04 Leverkusen, als 2002 durch die Insolvenz des Medienunternehmers Leo Kirch der gesamten Bundesliga die TV-Einnahme wegzubrechen drohten. Wir haben beim 71-Jährigen nachgefragt, wie bedrohlich die Lage für die Vereine ist und welches Szenario für den Profifußball er für realistisch hält.

Herr Calmund, das Gebot der Stunde heißt derzeit: Zuhause bleiben, wenn es geht. Wie erleben Sie die Coronakrise?

Reiner Calmund: Man muss versuchen, es positiv zu sehen. Ich genieße derzeit, zuhause zu sein, und mehr Zeit mit meiner kleinen Tochter und Frau zu verbringen. Ich weiß aber natürlich, dass es viele Familien gibt, die es viel schwerer haben.

Sie haben bereits eine Finanzkrise im Fußball erlebt. Kann man die Kirch-Krise 2002 und die Corona-Krise heute vergleichen?

Auch interessant

Calmund: Zunächst einmal ist die jetzige wirtschaftliche Situation durch die Gesundheits-Problematik und die Größenordnung der TV-Gelder nicht direkt vergleichbar. Im Jahr 2002 haben wir mit Bayer 04 Leverkusen zum ersten Mal die 100-Millionen-Grenze beim Umsatz geknackt, weil wir in allen Wettbewerben, ob Meisterschaft, oder beim Finale in der Champions League und DFB-Pokal bis zum Schluss dabei waren. Einen ähnlichen Umsatz wie wir damals haben heute Teams wie Mainz oder Augsburg, die um den Klassenerhalt kämpfen. Rein wirtschaftlich war der drohende Wegfall der gesamten TV-Einnahmen durch die Kirch-Insolvenz damals ein größeres Problem für die Bundesliga als es die aktuelle Situation ist. Kurz vor dem Bundesliga-Start 2002/03 wurde die Krise durch eine optimale Kooperation der Liga, TV-Sender und Vertreter der Bundesregierung gelöst. Aktuell sind 75 Prozent der TV-Gelder für diese Saison bereits ausgezahlt, weil knapp 75 Prozent der Saison gespielt worden sind.

Heute werden allerdings auch deutlich höhere Gehälter bezahlt, als 2002...

Calmund: Das ist richtig. Zwar ist der Geldbetrag, der den Vereinen aktuell fehlt, gemessen am gesamten Umsatz nicht so groß, wie der Betrag, der 2002 wegzufallen drohte, aber wir erleben derzeit auch eine ganz andere Ausnahmesituation, die die gesamte Gesellschaft bedroht. Die Angst um unsere Gesundheit und die Panik, die wir teilweise erleben, machen das zu einer völlig anderen und größeren Krise.

DFL-Geschäftsführer Christian Seifert warnte, wenn die Saison abgebrochen werden müsste, würde es keine 20 Profiklubs mehr geben. Ist das auch Ihre Befürchtung?

Calmund: Der bezahlte Fußball hat mit Christian Seifert den optimalen Boss und Krisenmanager in dieser schwierigen Situation, im Moment möchte ich noch nicht über so ein Szenario sprechen. Die Lage ändert sich ständig, darüber können wir uns vielleicht im Juni unterhalten.

Gehen Sie denn davon aus, dass die Saison zu Ende gespielt werden kann?

Calmund: Ich möchte optimistisch bleiben. Die Sicherheit der Menschen steht natürlich an erster Stelle. Wir müssen die Virologen, Mediziner und Politiker ernst nehmen, die sagen, dass wir keine Bundesligaspiele mit vollen Stadien austragen können – auch wenn ich mich freuen würde, wenn es anders käme. Geisterspiele mögen wir alle nicht, aber die haben in dieser wirtschaftlichen Lage eine ganz andere Wertigkeit.

Inwiefern?

Auch interessant

Pause - der Ball ruht in der Bundesliga vorerst bis zum 30. April.
Von Marian Laske und Manfred Hendriock

Calmund: Ich bin sicher, viele Leute, die jetzt zuhause bleiben müssen, würden gerne Fußballspiele sehen, selbst wenn keine Zuschauer im Stadion sind. Ich denke auch, dass die Vereine mit der Situation umgehen können. Die Fälle unter den Profis schießen bisher nicht in den Himmel. Wenn man die Spieler von der Öffentlichkeit abschottet, für medizinische Überwachung sorgt und alle nötigen Maßnahmen ergreift, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren, sehe ich eine realistische Chance, dass man Ende Mai, Anfang Juni durchaus Geisterspiele austragen kann. Da die Europameisterschaft verlegt wurde, ist die Zeit da, um theoretisch sogar bis Mitte Juli zu spielen.

Üblicherweise laufen Profiverträge Ende Juni aus, könnte das nicht ein Problem sein?

Calmund: Sie können davon ausgehen, dass die großen Ligen Europas in diesem Fall eine gemeinsame Regelung finden würde, um etwa alle Verträge zwei, drei Wochen länger laufen zu lassen, wenn es nötig sein sollte.

Die Vereine erleben aktuell ein Szenario, dass sie sich nicht hätten ausmalen können und das für sie zum Teil zur existentiellen Bedrohung wird. Glauben Sie, nach der Krise werden die Manager vorsichtiger sein und sparsamer mit Geld umgehen?

Calmund: Es wurde schon 2002 zu uns gesagt, das seien ja Wahnsinnsbeträge, die da im Fußball ausgeben werden und irgendwann werde die Blase platzen. Das ist jetzt 18 Jahre her und man hört heute beim rund vierfachen Umsatz die gleichen Bedenken. In der derzeitigen Notsituation werden die Vereinsvertreter und die Spieler natürlich nachdenklich. Aber man muss realistisch bleiben. Wenn irgendwann Normalität einkehrt, werden die guten Vorsätze vermutlich wieder über den Haufen geworfen. Dann gilt wieder: Höher, schneller, weiter!