Essen. In 14 Wochen soll die Tour de France beginnen. Der deutsche Radprofi Marcel Kittel hat Zweifel an den Plänen der Organisatoren. Ein Interview.
Erst wurde die Fußball-Europameisterschaft, dann die Olympischen Sommerspiele in Tokio auf 2021 verschoben. Von den internationalen Großereignissen steht neben dem Tennis-Turnier in Wimbledon die Tour de France im Wettkampfkalender für den Sommer 2020. Der 2019 zurückgetretene deutsche Radsport-Star Marcel Kittel, der mit 14 Etappensiegen der erfolgreichste deutsche Tour-Teilnehmer ist, hält eine Tour in diesem Jahr zum vorhergesehenen Termin für unwahrscheinlich. Die von der französischen Sportministerin Roxana Maracineanu bezeichnet der 31-Jährige als „völlig unvernünftig“.
Herr Kittel, sowohl die Fußball-Europameisterschaft 2020 als auch die Olympischen Sommerspiele 2020 sind ins Jahr 2021 verlegt worden. Warum ist die Tour de France 2020 noch nicht verschoben worden?
Es ist nicht grundlegend falsch, die Lage jetzt zu beobachten und zu schauen, wie sich die Corona-Krise entwickelt. Ich möchte nicht in der Haut der Organisatoren stecken. Als Radsportfan wünsche ich mir, dass die Tour im Sommer stattfindet, aber ich sehe auch die Realität. Wenn sich die Corona-Krise nicht schnell bewältigen lässt, dann wäre es gut, wenn die Tour im Sommer eine Pause macht und später ausgetragen wird. Man kann die Tour nicht mit allen Mitteln durchziehen.
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Die französische Sportministerin hat die Idee einer Geister-Tour ohne Zuschauer in die Diskussion eingebracht. Wäre dies denkbar?
Das wäre völlig unvernünftig. Das hieße ja, wir denken über eine Tour nach, die in einer Zeit durch Frankreich rollen würde, in der sich das Coronavirus noch weiter ausbreiten würde. Sonst müssten die Zuschauer ja nicht geschützt werden. Das ist die Sache nicht wert, dann sollte man lieber davon ablassen und nicht auf Krampf die Tour organisieren.
Insgesamt zehn bis zwölf Millionen Zuschauer stehen normalerweise an der Strecke. Die Strecke wäre wohl nicht zu kontrollieren.
Nein, überhaupt nicht. Aber eine Tour ohne Zuschauer ist auch aus einem anderen Grund für mich undenkbar. Bei einem Geisterspiel in der Fußball-Bundesliga ist ein überschaubarer Kreis von Menschen beteiligt. Bei einer Tour sind mehr als tausend Personen in den Rennställen und der Organisation beschäftigt und bewegen sich von Etappenort zu Etappenort. Das geht einfach nicht.
Matteo Trentin hat den Vorschlag gemacht, im Herbst die drei großen Rundfahrten Giro d’Italia, Tour de France und Vuelta zu einer Europa-Tour zusammenzulegen. Jeweils eine Woche durch Italien, Frankreich und Spanien. Ist das machbar?
Ich bin niemand, der gern spekuliert, wie die Sachlage im Herbst sein wird. Eine solche Tour jetzt zu organisieren, halte ich für unwahrscheinlich, weil die Rennställe und Sponsoren schon jetzt im Dauerstress sind, um mit den Folgen der Corona-Krise klarzukommen. Eine Europa-Tour ist Wunschdenken. Aber ein interessantes Konzept für die Zukunft.
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Sie leben in der Schweiz und haben Kontakt zu Ihren früheren Kollegen Maximilian Schachmann und Tony Martin. Wie fühlen sie sich in dieser schweren Zeit?
Mit Schachi bin ich noch vor zwei Tagen gefahren. Es ist nicht einfach für ihn. Er hat gerade Paris-Nizza gewonnen und jetzt brechen ihm die Ziele für diese Saison weg. Aber Schachi und Tony trainieren hart. In der Schweiz darf man noch zu zweit auf der Straße fahren. Zusätzlich machen sie viele Kilometer zu Hause auf der Fahrrad-Rolle.
Haben die beiden noch Optimismus?
Sicher, sonst kann man sich nicht motivieren für ein so hartes Programm. Aber es ist eine schwierige Phase und eine harte Probe für den Kopf.
Sie haben auch mal in Spanien gelebt. Haben Sie noch Kontakt zu den Radprofis in Girona?
Ja. Dort ist die Lage dramatisch. In der Region leben rund 150 Radprofis. Fahrradfahren auf der Straße ist nicht erlaubt und wird streng kontrolliert. Wenn ein Profi stürzen würde, würde er die Kapazität der dortigen Krankenhäuser belasten. Dort werden die Betten jetzt für Corona-Patienten benötigt. Das ist mehr als verständlich. In dieser Zeit muss der Sport zurückstecken. Jetzt geht es darum, durch diese schwere Zeit zu kommen. Wir müssen alles dafür tun, dass möglichst viele Menschen vom Coronavirus verschont werden.