Aschersleben. Am Freitag soll Alfred Gislason seinen Einstand als Bundestrainer gegen die Niederlande geben. Doch es drohen leere Ränge wegen des Coronavirus.

Seine Premiere droht ein Geisterspiel zu werden: Alfred Gislason steht am Freitag vor seinem Einstand als Bundestrainer, die deutschen Handballer treffen auf die Niederlande (18 Uhr/ARD). Am Montagabend hatte die Ausrichterstadt Magdeburg jedoch alle Veranstaltungen der kommenden Tage mit mehr als 1000 Zuschauer ausgesetzt. Die Auswirkungen auf das Spiel? Es wird trotzdem stattfinden. Aber wahrscheinlich ohne Zuschauer oder nur vor kleiner Kulisse.

"Natürlich ist das Testspiel in Magdeburg gegen die Niederlande ein wichtiger Teil der Vorbereitung. Natürlich haben wir gehofft, vor voller Halle spielen zu können, das richtig Stimmung aufkommt“, sagte Gislason am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. „Das wäre schon eigenartig, wenn man das erste Länderspiel als Bundestrainer vor leeren Rängen machen muss“, sagte der 60-Jährige.

Klar ist: In der Sporthalle in Aschersleben wachsen keine Rosen. Der nächste Teich ist auch weit entfernt, und doch lächelte Alfred Gislason, als er seine Spieler am Montagmittag in Aschersleben empfing. Es ist sein erster Lehrgang als Bundestrainer, die erste Gelegenheit, sein Team kennenzulernen, bevor es direkt losgeht: Testspiel am Freitag gegen die Niederlande, Olympiaqualifikation ab 17. April in Berlin und dann im Juli zu den Sommerspielen ins japanische Tokio. Das ist der Plan des Deutschen Handballbunds (DHB), deshalb haben sie den 60-Jährigen aus dem Ruhestand geholt. Weg von den Rosen, weg vom Angeln.

Gislason: "Hatte die Schnauze voll"

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Gislason selbst kam das ganz gelegen. Lange hatte er sich auf den Ruhestand nach knapp 40 Jahren im Profihandball gefreut. Nach 15 Jahren als Spieler, unter anderem bei Tusem Essen und dem spanischen Klub Bidasoa Irún. Nach 22 Jahren als Trainer in der Bundesliga, elf davon mit Titeln dekoriert beim THW Kiel. Im vergangenen Juni war dann Schluss, noch einmal hatte er mit Kiel im internationalen EHF-Cup triumphiert und auf nationaler Bühne den DHB-Pokal gewonnen, seinen Nachfolger Filip Jicha hatte er selbst eingearbeitet – Ruhestand mit 59 Jahren. Rosenzüchten, Angeln, Zeit mit den Enkeln verbringen... Gislason hatte viele Pläne. Aber: „Was ich nicht erwartet habe war, dass ich nach drei, vier Monaten die Schnauze voll davon hatte“, sagt Gislason. „Es hat richtig gejuckt. Ich habe gemerkt, welch großer Bestandteil meines Lebens der Handball ist.“

Und so zögerte er nicht, als der DHB nach dem fünften Platz bei der EM auf ihn zukam und aller Beteuerungen während der EM zum Trotz Christian Prokop feuerte. Die Olympiaqualifikation schien zu wichtig, um auf den in den vergangenen drei Jahren titellos gebliebenen Prokop zu setzen. DHB-Vizepräsident Uwe Schwenker pochte auf Gislason, den er als Manager des THW Kiel einst aus Gummersbach an die Förde geholt hatte. Ein Titelgarant, ein Mann mit natürlicher Autorität, ein Trainer, der schon alles gesehen hat. Gislason soll es richten. Ein hoher Druck? „Eine gewisse Nervosität ist immer da“, gibt Gislason zu. „Ich finde, das ist auch gut. Wenn das nicht mehr der Fall ist, hat man das Feuer verloren. Druck ist für viele etwas Angsteinflößendes, aber ich habe das meistens als etwas Schönes empfunden, denn Druck ist die Erwartung, etwas richtig Gutes abzuliefern.“

Bundestrainer ist ein Traumjob für den Isländer

Bundestrainer – es ist ein Traumjob für den Isländer, auch wenn er zwischen 2006 und 2008 auch die Auswahl seines Geburtslandes betreut hatte. „Ich lebe seit 29 Jahren in Deutschland, habe die Hälfte meines Lebens hier verbracht. Die Spieler, die heute spielen, habe ich mehr oder weniger aufwachsen sehen. Vor vielen Jahren habe ich den Job nicht annehmen können, weil ich dem THW Kiel verpflichtet war. Die Anfrage kam unerwartet, aber ich freue mich auf den Start.“

Der verlief mit vielen Umarmungen und Händeschütteln. Es war ein Wiedersehen von Gislason und Deutschlands besten Handballern, die er zuletzt wie Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold beim THW trainiert hatte, und etablierten Nationalspielern wie Johannes Bitter, Silvio Heinevetter und Kai Häfner, lange Jahre Gislasons Gegner in der Bundesliga. Mit ihnen will er nun die Zukunft des deutschen Handballs gestalten, die Qualifikation schaffen – und dann das Ziel der Verbandsoberen umsetzen: Olympiagold.

DHB-Präsident ist auch Oberbürgermeister

Olympiagold? Ein Ziel, das vermessen klingt, wenn bisher nicht einmal die Qualifikation gesichert ist. Deshalb bleibt auch Gislason realistisch: „Wenn man aber ehrlich ist: Mindestens die Hälfte der Mannschaften, die es zu Olympia schaffen werden, hat auch den Traum von einer Medaille. Das wird uns nicht anders gehen – falls wir die Qualifikation schaffen.“

Die Voraussetzungen dafür will er in den kommenden Trainingstagen legen. Vor Ort wird es wohl an nichts fehlen, dafür sorgt schon DHB-Präsident Andreas Michelmann – er ist der Oberbürgermeister der Stadt in Sachsen-Anhalt. Auch sonst hat Gislason alles vorbereitet auf seinem nur rund eine Autofahrstunde von Aschersleben entfernten Hof im Jerichower Land, Rosensträucher und Obstbäume sind gepflegt. Gislason: „Der Garten sieht ganz gut aus. Der Sommer kann kommen.“ Und mit ihm die Olympischen Sommerspiele.