London. Der Warsteiner Tennis-Profi Jan-Lennard Struff spricht über die Gründe für seinen Erfolg, den Mythos Wimbledon und zertrümmerte Schläger.
Einen sehr wichtigen Termin musste Jan-Lennard Struff für diesen Samstag absagen. Zehn Jahre nach dem Abitur am Gymnasium Warstein steht ein Jahrgangstreffen an. „Wäre sicher sehr interessant gewesen, die Leute alle mal wiederzusehen“, sagt der 29-Jährige, der für seine Absenz allerdings eine höchst plausible Begründung vorweisen kann. Beim Grand-Slam-Turnier in Wimbledon, das am Montag startet, will der Weltranglisten-34. seinen Vorjahreserfolg – Einzug in die dritte Runde inklusive Center-Court-Rendezvous mit Roger Federer – möglichst noch übertreffen. Sein Gegner in Runde eins: Marcos Baghdatis aus Zypern.
Herr Struff, wenn Sie sich den Ort für Ihren ersten Turniersieg im Einzel auf der ATP-Tour aussuchen dürften, welcher wäre es?
Jan-Lennard Struff: Wimbledon, ganz klar. Es gibt kein Turnier, das ein solches Prestige hat wie dieses. Über der Anlage liegt ein Mythos, sie ist unglaublich besonders. Dieses Flair spürt jeder, der zum ersten Mal herkommt. Es ist eine eigene Welt. Hier zu gewinnen wäre der größte Traum.
Seit Ihrem Drittrundeneinzug im vergangenen Jahr haben Sie sich kontinuierlich verbessert, zuletzt bei den French Open erstmals die zweite Woche eines Majorturniers erreicht. War Wimbledon 2018 für Sie ein Wendepunkt?
Das kann man sicherlich so sehen. Natürlich war das Match gegen Roger auf dem Center-Court eine ganz besondere Erfahrung, denn auf diesen Platz kommt man normalerweise nicht. Aber für mich war der Weg dorthin entscheidender, dass ich die Matches gegen Leonardo Mayer und Ivo Karlovic trotz 0:2-Satzrückständen gewinnen konnte. Daran bin ich besonders gewachsen.
Was bewirken solche Erfahrungen?
Einerseits wächst damit das Selbstvertrauen. Andererseits wird man nach solchen Siegen von den Gegnern anders wahrgenommen, das eigene Standing verändert sich. Das Spiel gegen Roger konnte ich dagegen gar nicht richtig genießen, weil ich es verloren habe. Für mich steht der Erfolg über allem, es geht nicht um das Genießen von Nebensächlichkeiten. Deshalb waren die Matches gegen Mayer und Karlovic für mich persönlich prägender.
"Der Glaube an mein Spiel ist deutlich gewachsen"
Sie haben in dieser Saison noch einmal einen Sprung gemacht, sind konstanter geworden und als zweitbester deutscher Profi erstmals in die Top 40 der Welt vorgestoßen. Worin liegen die Gründe dafür, dass Ihnen das zu einem relativ späten Karrierezeitpunkt gelungen ist?
Ein entscheidender Faktor ist die sehr zielgerichtete Arbeit, die ich mit meinem Trainer Carsten Arriens und meinem Physio Uwe Liedtke leiste. In der Winterpause waren wir zum Beispiel auf Teneriffa, wo ich mit Dominic Thiem und einer Reihe anderer Topspieler trainieren konnte. Das hat mich unheimlich weitergebracht. Dazu kommt sicherlich das gewachsene Selbstvertrauen dank der Erfolge. Der Glaube an mein Spiel ist deutlich gewachsen. Früher bin ich gegen die Topspieler auf den Platz gegangen und habe gedacht: Ich habe keine Chance, ich versuche halt mein Bestes. Wenn man aber ein paar Gute schlägt, weiß man: Wenn ich mein Können abrufe, habe ich gute Chancen zu gewinnen. Und daran glaube ich jetzt.
"Emotionen zu unterdrücken ist nie gut"
Sie haben außerdem daran gearbeitet, auf dem Platz emotionaler aufzutreten. Warum war das wichtig für Sie?
Ich bin grundsätzlich eher ein introvertierter Kerl. Auf dem Platz ist das aber nicht immer hilfreich, da muss man auch mal aus sich herauskommen. Emotionen zu unterdrücken ist nie gut.
Aber das kann man sich doch nicht einfach verordnen. So etwas muss doch aus einem selbst herauskommen.
Das stimmt. Ich mache auch jetzt keine Sachen, die ich nicht machen möchte. Aber ich hatte diese Emotionen immer schon in mir drin, habe sie nur nie offen gezeigt. Jetzt tue ich es. Anfangs war es etwas komisch, aber jetzt kommt es automatisch. Und ich spüre, dass es auf die Gegner wirkt, wenn man sich mal die Faust gibt, anstatt alles im Stillen mit sich auszumachen.
Werden wir Sie also auch Schläger zertrümmern sehen wie Alexander Zverev?
Ich habe schon Schläger zertrümmert, das hat nur keiner mitbekommen. Ich finde das nicht grundsätzlich schlimm, das kann schon mal passieren.
"Es geht darum, die richtige Balance zu finden"
Stehen überzogene Emotionen nicht aber dem Erfolg eher im Weg? Nadal, Federer oder Djokovic sieht man auf dem Court niemals ausrasten.
Die Topleute schaffen es immer, die Kontrolle zu bewahren, und das ist herausragend. Ich will mir meine ruhige Art ja auch gar nicht abgewöhnen. Es geht darum, die richtige Balance zu finden. Das ist ein Kunststück, mit dem jeder Mensch zu kämpfen hat. Damit muss man sich ständig auseinandersetzen und versuchen, sich immer weiter zu verbessern. Aber für mich funktioniert die neue Mischung sehr gut.
Sie sind seit einigen Monaten Vater eines Sohnes. Sind Sie auch dadurch ein emotionalerer Mensch geworden?
Die Geburt von Henri ist viel größer als alles andere. Natürlich beflügelt er mich. Er war in München, Stuttgart und Halle dabei, kommt auch nach Hamburg und zu den US Open mit. Das bedeutet mir sehr viel.
Was müssen Sie denn noch optimieren, um dauerhaft in der Weltspitze mithalten zu können?
Meine Quote beim ersten Aufschlag, da liege ich aktuell bei 56 Prozent. Zwei, drei Prozent mehr wären sehr hilfreich, denn ich gewinne 78 Prozent meiner Servicepunkte, wenn der erste Aufschlag kommt. Das ist ein Top-Ten-Wert. Außerdem muss ich noch variabler spielen und mein Netzspiel noch verbessern.
Darum spielen Sie ja sehr aktiv Doppel. Können Sie beschreiben, was Ihnen das für Ihr Einzelspiel bringt?
Einzel steht für mich absolut im Vordergrund, aber es war tatsächlich so, dass ich mein Einzel über das Doppel verbessern wollte. Aufschlag, Return und Volley werden im Doppel sehr viel trainiert, dazu kommt das spielerische Verständnis, zum Beispiel das intuitive Abdecken des Feldes. All diese Dinge habe ich dank des Doppelspielens deutlich verbessern können.
Sie haben sich entschieden, auch in diesem Jahr wieder mit dem Japaner Ben McLachlan bei den Grand-Slam-Turnieren anzutreten. War es keine Option, mit Tim Pütz zu spielen, mit dem es im Daviscup so perfekt läuft?
Eine Option ist das immer, am Hamburger Rothenbaum werden wir zum Beispiel zusammen auflaufen, weil Ben nach Wimbledon nicht auf Sand zurückgehen will. Aber mit Ben habe ich erstens auch viel Spaß, und zweitens waren wir 2018 und Anfang dieses Jahres sehr erfolgreich zusammen. Zuletzt war es etwas schwierig, aber in Wimbledon und bei den US Open wollen wir wieder angreifen. Was dann kommt, wird man sehen.
Das Doppel hat durch den French-Open-Triumph von Kevin Krawietz und Andreas Mies in Deutschland eine deutliche Aufwertung erlebt. Dass Boris Becker danach forderte, Krawietz/Mies auch im Daviscup aufzustellen, kann Ihnen aber nicht gefallen. Schließlich soll doch die Story von „Tim und Struffi“ weitergeschrieben werden.
Das entscheidet unser Teamchef Michael Kohlmann, wenn es so weit ist. Bis zum Daviscupfinale im November ist ja noch etwas Zeit. Der Erfolg von Kevin und Andreas kam aus dem Nichts, war aber unfassbar. Die beiden haben einen unglaublichen Spaß ausgestrahlt und herausragend gespielt. Tim und ich nehmen die Herausforderung gern an. Allerdings muss man bedenken, dass es einen neuen Daviscup-Modus mit zwei Einzeln und dem Doppel am selben Tag gibt. Da Sascha Zverev nicht dabei ist, könnte ich das zweite Einzel spielen und hätte dann nur eine kurze Pause bis zum Doppel. Für mich ist das kein Problem, ich spiele gern beides. Aber der Teamchef wird entscheiden, was das Beste ist.
Wünschten Sie sich mit Tim Pütz nicht eine Stammplatzgarantie als Wertschätzung für das Geleistete?
Ich glaube schon, dass wertgeschätzt wird, was Tim und ich geleistet haben. Konkurrenz ist doch gut, das spornt uns alle an.
Wie wichtig ist Ihnen denn Anerkennung von außen?
Sie ist immer schön, aber ich bin davon nicht abhängig. Ich weiß, dass ich ganz gut Tennis spielen kann. Was mich viel mehr ärgert, ist die Tatsache, dass in manchen Medien schlechte Nachrichten viel mehr bedeuten als gute. Die Wortwahl ist da entscheidend. Ich mag zum Beispiel das Wort „scheitern“ nicht, wenn jemand in der zweiten Runde ausscheidet. Das klingt so abwertend, „ausgeschieden“ würde doch auch reichen. Ich versuche deshalb, nicht zu viel zu lesen und mich nicht von der öffentlichen Meinung abhängig zu machen. Man wird es nie allen recht machen können. Und anders, als es viele Experten weismachen wollen, ist es nicht so leicht, sich in der Weltspitze zu behaupten. Es gibt so viele gute Spieler, die das auch wollen.
Mit Alexander Zverev gibt es im deutschen Herrentennis wieder einen Spieler, dem man Grand-Slam-Titel zutraut. Hilft Ihnen das auch, weil Tennis dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommt, oder hemmt es Sie, weil die Spieler im Schatten weniger beachtet werden?
Ich glaube, dass es eher hilft, denn die gestiegene Aufmerksamkeit kommt uns allen zugute. In Deutschland ist es seit der Ära von Steffi Graf und Boris Becker traditionell schwer, als Tennisprofi aufzufallen. Aber ich glaube, dass sich da zuletzt einiges bewegt hat. Es gibt aber immer noch Luft nach oben. Wenn ich auf deutschen Turnieren von Fans auf Englisch um ein Autogramm oder ein Foto gebeten werde, wundere ich mich schon. Ich kannte früher die Spieler, von denen ich Autogramme wollte.
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Stimmt es, dass Sie früher bei den French Open im Auto übernachtet haben, um Ihren Idolen nah zu sein?
Ich war mit meiner Mutter in Paris, und da die Hotels ausgebucht waren, haben wir im Auto übernachtet. Aus dieser Zeit stammt auch meine besondere Sympathie für die French Open.
Bei den French Open sind Sie erstmals in die zweite Woche eines Grand-Slam-Turniers eingezogen, auf der ATP-Homepage geben Sie Paris als Ihr Lieblingsturnier und Sand als Ihren Lieblingsbelag an. Stimmt das noch?
Ich bin auf Sand groß geworden, aber mittlerweile bin ich ein Allrounder und spiele auf Hartplatz in der Halle mein bestes Tennis. Und die French Open mag ich noch immer, aber das Turnier, das ich am liebsten gewinnen würde, ist Wimbledon.
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Sollte Ihr großer Traum tatsächlich wahr werden, wären Sie dann bereit für die Rolle als Publikumsliebling?
Wenn ich sehe, wie Roger oder Rafa in Paris oder Wimbledon belagert werden, bin ich schon dankbar, dass ich in Ruhe über die Anlagen gehen kann. Dieses Level ist für mich fernab jeder Realität. Ich würde allerdings gern so gut spielen können wie sie. Da könnten wir gern tauschen!