Paris. Struff steht nach Vier-Stunden-Match im Achtelfinale der French Open. Er ist gereift, vielseitiger, emotionaler und trifft nun auf die Nummer 1.

Paris. In den ersten Grand Slam-Tagen von Paris war Jan-Lennard Struff auch so frei, über seine alten Probleme zu sprechen. Es sei immer schwer gewesen für ihn, „mal so richtig aus sich raus zu kommen“, er habe sich bemüht, das „innere Feuer“ zu entfachen. Aber er sei eben oft auch „ein bisschen“ gescheitert an sich selbst. An dem, was auch Fans, Freunde und Kollegen sahen bei dem etwas zerbrechlichen Riesen aus Ostwestfalen: Das Phlegma, das etwas stoische Naturell, das insgesamt untertemperierte Auftreten. Struff verlor auch deshalb viele Spiele, die er nicht hätte verlieren sollen. Er machte das Mögliche oft unmöglich. Und nicht umgekehrt.

Wer ihn nun am ersten Turnier-Samstag der French Open erlebte, draußen auf Platz 14 der Turnieranlage Roland Garros beim ersten Grand Slam-Achtelfinaleinzug überhaupt, hätte ihn kaum wiedererkannt. So wie einen Schulkameraden, an dem man beim Klassentreffen nach vielen Jahren vorbeiläuft, weil er in jeder Beziehung nicht mehr der Alte ist. Struff hat auch ein anderes, aber neues Gesicht, ein erfrischendes Gesicht, der 29-jährige Struff ist der beste Struff, den es je gab. Charakterlich gereift, vielseitiger, präsenter, emotionaler, mitreißender als Spieler, noch dazu ausgeglichener und glücklicher als frischgebackener Vater eines zwei Monate alten Sohns – Struff wirkt gerade wie einer, der mit sich und der Welt im reinen ist, der sich auch eine ganz neue Tenniswelt erschlossen hat. „Ich glaube an mich, mehr als je zuvor“, sagt er.

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„Er hat eine neue Stufe in seiner Karriere erklommen“, befand DTB-Herrenchef Boris Becker nach Struffs triumphalem 4:6, 6:1, 4:6, 7:6 (7:1), 11:9-Erfolg gegen den Kroaten Borna Coric im Tollhaus French Open. Nächster Gegner Struffs: Ein gewisser Novak Djokovic, die Nummer eins der Welt, der Beste der Besten im Augenblick. Doch in Ehrfurcht zu erstarren vor den Platzhirschen der Szene, ist Struffs Sache längst nicht mehr: „Wenn ich rausgehen würde, um nur ein ordentliches Spiel zu machen, hätte ich hier nichts zu suchen. Ich will gewinnen. Und ich sehe auch eine Chance.“

Struff geht jedes Risiko ein

Struff, der Gigant mit dem mächtigen Bumms, besonders beim Aufschlag, war ja immer als leicht drolliger Zeitgenosse verschrieen in der Branche. Ein netter, lieber Kerl. Ein guter Kumpel, sehr verläßlich, eine mit auserlesen trockenem Humor. Wenn er sprach, meinte man den Paderborner Kabarettisten Rüdiger Hoffmann zu hören: „Ja, hallo erstmal.“ Aber mit der Gemütlichkeit und Freundlichkeit ist es nun vorbei, jedenfalls auf dem Tenniscourt. Dort, an seinem Arbeits-Platz, zeigt Struff Biß. Beweist Mut und Mumm. Wenn es heiß und brenzlig wird in den Matches, bei den „Big Points“, zieht Struff nicht zurück. Sondern erhöht das Risiko. Sein Motto, nicht neu, aber zutreffend: „Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts.“

So wurde er auch zum Schrecken der Favoriten, in den letzten, ganz starken Monaten dieser Saison 2019. Und nun auch in Paris – beim Match gegen Coric, den ambitionierten, jungen Kroaten. Vier Stunden und 22 Minuten ackerte und rackerte Struff, holte immer wieder Rückstände auf, machte zwei Breaks im letzten Akt des Krimis wett - es sei eine „Mörderstrapaze“ gewesen, sagte er hinterher. Aber es war auch eine bestandene Reifeprüfung. Ein Match, typisch für den neuen, den besseren, den besten Struff. Den Struff, der sich auf seine Baseballkappe den Slogan „Never quit“ hat aufdrucken lassen – „Niemals aufgeben.“

In der ersten Turnierwoche trainierten Struff und sein prominenter Landsmann Alexander Zverev regelmäßig miteinander, die beiden Davis Cup-Kollegen aus unterschiedlichen Welten. Die Riesen verstehen sich gut, der Sascha sei schon „ein netter Kerl“, bemerkte Struff lapidar, der werde „oft verkannt.“ Erstmals bewegen sie sich sportlich gefühlt auf Augenhöhe, als gemeinsame Achtelfinalisten. Zverev, Sieger in einer 6:4, 6:2, 4:6, 1:6, 6:2- Achterbahnfahrt gegen den Serben Dusan Lajovic, freute sich demonstrativ mit Struff, er riß in seiner Pressekonferenz die Arme hoch, als er von Struffs Coup erfuhr. „Er hat sich´s mehr als verdient, er ist ein geiler Spieler. Viele wissen das leider gar nicht“, sagte Zverev, der nun gegen den Italiener Fabio Fognini gefordert ist, „und ich kenne niemanden, der Struffi das nicht gönnt.“

"Habe das Beste noch vor mir"

Im Live-Ranking rückte Struff nach seinem Einzug in die Runde der letzten 16 erstmals unter die Top 40 der Welt vor, auf Platz 38. Mehr soll noch kommen, mit seinen 29 Jahren beginnt er ja gerade erst, seine Potenziale so richtig auszuschöpfen. „Ich glaube, ich habe das Beste noch vor mir“, sagt Struff. Gerade auf Rasen hat der Warsteiner noch Reserven, der Mann, der seine Aufschläge meist mit über 200 Stundenkilometern ins gegnerische Feld trommelt. Doch noch gehen die Rutschübungen im roten Sand weiter, nun auch auf ganz großer Grand Slam-Bühne gegen den scheinbar unangreifbaren Djokovic. „Es wird ein großer Tag“, sagt Struff. Vielleicht sogar ein denkwürdiger Tag.