Dortmund. Martin Sauer gibt seit zehn Jahren die Kommandos im Deutschland-Achter. Zur EM am Wochenende spricht der Steuermann über Erfolg und Ansprüche.

Martin Sauer ist nur 1,69 Meter groß, aber die Zwei-Meter-Recken des Deutschland-Achters hören auf sein Kommando. Der 36-jährige Sauer ist der Steuermann des deutschen Flaggschiffs. Der Berliner steuerte das Boot schon zu olympischem Gold 2012 und fünf WM-Titeln. Pünktlich zur EM in Luzern – bei der der Achter am Freitag souverän seinen Vorlauf gewann – verrät Sauer, warum er kein Lügner ist und wie sehr er es hasst, nach Siegen von seinen Ruderern ins Wasser geworfen zu werden.

Herr Sauer, die Ruderer müssen sich einem harten Konkurrenzkampf stellen, bevor die Besten ihren Platz im Deutschland-Achter sicher haben. Wie wird der beste Steuermann ermittelt?

Martin Sauer: Das läuft anders als bei den Ruderern. Man kann nicht aufs Wasser gehen und sagen, so, jetzt sehen wir mal, wer es am besten kann. Unsere Selektion dauert länger. Es wird über Jahre geschaut, wie sich ein Steuermann entwickelt.

Sie sitzen seit zehn Jahren im Boot. Gab es jemals einen ernsthaften Konkurrenten?

Sauer: Einen Konkurrenzkampf gibt es immer. Ich bin schon beim Kinderrudern damit aufgewachsen, als es drei Steuermänner für zwei Boote gab. Viele denken, ach, der Sauer ist doch gesetzt. Man darf nicht unterschätzen, wie kritisch die Ruderer sind. Gute Ruderer wissen zu schätzen, was sie an einem guten Steuermann haben.

Wie wurden Sie Steuermann?

Sauer: 1994 suchten die Landestrainer nach Rudertalenten. Als sie sagten: „die Großen aufstehen“, blieb ich sitzen. Aber als es hieß: „die Kleinen aufstehen“, habe ich mich gemeldet. Seitdem bin ich Steuermann.

Es gibt ein Mindestgewicht von 55 Kilo für Steuermänner, so dass die Zeit der superleichten 14-jährigen Olympiasieger wie 1968 der heutige ZDF-Wetterexperte Gunther Tiersch vorbei ist. Sind Sie bestrebt, immer nur die 55 Kilo auf die Waage zu bringen?

Sauer: Ja. Physikalisch ist zwar bewiesen, dass sich ein Kilo mehr beim Steuermann zeitlich im kaum messbaren Bereich auswirkt, doch ich will meinen Ruderern zeigen, dass auch ich alles für den Erfolg tue. Dafür diszipliniere ich mich dann gern.

Die Riesen hören auf den Kleinsten: Steuermann Martin Sauer sitzt als neunter Mann ganz vorne im Achter und hat seine Ruderer im Blick.
Die Riesen hören auf den Kleinsten: Steuermann Martin Sauer sitzt als neunter Mann ganz vorne im Achter und hat seine Ruderer im Blick. © Ralf Rottmann

Wie gut ist der Achter 2019?

Sauer: Ich bin vorsichtig mit Prognosen. Wir hatten in der Vorbereitung einige Probleme, einige Erkrankungen von Ruderern. Es gibt nicht den einen Punkt, an dem es klick macht. Die Leistungsentwicklung ist ein Prozess.

Am Ende ist der Anspruch des Deutschland-Achters immer, Gold zu gewinnen. Auch jetzt bei der EM.

Sauer: Das Ziel Gold kommt immer von außen. Mein persönliches Ziel ist es, das Optimum aus diesem Boot herauszuholen. Klar wollen wir erfolgreich sein, aber ich kann es akzeptieren, Zweiter zu werden, wenn wir alles gegeben haben und der Gegner einfach besser war.

Wäre es der perfekte Abschluss, wenn Sie bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio noch einmal ein Vollbad nehmen müssen?

Sauer: Gold wäre natürlich ideal und dann würde ich mich auch von meinen Ruderern noch einmal ins Wasser werfen lassen. Aber ehrlich: Es macht null Laune, wie ein begossener Pudel aus dem kalten Wasser an Land zu klettern. Bei den meisten Nationen werden die Steuerleute nicht ins Wasser geworfen. Bei uns nennt man es Tradition. Für mich ist es eine Frechheit, die irgendeiner irgendwann angefangen hat. Wenn ich gewinne, nehme ich es hin.

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Sie geben im Boot die Kommandos, beobachten das Renngeschehen. Lügen Sie auch schon mal und verheimlichen oder verharmlosen einen Rückstand?

Sauer: Nein, ein Steuermann darf nicht lügen. Niemals. Die Ruderer würden es mir zwar persönlich nicht übel nehmen, doch das Vertrauen wäre weg. Beim nächsten Mal glauben Sie mir nicht mehr. Ich muss schnelle und richtige Entscheidungen treffen. Tricks dürfen nicht sein. Ein Vergleich aus dem Fußball: Der schnell ausgeführte Eckball des FC Liverpool im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Barcelona war eine geniale Entscheidung, eine Schwalbe ist dagegen ein Trick.

Die Ruderer geben sich bis zur totalen Erschöpfung aus. Da geht es Ihnen vergleichsweise gut.

Sauer: Das sieht anders aus, als es ist. Ich bin viel mehr körperlich gefordert, als es von außen wirkt. Und die Ruderer sind Maschinen, die sehr gut trainiert sind. Die stecken das weg. Viel größer ist die psychische Belastung. Mit dummen Ruderern kommt man nicht weit. Die meisten sind sehr intelligente Burschen. Ruderer sind wie Schwämme, sie saugen die Tipps des Trainers und meine Anweisungen auf.