Essen. Großveranstaltungen nur in Diktaturen? Ski-Chef Kasper sorgte für einen Eklat. Fechter Hartung spricht für viele Athleten: Menschenrechte sind wichtig.
Gian Franco Kasper wählte eine traditionsreiche Verteidigungsstrategie. Im Kritik-Hagel, in dem der Ski-Weltverbandspräsident nach seiner zweifelhaften Aussage zu Diktaturen stand, stellte er die Echtheit seiner Zitate infrage. Doch die Schweizer Journalisten hatten ihren Job gemacht.
„Diktaturen können solche Veranstaltungen mit links durchführen, die müssen nicht das Volk befragen.“ Dort seien Großveranstaltungen „einfacher“ zu organisieren. „Vom Geschäftlichen her sage ich: Ich will nur noch in Diktaturen gehen, ich will mich nicht mit Umweltschützern herumstreiten.“ So steht es noch heute auf der Seite des Züricher Tages-Anzeigers. So belegen Tonspuren das Gesagte.
Kasper ist in den 20 Jahren in dieser Position oft angeeckt. Diesmal sind die Aussagen nicht so leicht aus der Welt zu bringen, scheinen sie doch die Realität abzubilden.
Bach neben Putin
2014 wurden die Winterspiele in Russland ausgetragen, in einem Land, das für einen autoritären Führungsstil bekannt ist. Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), saß bei den Feierlichkeiten neben Russlands Präsident Wladimir Putin, fast wie ein Freund. Das Ergebnis waren die teuersten Spiele aller Zeiten. Finanziell, und was das Vertrauen betrifft. Der Staatsdoping-Skandal ist bis heute nicht ganz aufgearbeitet.
Die letzten Winterspiele wurden im vergangenen Jahr in Südkorea ausgetragen. Doch schon 2022 wird Thomas Bach wieder neben einem umstrittenen Präsidenten sitzen. In Chinas Hauptstadt Peking neben Amtsinhaber Xi Jinping. Das IOC hatte 2015 gewissermaßen die Wahl zwischen Diktatur und Diktatur. Einziger Gegenkandidat war Kasachstan mit Almaty, wo Präsident Nursultan Nasarbajew einen ähnlich harschen Regierungsstil pflegt. „Egal, welcher Kandidat gewinnt: Wir werden exzellente Winterspiele 2022 haben“, sagte damals Bach.
Und wo bleibt die Vernunft?
Sportfunktionäre geloben die Chance, die große Wettbewerbe mitbringen. Aber nicht die Funktionäre sollen im Mittelpunkt stehen, sondern die Sportler. Und die beurteilen die sichtbaren Probleme etwas anders. „Die Situation der Menschenrechte sollte eine große Rolle bei der Vergabe spielen“, sagt Athletensprecher Max Hartung im Gespräch mit dieser Redaktion. „Ich möchte nicht in einer Unterkunft untergebracht werden, die von Menschen ohne Rechte errichtet wurde. Sport sollte immer für die Menschen da sein und sie begeistern, sie inspirieren.“
Selbstverständlich: Athleten wollen ihr Können auf der ganzen Welt zeigen, sagt der 29 Jahre alte Säbelfechter. „Großveranstaltungen nur in Diktaturen auszurichten, kann nicht die Lösung für das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung in westlichen Ländern sein.“
Weniger Vertrauen in Olympia
Es gab sie, die Möglichkeiten, Spiele etwa nach Deutschland zu holen. Aber zu hohe Kosten haben sowohl die Menschen in Bayern als auch in Hamburg gegen eine Bewerbung stimmen lassen. Jüngst lehnten die Bürger Calgarys Winterspiele in ihrer Stadt ab. Immerhin zeichnet sich für die Spiele 2026 eine Wende ab. Im Rennen sind noch Stockholm und Cortina d’Ampezzo mit Mailand. Aber in beiden Ländern hält sich das Interesse in unübersehbaren Grenzen.
Ruder-Olympiasieger Ansgar Wessling engagiert sich gerade selbst für Sommerspiele an Rhein und Ruhr 2032. Die Chancen scheinen durch die gegenwärtige Entwicklung gesunken. „Aus Sicht des IOC sind Spiele in diktatorischen Ländern verständlich: Es gibt weniger Widerstand, du erzielst einen größeren Gewinn, die Außenwirkung ist größer“, sagt der 57 Jahre alte Essener. „In autokratischen Ländern kannst du einen Gigantismus umsetzen, der in freien Ländern nie funktionieren würde. Da sagen die Leute dann: ‚Spinnt ihr? Ich habe keinen Kindergartenplatz, und ihr wollt hier Milliarden ausgeben? Nicht mit mir.‘“ Die Stimme der Vernunft.
Und die der Sportler? „Viele Athleten sind sehr konzentriert auf den Wettkampf, einige fürchten, dafür abgestraft zu werden, wenn sie sich öffentlich äußern“, sagt Hartung. Der unabhängige Verein Athleten Deutschland will daran etwas ändern, Hartung ist Vorsitzender. „Im Internationalen Sport ist unser Einfluss zugegeben noch überschaubar. In Deutschland konnten wir einiges bewegen.“
„Sportler wollen faire Wettkämpfe“
Ansgar Wessling kennt das Gefühl, im Wettkampfmodus zu sein. 1988 holte er mit dem Achter in Seoul Gold und 1992 in Barcelona Bronze. Wessling kann deshalb sagen: „Kein Sportler braucht große Protzbauten. Nein, was Sportler wollen, sind faire Wettkämpfe. Diejenigen, die große Stadien brauchen, sitzen auf der Tribüne.“