Berlin. Der gebürtige Essener erlebt bei der Weltmeisterschaft viel Euphorie. Die Grundlagen dafür hat er selbst beim Verband gelegt.
Er hat es vorher gewusst. „Nach Hamburg fahre ich nicht nur als Zuschauer“, hatte Bob Hanning zu Beginn der Handball-WM gesagt. Seit Donnerstagabend nun ist er da. In der Stadt, in der sogar eine Vorspeise bei einem Edel-Italiener nach ihm benannt ist („Antipasti à la Bob“). Und der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) lässt keinen Zweifel daran, dass der Weg seines Teams noch nicht zu Ende ist. „Wenn man so weit gekommen ist, will man auch um Gold spielen“, sagt Hanning vor dem Halbfinale an diesem Freitag gegen Norwegen (20.30 Uhr, ARD).
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Sich hohe Ziele setzen, Druck vor heimischer Kulisse als Rücken- statt als Gegenwind empfinden, das ist so ganz nach dem Geschmack Hannings, dem wohl mächtigsten Mann im deutschen Handball. Seit Jahren leitet er als Verantwortlicher für den Leistungssport die Geschicke im Verband, zieht im Hintergrund gekonnt die Fäden, oder nutzt die öffentliche Bühne, um seine Botschaften zu verbreiten. Hanning liebt nicht nur den Handball, er lebt diesen Sport, 24 Stunden lang. Dabei scheut der 50-Jährige nicht das offene Wort, im Gegenteil, Hanning spricht aus, was er denkt, er ist geradlinig und ehrlich. Das kommt nicht immer gut an, „aber so bin ich erzogen worden“, sagt der gebürtige Essener mit maximalem Anspruch. An andere und an sich selbst.
Michelmann über Hanning: "Er geht dahin, wo es weh tut
Hanning wird geschätzt und gefürchtet, der Respekt vor dem Handball-Macher, der sich stets in den Dienst der Sache stellt, ist auf jeden Fall groß. Andreas Michelmann, als DHB-Präsident formal einziger Vorgesetzter im Verband, zieht einen Vergleich mit dem Handball, um seinen Vize, der zugleich auch Geschäftsführer des Bundesligaklubs Füchse Berlin ist, zu beschreiben. „Er ist wie ein Mittelmann, der sich ab und zu an den Kreis absetzt. Er geht dabei immer dahin, wo es weh tut. Er scheut keine Auseinandersetzungen und hat sich dabei schon eine Menge Blessuren geholt“, sagt Michelmann und fügt lächelnd an: „Auch deswegen hat er das Recht, auch mal das ein oder andere Trikot zu tragen.“
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Ein Trikot trägt Hanning freilich nicht mehr, das aktive Handballspielen hat er schon in jungen Jahren aufgegeben. Michelmanns Worte zielen vielmehr auf die außergewöhnlichen Pullover ab, die die Anhänger in der Halle und die etwa zehn Millionen Zuschauer bei deutschen Spielen vor dem Fernseher stets zu sehen bekommen. Sie stammen von Edel-Designern wie „Dolce & Gabbana“ oder „Versace“, kosten oft mehrere Hunderte Euro. In den sozialen Netzwerken wurden die extravaganten Outfits kontrovers diskutiert, Hanning lässt das eher kalt. Wer schon einmal Gast bei den Füchsen Berlin war, der kennt Hannings Hang für außergewöhnliche Oberbekleidung. „Dass ich mich gerne bunt anziehe, weiß inzwischen jeder“, sagt er und räumt ein, den farbenfrohen Pulli zur Eröffnungs-Pressekonferenz getragen zu haben, „um den Druck von der Mannschaft zu nehmen und damit die Leute von etwas anderem reden“. Das ist ihm gelungen. „Und jetzt ist es für mich ein Running Gag. Ich lasse mir von niemandem sagen, was ich zu tragen haben.“
Viel Zuspruch auch aus dem Profi-Fußball
Die Aufmerksamkeit ist Hanning auf jeden Fall gewiss. Ebenso wie der deutschen Auswahl, die bislang ohne Niederlage durch das Turnier geglitten ist und eine Euphorie im Land ausgelöst hat. Damit ist der DHB-Führung um Hanning gelungen, was sie sich für die Heim-WM erhofft hatte, nämlich den Abstand zum Fußball zu verringern. „Wir wollen den Fußball ja nicht angreifen, sondern ein Alternative dazu sein. Der Handball vereint viele Tugenden, die unsere Nationalspieler bei der WM zeigen“, sagt der DHB-Vize und verweist auf die vielen Profi-Kicker, die mit der deutschen Auswahl mitfiebern, gern auch live in der Halle.
Ob Bayern-Trainer Niko Kovac oder Freiburgs Christian Streich, sie alle schätzen die Rasanz, Dramatik und Robustheit am Handball, ebenso wie die Tatsache, dass die Spieler sich nicht ständig beim Schiedsrichter beklagen. „Besonders habe ich mich auch über eine persönliche E-Mail von Christian Seifert gefreut“, sagt Hanning. Seifert ist Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) und hat die Professionalisierung im deutschen Fußball stark vorangetrieben. Dies darf sich auch Hanning im Handball auf die Fahne schreiben.
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Bereits 2011 – der Erfolg bei der Heim-WM 2007 war längst verpufft – legte Hanning ein Thesenpapier vor, um den darbenden deutschen Handball wieder in die Weltspitze zu führen. „Amateure hoffen, Profis arbeiten“, lautete sein Credo damals wie heute. Auf sein Geheiß wurden Reformen angeschoben, der Verband Schritt für Schritt professionalisiert. „Wir haben es geschafft, weg von den Buffet-Raupen hin zu hauptamtlicher Tätigkeit zu gelangen“, sagt Hanning. Die Strukturreform lief nicht immer reibungslos, im Gegenteil, es gab einen heftigen Machtkampf mit dem damaligen DHB-Präsidenten Bernhard Bauer, den Hanning gewann. „Das Ergebnis muss Freude machen, nicht das Erlebnis und der Weg dorthin“, sagt Hanning.
Zweite Chance für Bundestrainer Prokop
Nach dem Debakel 2018 bei der EM in Kroatien (Platz neun) stand der von Hanning protegierte Bundestrainer Christian Prokop massiv in der Kritik - und vor dem Aus. Hanning verschaffte dem 40-Jährigen eine zweite Chance. Und sieht sich jetzt mit dieser Entscheidung vollauf bestätigt. Genugtuung gegenüber den Kritikern wie den Sportfunktionären Martin Schwalb oder Axel Geerken empfindet er nicht. „Nein, es ist eher eine Zufriedenheit und die Erkenntnis, dass es richtig ist, an Dingen, von denen man in der Tiefe überzeugt ist, festzuhalten. Und sich trotz der schnelllebigen Zeit nicht von populistischen Strömungen beeinflussen zu lassen. Mein Vertrauen in die Mannschaft und die Charaktere der Spieler war so groß, dass ich ihnen maximal vertraut habe.“ Das zahlt sich jetzt aus. Hanning: „Von schlauen Sprüchen ist noch nie eine Sportart entwickelt worden.“ Michelmann sieht bei Hanning „einen riesigen Anteil“ am momentanen Erfolg. „Er ist der geistige Vater der sportlichen Entwicklung der Nationalmannschaft.“
Drei Tage noch läuft die WM, an deren Ende alle auf den ganz großen Wurf hoffen. Hanning, der seit Monaten schon von der ehemaligen Sprint-Weltmeisterin Katrin Krabbe getrennt ist, denkt bereits jetzt wieder an den Alltag. „Natürlich ist die WM ein wahres Highlight für uns alle, meine wahre Leidenschaft aber beginnt am Dienstag um 7.30 Uhr.“ Da trainiert der 50-Jährige den Berliner Handball-Nachwuchs. Zehn Mal wurde er in den vergangenen Jahren deutscher Meister mit der Füchse-Jugend – mit dabei waren auch die heutigen Nationalspieler Fabian Wiede und Paul Drux. Hanning lächelt: „Und ich weiß jetzt schon, dass ich dort die nächsten Talente wie einst Drux und Wiede habe. Das ist unbezahlbar.“