Berlin. Am Donnerstag beginnt die Handball-WM. Für Bundestrainer Prokop wird sie zum Schicksalsturnier. Hinter ihm liegen turbulente Jahre.
Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, auch zum Stift greifen zu müssen. Doch als die deutsche Handball-Nationalmannschaft vor dem heutigen Auftaktspiel der WM in Berlin gegen eine vereinte koreanische Mannschaft (18.15 Uhr/ZDF) eine öffentliche Trainingseinheit absolvierte, schrieben nicht nur die Nationalspieler Uwe Gensheimer, Andreas Wolff und Silvio Heinevetter im Anschluss Autogramme. Auch die Handschrift Christian Prokops war gefragt. Der Bundestrainer setzte also Unterschriften auf Trikots und Bälle. Die Vorfreude auf die WM war ihm in diesem Moment anzusehen, seine Augen leuchteten. Christian Prokop lächelte, wie er es häufig dieser Tage tut, er wirkt locker und selbstbewusst. Was keine Selbstverständlichkeit ist.
Eineinhalb turbulente Jahre liegen hinter dem 40-Jährigen. Turbulente Monate, wie sie wohl noch kein Handball-Bundestrainer vor ihm erlebt hat. Die Geschichte der Amtszeit von Christian Prokop ist eine von Erwartungen, von Enttäuschungen und eine vom Neubeginn. Sie lässt sich am besten in drei Abschnitte unterteilen: vor, während, und nach der EM in Kroatien.
“Ich habe meine eigene Handschrift.”
(Christian Prokop im April 2017)
Als es Dagur Sigurdsson Anfang 2017 nach Japan zog, dauerte es nicht lange, bis der Deutsche Handballbund (DHB) einen Nachfolger für den Europameistertrainer von 2016 präsentierte: den eher unbekannten Christian Prokop, damals Trainer des Bundesligisten SC DHfK Leipzig. Akribischer Taktiker, versiert in der Arbeit mit jungen Spielern, erfolgshungrig - DHB-Vizepräsident Bob Hanning hatte seinen Wunschkandidaten.
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Um Prokop aus seinem Vertrag zu lösen, überwies der DHB 500.000 Euro nach Leipzig - eine im Handball bis dahin unvorstellbare Summe für einen Trainerwechsel. Die Vertragsdauer: fünf Jahre - eine kleine Ewigkeit. “Das ehrt mich, dass mir so viel Vertrauen entgegengebracht wird. Auf der anderen Seite weiß ich auch um die Verantwortung”, sagte Prokop. Etwas nervös und steif wirkte der Mann mit dem abgeschlossenen Lehramtsstudium noch in Fernsehinterviews, aber auch voller Tatendrang. In Anlehnung an Hoffenheims ebenfalls taktikbesessenen Fußballtrainer wurde er zum “Julian Nagelsmann des Handballs” ernannt. Schon vor dem offiziellen Amtsantritt im Juli 2017 herrschte Aufbruchstimmung, die mit der dominant beendeten EM-Qualifikation Nahrung erhielt. Was sollte da noch schiefgehen?
“Ich habe hier Erfahrungen gesammelt. Auch viele negative.”
(Christian Prokop im Januar 2018)
Es ging eine Menge schief bei der ersten Bewährungsprobe. Und der Gesichtsausdruck und das Verhalten des Bundestrainers spiegelten dies in der für das deutsche Team nur zwei Wochen dauernden Europameisterschaft wider. Ob seine Eltern auch vor Ort seien, wurde er zu Beginn gefragt. “Sie sitzen auf der Tribüne”, sagte Prokop lächelnd. Wenige Tage später waren erneute Fragen zu diesem Thema Tabu. “Kein Kommentar, das ist Privatsache”, sagte der gebürtige Köthener nun mit versteinerter Miene, nachdem sein Team eine durchwachsene Vorrunde gespielt hatte und erste Unstimmigkeiten erkennbar wurden. Kreisläufer Hendrik Pekeler sollte später zugeben: “Es gab Reibereien.”
Zu sehr versuchte der Bundestrainer, seine Spieler in sein System zu zwängen, statt dieses an den Stärken der Spieler auszurichten. “Wir haben dem Druck nicht standgehalten”, gab er den Tränen nahe nach dem Hauptrunden-Aus zu. Der Spitzname “Bad Boys”, von der Mannschaft bis dahin kultiviert, ist seitdem Geschichte. Erst nach einer fast drei Wochen andauernden Diskussionsphase stand fest, dass Prokop bleiben darf. Auch, weil DHB-Vizepräsident Bob Hanning im gegensätzlichen Fall seinen Rücktritt angekündigt hatte. Prokop erhielt eine zweite Chance.
“Ich bin dankbar über die Möglichkeit, es mit diesem Team erneut anzugehen. ”
(Christian Prokop im Januar 2019)
Wie schnell kann man sich ändern? Als Mensch? Und als Trainer? Mit dem Beginn der WM-Vorbereitung setzte Christian Prokop auf eine neue Herangehensweise: mehr Offenheit, mehr Gespräche, mehr Spaß. Vergangenen Sommer ging es nach Japan, um den Zusammenhalt zu stärken. Prokop telefoniert seitdem häufiger mit seinem Team. “Ich ziehe die erfahrenen Spieler mehr in Entscheidungen ein”, sagt er. Widerspruch gibt es von Spielerseite nicht. “Die Stimmung war noch nie so gut”, sagt Kreisläufer Patrick Wiencek. “Wir haben Schritte aufeinander zugemacht. Er bringt seine Forderungen besser rüber, wir setzen sie besser um”, sagt Torhüter Andreas Wolff.
Gespräche mit einem Mentaltrainer hier, ein Austausch mit Weltmeistertrainer Heiner Brand dort - es sind mehrere Stellschrauben, an denen der 40-Jährige in den vergangenen Monaten gedreht hat. Er müsse die Mannschaft in diesem Turnier jetzt “nur noch loslassen”, sagt Prokop. Auf die Frage nach einer Job-Garantie für den Bundestrainer im Falle eines erneuten Scheiterns wollte Bob Hanning aber nicht antworten. Nur so viel: Der DHB-Vizepräsident wolle ab heute begeisternden Handball sehen. Und die Handschrift des Trainers im Spiel erkennen.