Leipzig. Der junge Flügelspieler Serge Gnabry wird immer wertvoller für die Nationalelf und den FC Bayern München
Vor dem Teamhotel der deutschen Nationalelf in Leipzig pulsiert eine Baustelle. Es rumpelt dort unter dem Fenster von Bundestrainer Joachim Löw, dass man sich vorstellen kann, wie sich einige der Nationalspieler in ihrer Vorbereitung auf das Testspiel heute gegen Russland (20.45 Uhr/RTL) gestört fühlen könnten. Serge Gnabry vermutlich nicht. Der 23-Jährige ist noch einigermaßen neu im Kreise der deutschen Fußballer-Elite und nimmt deshalb jede Lärmbelästigung gern in Kauf. Außerdem geht es Gnabry auf Baustellen gerade ziemlich gut.
Serge Gnabry hat etwas Außergewöhnliches geschafft: Dem Flügelspieler ist gelungen, bei den beiden wichtigsten deutschen Teams als Gewinner aus den jeweiligen Krisen hervorzugehen. Beim FC Bayern ist der Sohn einer Schwäbin und eines Ivorers in Zeiten des abnehmenden Lichtes eine der wenigen hellen Erscheinungen. Beim Spitzenspiel gegen Dortmund am Samstag (2:3) bereitete Gnabry das erste Bayern-Tor vor, das zweite leitete er ein.
Lichtpunkt in Löws Mannschaft
Bei Löws Nationalelf, deren Abschwung dem des FC Bayern ähnelt, hat sich Gnabry ebenso als zart flackernder Lichtpunkt präsentiert. Gegen Frankreich vor einem Monat in der Nations League (1:2) war er Teil einer verjüngten deutschen Elf, die dem Weltmeister mit erfrischender Respektlosigkeit Paroli bot. Mit Timo Werner und Leroy Sané wirbelte Gnabry die französische Abwehr durcheinander. Das war am Ende zwar nicht erfolgreich. Aber die Dinge hierzulande stehen mittlerweile so, dass man sich schon freuen muss, wenn ein junges, angstloses Team 60 Minuten lang Spaß bereitet und der ein oder andere Spieler dabei herausragt wie Gnabry.
„Serge hat gegen Frankreich und auch gegen Dortmund sehr gut gespielt“, lobte Löw am Mittwoch und verriet, dass er Gnabry am liebsten früher ins Team eingebaut hätte: „Er spielte schon in den Gedanken für den WM-Kader 2014 eine Rolle“, sagte Löw. Er habe sich dann leider verletzt. Im Moment aber „hat er eine sehr gute Phase. Serge ist sehr variabel und hat Zug zum Tor. Wenn er so weitermacht, wird er ein wichtiger Spieler für uns werden“, sagte der 58-Jährige. Gegen Russland wird Gnabry sein viertes Länderspiel bestreiten. Der Bundestrainer deutete an, dass er erneut auf Werner, Sané und Gnabry im Sturm setzen wird – nicht zuletzt auch, weil Marco Reus (Fußprellung) passen muss.
Serge Gnabry: Schüchtern wie ein Einser-Schüler
Zwei Krisen, zwei Mannschaften als große Baustellen, aber ein Gewinner: Serge Gnabry. Wie hat er das geschafft? „Dass ich der Gewinner bin, habe ich gar nicht so wahrgenommen“, antwortete Gnabry am Mittwoch, „ich versuche, mein Bestes zu geben und mich in beiden Mannschaften festzusetzen“, sagte er schüchtern wie ein Schüler, der gerade eine Eins geschrieben hat, während alle andere mit Ungenügend leben müssen.
Beim FC Bayern setzt sich Gnabry schleichend durch. Mit 708 Minuten Einsatzzeit in allen Wettbewerben ist er in dieser Saison nicht sonderlich weit entfernt von der Thomas Müllers (1080). Er hat das, was den Bayern und dem deutschen Fußball fehlt: ein Überraschungsmoment und Schnelligkeit. „Das ist sicher ein Vorteil“, sagte Gnabry. Von Vorteil war auch seine frühe Auslandserfahrung. „Am meisten geholfen hat mir dort die Weiterentwicklung als Person. Das hat es einfacher gemacht, mich woanders anzupassen“, sagte Gnabry. Sein erstes Spiel für Deutschland endete mit einer kleinen Sensation. Vor fast genau zwei Jahren traf Gnabry gegen San Marino gleich dreimal. Damals, als die Nationalelf noch keine Baustelle war.