Essen. 1997 gewann Tischtennis-Star Timo Boll die Nachwuchswahl der Sporthilfe. Danach startete er seine Weltkarriere. Im Gespräch erinnert er sich.

Beim Gedanken an eine seiner ersten Ehrungen muss Timo Boll lachen. „Puh, das ist aber schon eine ganze Weile her“, sagt der 40-Jährige. Stimmt: über 20 Jahre sogar. 1997 wurde der Tischtennis-Star von der Deutschen Sporthilfe als Juniorsportler des Jahres ausgezeichnet. Danach begann die steile Karriere des talentierten Jungen aus dem Odenwald. Er eroberte die Spitze der Weltrangliste, ist Rekordeuropameister und hat mit seinem Verein, Borussia Düsseldorf, zweimal das Triple gewonnen. Das gelang keinem vor ihm. Als 2018 in Düsseldorf Lea-Jasmin Riecke als Juniorsportlerin des Jahres ausgezeichnet wurde, sprachen wir mit Timo Boll über die Bedeutung seiner Auszeichnung als Juniorsportler. Er befand sich damals gerade in der Vorbereitung auf die Europameisterschaft in Alicante.

Herr Boll, erinnern Sie sich noch an Ihre Wahl zum Juniorsportler?

Timo Boll: Neulich hatte ich die Erinnerung in der Hand: Da habe ich meinen Tee aus einer Tasse getrunken, die ich damals bekommen habe – da war mein junges Konterfei drauf. (lacht) Ich war damals sehr, sehr überrascht, dass ich die Trophäe mitnehmen durfte. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich Außergewöhnliches geleistet hatte.

Doch Sie haben gewonnen.

Boll: Ja, ich war unglaublich nervös. Es war das erste Mal für mich auf so einer großen Bühne. Solche Bühnen haben mich eigentlich immer abgeschreckt, ich hatte riesigen Respekt. Ich weiß noch, dass es ganz tolle Laudatoren gab. Mich holte Astrid Kumbernuss auf die Bühne. Das war etwas ganz Besonderes, sie war damals eine große Sportlerin, Olympiasiegerin im Kugelstoßen.

Wissen Sie noch, was Sie auf der Bühne gesagt haben?

Boll: Nein, ich weiß nur noch, dass ich überhaupt nicht vorbereitet war. (lacht)

Neben Ihnen haben diesen Preis auch schon die spätere Weltklasse-Schwimmerin Franziska van Almsick, die mehrfache Biathlon-Weltmeisterin Magdalena Neuner oder Johannes Rydzek, Olympiasieger in der Nordischen Kombination, gewonnen. Die Auszeichnung scheint also ein ganz gutes Omen für die Karriere zu sein…

Boll: Ja, die Wähler scheinen ein gutes Gespür zu haben. Der Preis war für mich damals eine große Motivation. Ich bekam ein Preisgeld, das war extrem hilfreich. Gerade in jungen Jahren investiert man sehr viel in seine Karriere, da ist man für jede Förderung dankbar. Mein Vater stand immer dahinter, dass ich mich auf den Sport konzentriert habe. Meine Mutter war da eher skeptisch. Für sie war es dann besonders schön zu sehen, dass es nicht immer nur ein Negativgeschäft ist.

Sie wurden dann auch weiter von der Sporthilfe gefördert. Heute sind Sie nicht mehr darauf angewiesen?

Boll: Nein, ich komme zum Glück aus einer Sportart, mit der man sein Geld verdienen kann, wenn man auf dem Topniveau spielt. Da gibt es andere Fälle, bei denen Sportler noch härter trainieren als ich, aber nebenbei studieren oder einem anderen Beruf nachgehen, weil sie trotz Spitzenleistung keine Chance haben, ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen. Bei mir ist es heute sogar so: Ich bin Mitglied im Klub der Ehemaligen und spende jedes Jahr. So kann ich etwas zurückgeben.

Apropos Top-Niveau: Wie sehen Ihre aktuellen sportlichen Pläne aus?

Boll: Die erste Priorität hat jetzt die Europameisterschaft. Sie ist das erste Ziel, auf das ich mich konzentriere. Bei einer Einzel-EM will man sich immer gut präsentieren. Aber meine Vorbereitung verlief nicht gerade ideal.

Was ist passiert?

Boll: Ich habe es seit dem Sommer zwangsläufig etwas ruhiger angehen müssen, weil ich mir im Juni bei den Japan Open einen Bandscheibenvorfall zugezogen habe.

Die gleiche Stelle am Nacken, die Sie auch schon bei Olympia in Rio vor zwei Jahren eingeschränkt hat?

Boll: Ja, das ist meine Schwachstelle. Die Gefahr besteht immer, dass ich einen Schlag da reinbekomme und dann geht erstmal nichts mehr. Obwohl ich in der Zeit danach eigentlich keine großen Schmerzen hatte, musste ich es behutsam angehen, konnte längere Zeit gar nicht trainieren. Dann habe ich mir auch noch einen kleinen Magen-Darm-Infekt eingefangen, habe drei Kilo verloren. Die EM muss ich jetzt entspannt angehen, man wird sehen, wofür es reicht.

Die Saison ist ja auch noch lang.

Boll: Genau. Der Höhepunkt sind die European Games im Juni. Da geht es schon darum, sich für Olympia zu qualifizieren. Das ist das Ziel. Aber ich will gerne schon beim World Cup im Oktober in einer anständigen Form sein. Der findet dieses Jahr in Paris statt, in Disneyland.

Das wird Ihre kleine Tochter ja sicherlich besonders freuen…

Boll: Ja, ich reise dieses Mal nicht alleine. Da gab es gar keine Diskussion. (lacht)

Sie sind jetzt 37 Jahre alt. Wie halten Sie sich auf diesem Weltklasse-Niveau?

Boll: Bei mir ist es immer eine Frage der Ökonomisierung. Es geht vor allem darum, mich körperlich zu erhalten. (lacht) Wichtig ist vor den Höhepunkten viel Wettkampfpraxis zu bekommen. Ich brauche keine 95 Beinarbeitsübungen, um zu wissen, dass ich gut spiele. Ich brauche das Gespür im Spiel, für die Antizipation. Ich bin zu langsam, wenn ich einmal falsch laufe.

Hat sich das in den vergangenen Jahren verändert: dass man auch mit 37 Jahren noch Weltklasse sein kann?

Boll: Definitiv. In meiner Generation haben die ganz großen Stars viel früher aufgehört. Als junger Athlet hat man dadurch aber auch eher seine Chance bekommen. Das ist heute sicher schwieriger. Zumal der Sport sich extrem professionalisiert hat. Wenn man sieht, was da heutzutage allein bei den Jugendturnieren abgeht. Da weht ein ganz anderer Wind, da muss man schon top sein, um eine Chance in der Quali zu haben…

Was würden Sie jungen Sportlern, die gerade am Anfang Ihrer Karriere stehen, raten?

Boll: Eine Sache, die ich gerne früher gelernt hätte, ist Selbstanalyse. In Phasen, in denen es mal nicht so gut lief, habe ich als junger Sportler immer die Schuld bei der Außenwelt gesucht. Doch je früher man erkennt, dass man selbst verantwortlich ist, desto früher kann man daran arbeiten, Feinheiten zu ändern. Selbsterkenntnis ist der Weg zur Verbesserung. Ich habe diesen Tipp leider nie bekommen.

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Was war für Sie am Anfang Ihrer Karriere besonders wichtig?

Boll: Ein gutes Team um mich herum zu haben. Ich war selbst nicht der Motivierteste, habe aber immer alles gemacht, was man mir vorgegeben hat. Ich brauchte immer jemanden, der mir ein Programm gibt, der meinen Alltag durchplant. Diese Form der Disziplin hat der Entwicklung meines Spiels enorm geholfen. 

Hat Sie das auch charakterlich weitergebracht?

Boll: Naja, in manchen Dingen bin ich heute schon etwas hilflos. (lacht) Aber ich habe mir durch meine Art zumindest keine Feinde gemacht. Da bin ich stolz drauf. Generell gibt einem der Sport so viel. Man lernt eine Menge: wie Kontinuität im Alltag, Disziplin im weiteren Leben. Es ist so gut, in einer solchen Umgebung groß zu werden. Selbst, wenn man es am Ende nicht nach ganz oben schafft.

Und was sagen Sie einem Sportler, der bei der Juniorsportler-Wahl nicht ganz oben steht?

Boll: Zunächst kann er schon sehr stolz sein, überhaupt auf dieser Liste zu stehen. Und dann, dass es sich lohnt, am Ball zu bleiben. In jeder Sportart wird man für Fleiß belohnt – gerade im jungen Alter. Der letzte Schritt von der Jugend zu den Erwachsenen ist immer der schwierigste.

Finden Sie die Art, wie die deutsche Sporthilfe Athleten unterstützt, richtig?

Boll: Heutzutage ist man ja froh, dass es überhaupt noch Förderung gibt. Ich habe mir selbst bisher zu wenig Gedanken gemacht, wie man das Geld am besten an die Talente bringt. Der DOSB will ja jetzt auch gezielter Geld in die großen Hoffnungen anstatt in den Durchschnitt investieren. Das ist ein Ansatz, aber insgesamt ist eine individuelle Förderung sicher besser – im ganz großen System wird es eher schwierig.

Können Sie sich vorstellen, sich nach Ihrer aktiven Karriere mehr in der Sporthilfe oder ähnlichem zu engagieren?

Boll: Schwer zu sagen. Ich bin nicht unbedingt der Funktionärstyp, aber wer weiß, was es noch für Möglichkeiten gibt.

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