Essen. Vom deutschen Basketballer Paul Zipser wurde in der NBA nicht viel erwartet. Mittlerweile ist der 23-Jährige Stammspieler bei den Chicago Bulls.

Aschenputtel trägt Schuhgröße 49 und blickt zufrieden auf die vergangenen Wochen in Diensten der Chicago Bulls zurück. Denn Paul Zipser hat es geschafft: Er ist neben den etablierten Dirk Nowitzki und Dennis Schröder der dritte deutsche Basketballer in der Profiliga NBA. Und er lässt amerikanische Journalisten wiederholt die „Cinderella-Story“ erzählen, das Märchen vom Aschenputtel. So nennt man in den USA Geschichten über Sportler, die Größeres erreicht haben als ihnen zugetraut wurde.

Herr Zipser, werden Sie auf der Straße mittlerweile eigentlich erkannt?

Paul Zipser: Mittlerweile passiert das häufiger. Gerade hier in Chicago. Oft sind es kurze Gespräche, ab und zu ein Foto oder ein Autogramm. Im Restaurant wird man häufiger angesprochen. „Hey, spielst Du nicht bei den Bulls?“ Das schmeichelt, das muss ich schon zugeben (lacht).

Denken Sie manchmal noch: Träum ich eigentlich? Ich bin in der NBA.

Zipser: Eigentlich nicht. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, wie das hier ist und mit wem man zusammenspielt. Ich denke jetzt nicht dauernd: Wow, ich spiele mit Dwyane Wade zusammen. Alle kommen von unten, alle haben sich hochgearbeitet. Da hat mir auch der Sommer mit Dirk Nowitzki bei der EM 2015 sehr geholfen. Dass man einfach erkennt, dass das alles ganz normale Menschen sind, die einfach guten Basketball spielen können. Dwyane Wade ist aber vielleicht doch noch eine spezielle Sache, weil ich ihn schon immer sehr bewundert habe. Einfach cool, dass ich mit ihm zusammenspiele. Aber ich muss mich jetzt nicht die ganze Zeit kneifen.

Haben Sie von den USA eigentlich inzwischen etwas anderes gesehen als Sporthallen, Umkleidekabinen und Flughäfen?

Zipser: Das kommt immer drauf an, in welcher Stadt wir spielen. Als wir beispielsweise in Washington gespielt haben, haben wir uns dort viel angesehen. In Philadelphia auch. Überall wo es Tradition gibt oder einfach eine schöne Stadt, da will ich schon einfach mal raus und mir das angucken, so dass ich nicht nur die Halle und das Hotel sehe. Ab und zu organisiert das Team etwas für die Spieler oder den gesamten Staff, das ist schon ganz cool bei Auswärtsfahrten. Jeder, der Lust hat, macht mit. Meist sind es die jüngeren Spieler. Die Älteren brauchen eben die Pause oder haben das eh schon alles mehrfach geschehen. Aber ich ziehe auch gerne mal einfach alleine 'rum und mache mir meinen eigenen Eindruck. Am Anfang habe ich das noch nicht so gemacht, aber irgendwann ist das doch etwas anderes, als nur im Hotel zu sein.

Vor knapp vier Monaten waren Sie noch das unbeschriebene Blatt aus der Bundesliga, spielten kaum. Jetzt sind Sie Stammspieler, punkten im zweistelligen Bereich, werden von Trainern und Teamkameraden gelobt. Hätten Sie gedacht, dass es so schnell geht?

Zipser: Ich wusste, dass es sehr schnell gehen kann, wenn ich eine Chance bekomme. Ich habe einfach gewartet und mir vorgenommen, dass ich einfach mein Spiel spiele. Natürlich hätte ich zu Beginn der Saison nicht erwartet, dass es gleich so gut klappt, gerade in der ersten Saison. Ich freue mich, dass ich mir das Vertrauen von Trainern und Mitspielern erkämpfen konnte.

Es ist ja schon ein kleines Märchen. Ein Aschenputtel-Märchen.

Zipser: Ja, das sagen viele. Ich war ein Zweitrundenpick an 48. Stelle. Aber ich habe anfangs auch immer gesagt, dass es eigentlich egal ist, an welcher Stelle man verpflichtet wird. Vielleicht hat man als Erstrundenpick ein paar Chancen mehr oder bekommt sie früher. Aber ich habe auf meine Chance gewartet und als die Mitte der Saison kam, habe ich bewiesen, dass ich bereit bin.

Nach den ersten NBA-Spielen im November haben Sie noch gesagt: „Es ist unglaublich schwer, den Ball zu bekommen.“ Wie hat sich das in den vergangenen Monaten gewandelt?

Zipser: Am Anfang ist es natürlich schwer, wenn man ein paar Minuten Spielzeit am Schluss hat. Dann wollen alle Ersatzspieler die Chancen nutzen. Dann spielt man auch nicht wirklich Basketball zusammen, sondern jeder will sich beweisen. Aber wenn man dann in entscheidenden Situationen auf dem Spielfeld steht, dann wollen alle 5 den besten Wurf rausholen. Dass Jimmy Butler, Dwyane Wade und Rajon Rondo oft den Ball haben, daran muss man sich eben gewöhnen. Das habe ich mit der Zeit gemacht und die Jungs haben auch gemerkt, dass ich etwas damit anfangen kann, wenn ich den Ball bekomme. Das ist ein Prozess, keine Frage. Viele kleine Schritte.

Zwischendurch wurden Sie ja in die Entwicklungsliga D-League geschickt. War es eine nützliche Zeit? Oder waren Sie enttäuscht?

Zipser: Wenn man vor oder nach der Saison drüber redet, ist man vielleicht etwas enttäuscht. Man geht ja nicht in die NBA, um D-League zu spielen. Aber wenn man in der NBA ist und keine Spielzeit sieht, dann ist es das Beste, um Erfahrung zu sammeln. Ich denke, dass sich am Beispiel von Dennis Schröder und mir gezeigt hat, dass es ein guter Zwischenschritt sein kann, um sich fest ins NBA-Team zu spielen. Man bekommt Spielpraxis, man gewöhnt sich an den amerikanischen Basketball. Klar bin ich froh, dass ich bei den Bulls bin, aber wenn man eben nicht spielt, muss das ab und zu mal sein. Ich wurde ja nicht in die D-League geschickt mit der Botschaft: Wir brauchen dich nicht. Wir haben miteinander geredet und mögliche Termine besprochen. Ich habe morgens mit den Bulls trainiert, bin dann raus zum D-League-Spiel und hab am Tag darauf morgens wieder mit den Bulls trainiert.

Paul Zipser: "Ich habe Träume gehabt, ich habe mir Ziele gesetzt" 

Sie haben bei Ihrer Verpflichtung durch die Bulls gesagt: „Ich möchte beweisen, dass ich da hingehöre.“ Hatten Sie schon immer einen so starken Willen?

Zipser: Das entwickelt sich im Leistungssport. Ich habe Träume gehabt, ich habe mir Ziele gesetzt, und man wird ehrgeiziger, wenn man sieht, dass man diese auch erreichen kann. Das geht Schritt für Schritt.

Haben Sie die berühmten „deutschen Tugenden“ wie Fleiß und Disziplin auch weitergebracht?

Zipser: Die helfen mir auf jeden Fall. Aber es gibt auch im Amerikanischen so viele Sprichwörter, die die ,deutschen Tugenden' auf ihre Weise aufnehmen. Es gibt Deutsche, die hart arbeiten und Amerikaner, die hart arbeiten. Es gibt aber auch viele Deutsche und Amerikaner, die nicht an sich arbeiten. Man muss einfach selbst seinen Weg gehen. Klar gehört da auch die Erziehung dazu. Ich bin ein Stück so erzogen worden, dass es für Arbeit auch mal eine Belohnung gibt. Ich weiß also, dass ich weiter hart arbeiten und meinen Weg gehen werde.

Wie sehen Sie derzeit die Chancen auf das Erreichen der Play-offs mit den Bulls?

Zipser: Wenn wir so weiterspielen wie zuletzt, schwinden die Chancen ein bisschen. Aber ich denke, dass wir uns die Play-offs als Ziel gesetzt haben und diese auch erreichen werden.

Es ist Ihre erste Auslandsstation. Deutschland und die USA – was ist der Unterschied?

Zipser: Es sind schon krasse Unterschiede. Angefangen bei den Menschen über die ganzen Lebensumstände. Aber auch auf dem Spielfeld musste ich mich an vieles neu gewöhnen. Dass hier individueller gespielt wird, ist wohl die beste Beschreibung. Es wird mehr gespielt als trainiert, weil wir ja fast zwei Tage spielen und es immer lange und intensive Partien sind. Es geht immer gegen die Besten der Welt. Hinzu kommt das viele Reisen. Da steckt das Training dann zurück.

Selbst sollen Sie als Jugendlicher nie ein großer NBA-Fan gewesen sein.

Zipser: Ich war immer Fan, aber ich weiß nicht mehr, ob ich lieber NBA oder die Euro-League geguckt habe. NBA-Spiele haben ja den Nachteil, dass sie in Deutschland nachts laufen und das war nicht immer mit der Schule vereinbar. Ab und zu sind Euroleague-Spiele dann schon cooler, sie sind kürzer und dadurch intensiver anzuschauen. Es ist halt fast schon eine andere Sportart. In den USA wird individueller gespielt, obwohl man nicht sagen kann, dass kein Team-Basketball gespielt wird. Jeder hat seine Stärke und im Prinzip werden komplett verschiedene Bausteine aneinander gesetzt. Wenn die harmonieren, funktioniert das sehr gut. In Europa ist es ja mehr so, dass alle Spieler von allem etwas können. Jeder muss werfen, dribbeln und Entscheidungen treffen können. Hier in der NBA gibt es Spezialisten. Einige, die oft den Ball haben und Entscheidungen treffen. Andere, die so gut werfen wie sonst kein anderer auf der Welt. Da muss man seinen Platz finden.

Haben Sie eigentlich Kontakt zu Dirk Nowitzki, Dennis Schröder oder Bundestrainer Chris Fleming?

Zipser: Hin und wieder ja. Aber nicht ständig.

Sie haben erst kürzlich mit den Bulls gegen Nowitzkis Dallas Mavericks gespielt. Wie war es?

Zipser: Das war schon witzig. Das war das zweite Mal, dass ich gestartet bin und ich habe gleich gegen ihn gespielt. Er hat viel geredet auf dem Spielfeld, er ist ja einer, der beim sogenannten Trash-Talk ziemlich aktiv ist. Es war superlustig und ich freue mich, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Und so, wie Dirk sich in der NBA hochgearbeitet hat, ist er auf jeden Fall ein großes Vorbild.

Ende August/Anfang September steigt die EM, Deutschland spielt die Vorrunde in Israel. Sind Sie dabei?

Ich gehe fest davon aus. Man weiß ja nie, was über den Sommer passiert. Aber ich habe richtig Bock auf das Nationalteam und freue mich darauf, in Israel zu spielen.