Essen. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hält behält die Suspendierung für Russland bei. Allerdings gibt es im Mai noch eine Olympia-Chance.
Clemens Prokop ist nicht überrascht. „Ich habe erwartet, dass noch keine endgültige Entscheidung fällt“, sagt der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes dieser Redaktion. Gerade hatte der Leichtathletik-Weltverband IAAF seine Entscheidung in Sachen Russland verkündet: Der dopingbelastete Leichtathletikverband Rusaf bleibt gesperrt, erst im Mai will das 27-köpfige Council, das oberste Gremium des Weltverbands, abschließend beraten, ob Russlands Leichtathleten von den Olympischen Spielen in Rio ausgeschlossen werden. „Russland muss weiter erkennbare Schritte tun, um die Bedingungen der Wiederaufnahme zu erfüllen“, sagt IAAF-Präsident Sebastian Coe.
„Das ist zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall richtig und nachvollziehbar“, urteilt Prokop. „Ich bin aber weiter skeptisch, ob die Suspendierung überhaupt aufgehoben werden kann.“ Auch Silke Kassner, Sprecherin der Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes, bleibt vorsichtig: „Wenn die Zeit gebraucht wird, um die Vorgänge vernünftig darzulegen und Untersuchungen sicherzustellen, müssen sie das machen“, sagt die frühere Kanutin. „Aber wir erwarten dann auch, dass alles aufgeklärt wird.“
Genau in diesem Punkt ist die Skepsis groß. Denn die russische Sportführung hat in den vergangenen Monaten zwar häufig wortreich Veränderungen angekündigt, ist aber nach den massiven Dopingenthüllungen aus dem letzten Jahr den Beweis eines wirklichen Wandels bislang schuldig geblieben.
Bachs guter Draht zu Putin
Ein WDR-Film enthüllte am Wochenende neue Missstände – auch das trug dazu bei, dass Russland erst einmal gesperrt bleibt.Wohl ist der IAAF dabei nicht: Die olympische Kernsportart Leichtathletik ohne eines der erfolgreichsten Olympialänder – das mag sich beim Weltverband niemand so recht vorstellen. Und dann ist da ja noch die sportpolitische Ebene: Hier hat Russland Gewicht, im Internationalen Olympischen Komitee sitzen vier treue Gefolgsleute von Präsident Wladimir Putin. Auch der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach pflegt gute Kontakte zur russischen Führung. Seine Wahl verdankte er angeblich auch den russischen Stimmen, vor den Winterspielen in Sotschi 2014 sprang er dem Gastgeber gerne bei, wenn es etwa um das umstrittene Anti-Homosexuellen-Gesetz ging.
Nicht nur wegen des großen russischen Einflusses wünscht sich Kassner mehr Transparenz: „Es ist total undurchsichtig, was da passiert. Dass Dinge totgeschwiegen werden oder nur hinter den Kulissen passieren, ist nicht mehr zeitgemäß. Das muss sich ändern.“ Auch Prokop mahnt zu mehr Offenheit: „Ich würde mir wünschen, dass die Mitgliedsverbände vom IAAF-Council informiert werden, wie der genaue Sachstand ist.“
Derzeit übernimmt beispielsweise die britische Antidopingagentur die Kontrollen in Russland – aber wie genau und in welchem Umfang, das weiß auch Prokop nicht. Dass die Kontrollen nötig sind, zeigt sich aber immer mehr: In den vergangenen Tagen wurden sieben Sportler mit dem Mittel Meldonium erwischt, darunter die Tennisspielerin Maria Scharapowa, der fünffache Weltmeister im Eisschnelllauf, Pawel Kulischnikow, und der Olympiasieger im Shorttrack, Semjon Jelistratow.
Es ist also nicht nur die Leichtathletik betroffen – und auch nicht nur Russland: IAAF-Boss Coe mahnte am Freitag Äthiopien und Marokko, dringend mehr Dopingkontrollen durchzuführen. Kenia, die Ukraine und Weißrussland wurden zudem auf eine Überwachungsliste gesetzt. Es bleibt einiges zu tun im Antidopingkampf.