Hamburg. Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), ist ein Kritiker der internationalen Sportverbände. Ein Interview!
Die Besuche von Alfons Hörmann, 55, in der Stadt sind rar geworden. Im vergangenen Jahr warb der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Hamburg noch intensiv für die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Sommerspiele, jetzt geht es bei seinen Treffen im Rathaus hauptsächlich um die Abwicklung der Bewerbungsgesellschaft. Hörmann, der sich in den vergangenen Monaten als einer der schärfsten Kritiker der internationalen Sportverbände positioniert hat, definiert für den DOSB eine neue Strategie und sortiert sich auch persönlich neu.
Herr Hörmann, ist der Leistungssport, sind die internationalen Verbände nach den jüngsten Skandalen im Fußball, der Leichtathletik und im Tennis, die in den vergangenen Monaten aufgedeckt wurden, noch zu retten?
Alfons Hörmann: Ja gewiss, aber es wird ein harter und intensiver Weg, um die Glaubwürdigkeit in den Spitzensport, seiner Vertreter und der Verbände wieder herzustellen. Frei nach Merkel: Er ist alternativlos. Wenn der Markenkern eines Produkts, und das ist im Sport nun mal die Glaubwürdigkeit, beschädigt ist, dann wird es schwierig. Und dass die Menschen nach all den Doping-, Bestechungs- und Manipulationsskandalen ihr Vertrauen in den Spitzensport teilweise verloren haben, dürfte einer der Gründe gewesen sein, warum sich die Bürger 2013 in München und 2015 in Hamburg jeweils mit knapper Mehrheit gegen die Austragung Olympischer Spiele in ihrer Stadt entschieden haben.
Wie schwer wird es, das Vertrauen zurückzugewinnen?
Hörmann: Das hängt von der Dimension des Schadens ab und davon, ob eine Kehrtwende deutlich sichtbar wird. Vielleicht dauert es Jahre, im schlimmsten Fall Jahrzehnte.
Haben die handelnden Personen erkannt, was sie angerichtet haben? Sind sie bereit zur Umkehr?
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Hörmann: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) ist nach meiner Überzeugung mit seiner Reformagenda 2020, mit seinem Bemühen, größtmögliche Transparenz herzustellen, auf einem guten Weg. Auch die anderen internationalen Verbände werden erkennen, ja erkennen müssen, dass ein „Weiter so“ nicht mehr möglich ist, spätestens, wenn Sponsoren oder TV-Sender abspringen. Es gibt aber genügend Organisationen, bei denen die Dinge bereits in Ordnung sind. Die Führung des Ski-Weltverbandes zum Beispiel genießt mein volles Vertrauen.
Auch bei den Skiverbänden, besonders im Biathlon gibt es regelmäßig Dopingfälle.
Hörmann: Das ist doch der Beweis, dass hier das Kontrollsystem funktioniert. Mit diesen konsequent aufgedeckten und klar sanktionierten Dopingfällen habe ich kein Problem. Jemand wollte betrügen und ist dabei ertappt worden. Das ist, wenn Sie so wollen, ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Beim Leichtathletik-Weltverband IAAF ist aber genau das Gegenteil passiert. Da sind Dopingfälle vertuscht worden, und der Präsident Lamine Diack hat dafür auch noch die Hand aufgehalten. Das ist widerwärtig, ein Faustschlag in das Gesicht jedes anständigen Sportlers. Dass in bestimmten Sportarten hohe Dopingaktivitäten herrschen, ist so, aber das ist dann die Aufgabe vor allem der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, für ein professionelles Anti-Doping-System in den jeweiligen Ländern und in den Fachverbänden zu sorgen. Die Kontrollmechanismen eines Verbandes müssen sicherstellen, dass Unregelmäßigkeiten aller Art auffliegen. Dann ist die Sportwelt in Ordnung. Der Idealfall wäre, dass all diese Betrügereien aufhörten, aber das wird wohl für immer ein Traum bleiben.
Die Gier hat längst auch den Sport erreicht. Noch nie ging es um so viel Geld, was bei allen Beteiligten Begehrlichkeiten weckt. Ist das der Grund, dass der Sport auf die schiefe Bahn geraten ist?
Hörmann: Das ist ja eine meiner Thesen: Woher kommt der Sport, wo steht er, wohin entwickelt er sich, und wie hat sich die Organisation desselben weiterentwickelt? Dann muss man festhalten, das klassische Vereins- und Verbandssystem ist größtenteils mehr als 100 Jahre alt und in manchen Punkten nicht mehr auf die heutigen Herausforderungen zugeschnitten. Sie können mit Instrumenten von 1950 nicht mehr auf die aktuellen Entwicklungen reagieren. Heute geht es neben der eigentlichen Sportorganisation um ganz andere Themen, um saubere Buchhaltung, Compliance, Good Governance, Controlling, Transparenz.
Steht jetzt auch das Wertesystem des Sports auf dem Prüfstand?
Hörmann: Ich sehe im Sport keine Krise der Werte an sich, sondern eine Krise, diese bewährten und elementaren Werte aktiv zu leben. Manche fordern ja zum Beispiel, im Sinne der Chancengleichheit Doping frei zu geben. Das ist keine verantwortungsbewusste Alternative. Ich würde mich daher nicht von Werten wie Fairplay, Respekt, Teamfähigkeit oder der Akzeptanz von Niederlagen verabschieden, auch wenn es vereinzelt der bequemere Weg sein mag. Diese Werte machen nach wie vor den Kern des Sports aus, und das weltweit, über alle kulturellen, religiösen und ethnischen Unterschiede hinweg. Ein Transparenzgesetz wie das in Hamburg könnte auch für den Sport ein sinnvoller Strategieansatz sein. Die wesentlichen Zusammenhänge von Entscheidungen müssen klargestellt werden und nachvollziehbar sein.
Was schlagen Sie weiter vor?
Hörmann: Heute brauchen Vereine und Verbände zu allererst einen guten Steuerberater und einen erfahrenen Juristen, selbst im kleinsten Dorfverein. Je mehr Geld ins Spiel kommt, desto wichtiger werden professionelle, zeitgemäße Strukturen. Sport kommt mitten aus dem Leben, insofern findet man auch alle charakterlichen Züge im Sport. Deshalb muss man wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen entsprechende Sicherheitsmechanismen einbauen. Das wurde lange nicht realisiert, geschieht aber jetzt allmählich unter dem medialen, öffentlichen, wirtschaftlichen und politischen Druck. Sport ist heute nicht mehr nur die schönste Nebensache der Welt. Viele Vereine und Verbände sind inzwischen mittelständische Unternehmen, bei einigen geht es schon in Richtung Konzernstrukturen.
Ist der DOSB schon als Konzern aufgestellt?
Hörmann: Wir haben ja in den vergangenen Jahren reagiert, einen hauptamtlichen Vorstand installiert, der von einem ehrenamtlichen Präsidium geführt wird. Moderne Unternehmen sind mit bewährten Aufsichtsratsstrukturen ähnlich strukturiert.
Sie arbeiten weiter als ehrenamtlicher Präsident, der für den DOSB viel unterwegs ist. Das ist, wenn wir Ihren Ausführungen folgen, nicht 21. Jahrhundert.
Hörmann: Die Frage von hauptamtlichen Präsidenten für große Verbände wird auch deshalb sehr leidenschaftlich diskutiert. Ich kann nur sagen, dass das Zusammenspiel zwischen Haupt- und Ehrenamt im DOSB seit unserer Strukturreform vor anderthalb Jahren gut funktioniert. Besondere Themen wie die Olympiabewerbung Hamburgs bringen für das gesamte Führungsteam natürlich Anstrengungen über das Normalmaß hinaus.
Der Sport betont gern seine Autonomie. Das hat in der Vergangenheit in einigen Verbänden dazu geführt, dass eine Art Parallelgesellschaft entstanden ist außerhalb jeder gesellschaftlichen Kontrolle. Ist das nicht vielmehr die Hauptursache der jüngsten Verwerfungen?
Hörmann: Wenn man mich vor zwei Jahren gefragt hätte, ob der Sport in der Lage sei, seine Probleme selbst zu regeln, hätte ich gesagt: Das wäre ja noch schöner, wenn wir das nicht schafften. Heute bin ich da skeptischer. An mancher Stelle, ein Musterbeispiel wäre der Fifa-Skandal, ist es offenbar nötig, dass Staatsanwälte ermitteln, Polizisten Razzien durchführen, Akten beschlagnahmen und Verdächtige festsetzen. Das hat eine ganz andere Schlagkraft als etwa die hausinterne Ethikkommission eines Verbandes. Von einer bestimmten Problemstufe an ist es hilfreich, wenn der Staat mit seinen juristischen Instrumenten in aller Härte dabei ist. Um die Macht des Geldes einzuschränken, um Doping und Spielmanipulationen besser bekämpfen zu können.
Wäre es da nicht hilfreich, einem Vorschlag des Ruder-Olympiasiegers Prof. Wolfgang Maennig zu folgen, der anregt, einen Teil der Preisgelder erst Jahre nach dem Karriereende auszuschütten, wenn sichergestellt ist, dass der Athlet kein Verfehlungen begangen hat?
Hörmann: Das ist für einen ehemaligen Spitzensportler ein erstaunlicher Vorschlag. Ich halte das für nicht durchsetzbar und für die aktuellen Athleten für nicht zumutbar. Doping und Manipulationen müssen durch ein lückenloses weltweites Kontrollsystem verhindert, aufgedeckt und verfolgt werden. Daran muss vor allem international weiter hart gearbeitet werden, damit weltweit dieselben Standards existieren. Das Risiko aufzufliegen, muss überall derart groß sein, dass es sich nicht lohnt zu betrügen. Die Instrumentarien sind also vorhanden, sie müssen nur noch konsequent angewandt werden und besser greifen.
Wie wollen Sie verhindern, dass Organisationen wie die IAAF den Kampf gegen Doping unterlaufen?
Hörmann: Die Sprache des Geldes ist immer noch die klarste. Wenn Medien, Sponsoren und Zuschauer sich zurückziehen, entsteht gewaltiger Druck, etwas zu verändern. Der Boykott der Tour de France durch ARD und ZDF hat zum Beispiel im Radsport-Weltverband durchaus etwas bewegt.
Wäre es noch wirkungsvoller, inkriminierte Spitzenverbände von den Olympischen Spielen auszuschließen? Das erhöhte gleichzeitig die Glaubwürdigkeit des IOCs. Warum gibt es nur Olympianormen für Sportler, nicht aber für Verbände? Schließlich sind Dreiviertel der Weltverbände ohne die Millionen-Zuschüsse des IOCs nicht überlebensfähig.
Hörmann: Ein großer Teil dieser Verbände kann sich keine vollprofessionellen Strukturen leisten. Diese Organisationen sind darauf angewiesen, dass möglichst unabhängige, vertrauenswürdige Personen in ihre Gremien gewählt und alte Seilschaften gekappt werden. Da kann und muss das IOC Hilfestellung leisten, das geht aber nicht von heute auf morgen. Ein Olympia-Ausschluss würde zuallererst die Sportler bestrafen und träfe wieder die Falschen.
Das Übel bleiben also die vielen kleinen Sonnenkönige in den Verbänden, die ihre Macht missbrauchen und Netzwerke zu ihrer Absicherung spinnen.
Hörmann: Da ist der Sport vielleicht nicht besser, aber auch nicht schlechter als andere Organisationen dieser Welt...
So denkt Hörmann über die Ungereimtheiten bei der Vergabe der Fußball-WM 2006
Sind die Ungereimtheiten bei der Vergabe der Fußball-WM 2006 auch mit den kriminellen Machenschaften bei der Fifa zu erklären? Hatte der DFB überhaupt eine Chance, die WM zu erhalten, ohne das schmutzige Spiel mitzuspielen?
Hörmann: Wie damals die Rahmenbedingen waren, ist noch zu prüfen. Die Zahlung der 6,7 Millionen Euro, die vom DFB wohin auch immer geflossen sind, das war schon ein sehr kreativer Vorgang. Diesen dann unter falschem Titel, unter Kulturprogramm, in den Büchern zu deklarieren, hat auch etwas ganz Spezielles.
Wo ziehen Sie die Grenzen, was bei einer Bewerbung zulässig ist? Beim Kampf um die WM 2006 sind nebenbei Geschäfte abgelaufen wie der Verkauf von Panzerfäusten nach Saudi-Arabien, die alle einen Beigeschmack hatten.
Hörmann: Es wird immer ein gewisses Geben und Nehmen stattfinden. Wenn die deutsche Nationalmannschaft oder der FC Bayern im Rahmen einer Bewerbung Freundschaftsspiele anbieten, halte ich das für legitim. In einem derartigen Wettbewerb darf man seine Möglichkeiten ausspielen. Es kommt dabei auf Art und Umfang der Leistungen und Gegenleistungen an. Es wird aber immer dann gefährlich, wenn Verabredungen unter der Hand passieren. Und was den Verkauf von Panzerfäusten angeht, da betritt man im wahrsten Wortsinne vermintes Gelände.
Halten Sie in diesem schwierigen Umfeld eine erneute deutsche Olympia-Bewerbung überhaupt für möglich?
Hörmann: Olaf Scholz hat nach dem gescheiterten Referendum gemutmaßt, dass es jetzt in den nächsten 50 Jahren wohl keine Olympischen Spiele in Deutschland geben wird. Ganz so pessimistisch bin ich nicht. In der Welt des Sports ist in den vergangenen Monaten viel in Bewegung gekommen, und das in die richtige Richtung. Die Hamburger Bewerbung hat sich stark an Kriterien wie Transparenz, Nachhaltigkeit und Kostenbewusstsein orientiert. Da steckte viel Zukunft drin. Wir müssen jetzt abwarten, wann es eine gesellschaftspolitische Konstellation gibt, in der eine Bewerbung eine Chance bei der Bevölkerung hat. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass Olympische und Paralympische Spiele Deutschland gut tun würden. Auch deshalb, um die Vielfalt des Sports zu erhalten und der Dominanz des Fußballs etwas entgegenzusetzen.