Ratingen. . Nach einem Achillessehnenriss musste die Olympiazweite von 2012 im Siebenkampf alles neu erlernen. In Ratingen will sie sich das WM-Ticket sichern.
Wenn Lilli Schwarzkopf die schwarze Schrift auf gelbem Hintergrund sieht, dann tut sich etwas in ihrem Körper. Unbewusst. Ungewollt. Es ist so ähnlich wie bei den Hunden von Iwan Petrowitsch Pawlow, deren Speichel in Erwartung von saftigem Futter schon fließt, wenn nur ein Glöckchen erklingt. Lilli Schwarzkopf beschreibt ihre Form der klassischen Konditionierung so: „Sobald ich auf dem Ortseingangsschild Ratingen lese, befällt mich ein Bauchkribbeln ohne Ende.“ Mit Ratingen verbindet die 31-Jährige das internationale Mehrkampf-Meeting, das am 27. und 28. Juni 2015 bereits zum 19. Mal über die Bühne geht. „In Ratingen haben wir Mehrkämpfer in jedem Jahr die letzte Chance, um noch die Tickets für die großen Meisterschaften zu lösen. Das bringt einen besonderen Kick“, sagt Lilli Schwarzkopf.
Lilli Schwarzkopf ging wochenlang an Krücken
Die große Meisterschaft in diesem Jahr ist die WM im August in Peking. Für den Jahreshöhepunkt im Olympiastadion von 2008, das wegen seiner Form „Vogelnest“ genannt wird, will sich Schwarzkopf in Ratingen qualifizieren. So wie sie es schon einige Male mit einem starken Siebenkampf in dem Städtchen zwischen Düsseldorf und dem Ruhrgebiet getan hat. Mit fast 32 Jahren ist Schwarzkopf so routiniert, mit der Silbermedaille bei den Olympischen 2012 so erfolgreich wie keine andere deutsche Mehrkämpferin.
Aber Lilli Schwarzkopf hat ihren Konkurrentinnen auch eine Erfahrung voraus, auf die sie sehr gern hätte verzichten können. Einen Monat nach dem zweiten Platz bei Olympia 2012 zog sie sich einen Achillessehnenriss zu. Viel schlimmer kann sich eine Mehrkämpferin nicht verletzen. „Ich wurde von einem Moment zum anderen in eine komplett andere Welt hinein gerissen“, erzählt die Sportlehrerin. Wochenlang ging sie an Krücken, sechs Monate lang durfte sie nicht Auto fahren.
Bewebungsabläufe in sieben Disziplinen neu gelernt
Und noch viel länger dauerte der Weg zurück auf die Tartanbahn. Ans Aufhören hat sie nicht gedacht, weil sie sich nicht an Krücken vom Sport verabschieden wollte. Es war ein langer, ein kraftraubender Kampf. Die Ärzte wussten nicht, ob sie wieder topfit wird – und auch Lilli Schwarzkopf konnte nicht Tag für Tag alle Selbstzweifel verscheuchen. Aber sie hat den Fight gewonnen. Längst ist das Lachen in ihr Gesicht zurück gekehrt.
„Es ist wie ein zweites Sportlerleben, wie ein neuer Frühling, das i-Tüpfelchen auf meiner Karriere“, sagt sie. „Nicht viele Sportlerinnen dürfen so etwas erleben.“ Lilli Schwarzkopf musste alle Bewegungsabläufe neu erlernen. Und das in sieben Disziplinen. Sie sagt, nach der OP seien die neuen Informationen plötzlich ganz andere gewesen als die, die vom Körper in den Jahren zuvor in vielen tausend Wiederholungen als Muster im Gehirn abgespeichert worden sind. „Der Körper richtet Bremsen ein, die du einfach nicht überwinden kannst, auch wenn du es noch so sehr willst“, erzählt sie.
Zwangspause zur Hochzeit genutzt
Aber Lilli Schwarzkopf hat es geschafft. Im letzten Jahr blieb sie mit 6.332 Punkten zwar noch deutlich hinter ihrer Bestleistung (6649) zurück, doch Platz fünf bei der EM konnte sich schon sehen lassen. In diesem Jahr soll es weiter aufwärts gehen. Erst in Ratingen, dann in Peking.
Ihrer langen Verletzungspause kann die für die LG Hannover startende Paderbornerin auch einen positiven Aspekt abgewinnen. Nachdem sie bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres 2012 Dritte geworden war, sank ihr Freund im Kurhaus von Baden-Baden auf die Knie und hielt um ihre Hand an. „Wir haben die sportliche Zwangspause zur Hochzeit genutzt. So hatte das Jahr doch noch ein Highlight“, sagt Lilli Schwarzkopf.