Washington. . Tom Brady krönt sich beim 28:24-Sieg der New England Patriots über die Seattle Seahawks zu einem der besten Quaterbacks aller Zeiten. Sebastian Vollmer aus Kaarst gewinnt als erster Deutscher einen Super-Bowl-Ring.

Wenn die Reporterfloskel „spannend wie ein Hitchcock-Krimi“ je ein Körnchen Wahrheit enthielt, dann war es in dem Moment, als Pete Carroll am Sonntagabend Instinkt und alle guten Geister verließen. 15 Jahre nach seinem Rausschmiss bei den New England Patriots servierte ausgerechnet der Trainer der Seattle Seahawks seinem früheren Arbeitgeber mit einer erratischen Anweisung die 49. Super Bowl im American Football auf dem Silbertablett.

Keine 30 Sekunden vor Schluss der pulstreibenden Nervenschlacht lag Vorjahresmeister Seattle vor rund 70 000 Zuschauern im Stadion der Universität von Phoenix/Arizona in Glendale mit 24:28 zurück. Und hatte in Ballbesitz – nur einen knappen Meter vor der Patriot-Endzone lauernd – dennoch allerbeste Sieg-Chancen.

Kolossale Fehlentscheidung

Aber anstatt wie erwartet Running Back Marshawn Lynch das eiförmige Spielgerät für den entscheidenden Touchdown-Versuch zu überantworten, einem Mensch gewordenen Bulldozer, der schwerer aufzuhalten ist als ein sprintendes Nashorn, gab Carroll Spielmacher Russell Wilson den Auftrag zu einem Hochrisiko-Pass.

Was kolossal schief ging.

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Malcolm Butler, Corner Back der Patriots, schob sich vor Ricardo Lockette, fing den Ball zum Entsetzen von Millionen Fans der „Fischadler“ ab und spielte sich mit 24 Jahren in die Geschichtsbücher. Ende. Den Patriots war der vierte Gewinn der Vince-Lombardi-Trophy der National Football League (NFL) nicht mehr zu nehmen. Trainer Carroll, noch käseweißer als gewöhnlich, nahm alle Last auf sich: „Das war allein mein Fehler. Es ist hart, so kurz vor Schluss zu scheitern, wenn man bis dahin sehr viel richtig gemacht hat.“

Butlers Aktion löste eine Kettenreaktion aus, mit der man Bände füllen könnte. Neu-Englands Quarterback Tom Brady schloss mit seinem vierten Super-Bowl-Sieg (und dritten Titel als wertvollster Spieler) zu den Legenden Terry Bradshaw und Joe Montana auf. Dabei lag sein Team vor dem letzten Spielviertel noch mit 14:24 zurück und wirkte teilweise entkräftet und ratlos. Perdu. Die Endspiel-Niederlagen der Patriots mit Brady 2007 und 2011 sind vergessen.

Der deutsche Schutzwall hielt dicht

Weil der 37-Jährige noch nicht ans Aufhören denkt, liegt für 2016 eine Sensation in der Luft. Apropos Luft: Über den seit zwei Wochen alle Schlagzeilen dominierenden Skandal der ungenügend aufgepumpten Bälle im Halbfinale gegen Indianapolis („Deflategate“), bei denen Brady ideell die Finger im Spiel gehabt haben soll, redet einstweilen niemand mehr.

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Großen Anteil an Bradys trotz einiger Fehler beeindruckend nervenstarker Leistung (37 von 50 Pässen erfolgreich abgeschlossen, vier Touchdown-Pässe, dabei 328 Yards Raumgewinn erzielt), hatte sein aus Kaarst stammender Leibwächter. Sebastian Vollmer (30) hielt Brady als Right Tackle beinahe tadellos die gegnerischen Sturmkommandos vom Leib. Der Sieg macht den vor zehn Jahren nach Amerika gekommenen Athleten zum ersten deutschen Super-Bowl-Gewinner überhaupt. „Mir fehlen die Worte, ich bin einfach nur glücklich“, sagte der 2,03 Meter große Rheinländer und winkte mit feuchten Augen seinen Eltern auf der Tribüne zu.

Selbst Bill Belichick, notorisch miesepetrig dreinschauender Coach der Patriots, kann durch den hart erkämpften Erfolg in Arizona ebenfalls vier Super-Bowl-Ringe sein Eigen nennen: „Ich bin stolz auf meine Mannschaft. Ich liebe diese Jungs.“ Für einen Moment huschte sogar ein Lächeln über sein Gesicht.

Versöhnlicher Jahresabschluss

Nach dem langweiligen Vorjahresfinale war die 49. Auflage des größten Sportereignisses in den USA (über 100 Millionen TV-Zuschauer) für die NFL der schiedlich-friedliche Abschluss einer schwierigen Saison. Das Zehn-Milliarden-Dollar-Unternehmen kämpft mit Skandalen (Spieler, die ihre Frauen und Kinder verprügeln) und hoher Verletzungsanfälligkeit (Gehirnerschütterungen). Liga-Boss Roger Goodell wurde bei der Übergabe des Pokals ausgebuht. Was man im US-Fernsehen nicht durchgängig hören konnte. Anders als die Leistungsshow der Unterhaltungswirtschaft in der Halbzeit-Pause: Katy Perry, Lenny Kravitz und Missy Elliott. Pompös. Laut. Bunt.