München. Es ist ihr sechster Prozess, und erstmals hat Claudia Pechstein im Kampf gegen den Weltverband ISU einen Sieg gelandet. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München wird von großer Wirkung für die gesamte Sportgerichtsbarkeit sein. Die ISU legte Revision ein.

Für Claudia Pechstein war es ein Feiertag. Das Oberlandesgericht München nahm am Donnerstag die Schadenersatzklage der fünfmaligen Eisschnelllauf-Olympiasiegerin gegen den Eislauf-Weltverband ISU an. Das Gericht erklärte die 2009 getroffene Schiedsvereinbarung Pechsteins mit der ISU für unwirksam und erkennt die Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofes CAS zu ihrer Sperre nicht an.

"Es ist ein großer Tag für mich. Dieser Sieg ist mehr wert als alle meine Olympia-Medaillen zusammen", sagte die 42 Jahre alte Hauptstädterin strahlend. "Wir haben einen Sieg errungen, der Sportrechtsgeschichte schreibt. Der CAS muss jetzt grundlegend reformiert werden", erklärte ihr Münchner Anwalt Thomas Summerer.

Der CAS war am 25. November 2009 dem Urteil des Weltverbandes ISU gefolgt und hatte die Zwei-Jahres-Sperre Pechsteins wegen schwankender Retikulozyten-Blutwerte ohne Doping-Beweis bestätigt. Pechstein hat Doping stets bestritten und führt eine geerbte Blutanomalie als Grund für ihre schwankenden Werte an, die bis in die heutige Zeit weiter registriert, aber nicht mehr bestraft werden. In dem Münchner Schadenersatzprozess hat die Berlinerin die ISU daher auf 4,4 Millionen Euro für erlittenes Unrecht erklagt.

"Die ISU-Betrüger haben mir alles genommen. Aber es ist jetzt nicht zu Ende. Mich freut es, dass die ISU jetzt handeln und Beweise auf den Tisch legen muss", meinte Pechstein. Nach dem Urteil schilderte sie nochmals, in welch schwierige persönliche Situation sie der Weltverband mit seiner Sperre gebracht hatte. Sogar mit Selbstmord-Gedanken habe sie sich geplagt.

Die ISU geht nach der Niederlage in Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Das bestätigte ISU-Anwalt Christian Keidel. "Wir halten das Urteil nach wie vor für falsch", bekräftigte Keidel. Er erklärte, es habe den Anschein, dass er vor dem Gericht mehr den Sportgerichtshof CAS als den Eislauf-Weltverband verteidigen musste.

Das Oberlandesgericht kippte damit die Entscheidung des Landgerichts München I, dass der Spruch des CAS anerkannt werden müsse. Die deutschen Gerichte seien daher in der Frage des Schadenersatzes nicht mehr an das CAS-Urteil gebunden, hieß es in der Begründung des OLG. Die Schiedsvereinbarung Pechsteins sei unwirksam, weil sie gegen "zwingendes Kartellrecht" verstoße.

"Das ist eine epochale Entscheidung: Noch nie hat sich ein ordentliches Gericht auf diese Weise mit einem Dopingfall beschäftigt. Das Urteil eröffnet jetzt alle Möglichkeiten, auch die Frage, ob Claudia gedopt hat oder nicht, völlig neu aufzurollen", erläuterte Pechsteins Berliner Anwalt Simon Bergmann, der sie seit der ersten juristischen Instanz betreut.

Das Pechstein-Urteil kann somit von großer Tragweite für die deutsche und internationale Sportgerichtsbarkeit sein. Sollte der BGH dem Urteil des OLG folgen, würden künftig Sportler ein Wahlrecht zwischen Sportgerichtsbarkeit und ordentlichen Gerichten erhalten.

Erst nach dem BGH-Urteil wird vor dem Oberlandesgericht über die finanziellen Forderungen von Pechstein verhandelt. Die ISU müsste dann der Athletin Doping nachweisen. Vor den Sportgerichten hatte sie bisher ihre Unschuld beweisen müssen und war damit gescheitert. (dpa)