Essen. Auch nach dem Saisonabschluss kehrt bei Rot-Weiss Essen keine Ruhe ein: Die Wettaffäre hält den Verein in Atem. Wir sprachen wir mit RWE-Chef Michael Welling über die Wettaffäre, aber auch über die Bilanz dieser und die Ziele für die kommende Serie.
Die Nachricht am Freitagabend war kurz, aber sie schlug ein wie ein Paukenschlag: Gegen die RWE-Spieler Dirk Jasmund, Kevin Lehmann und Güngör Kaya ermittelt der DFB, weil sie vor dem Spiel gegen die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund (Endstand 0:4) eine Wette gegen den eigenen Verein platziert haben. Die Verantwortlichen bei Rot-Weiss Essen sind entsetzt und haben die Spieler vorerst vom Training und Spielbetrieb freigestellt. Aaron Knopp sprach mit dem RWE-Vorsitzenden Michael Welling über die Situation.
Nach dem Spiel gegen Fortuna Köln sah man Sie sehr emotional. Was geschah da in Ihnen?
Michael Welling: Der Druck, die Belastung in der Planung war per se schon hoch, aber mit Hinblick auf diesen Abschied waren es positive Emotionen. Seit Freitagabend sind wir aber nicht mehr auf dieses positive Ereignis fokussiert, das wir seit Monaten vorbereitet haben, sondern in einer ganz anderen Welt. Das ist eben der Druck des Ganzen, der sich bei jedem anders Bann bricht. Bei mir eben durchaus auch in Form von Emotionalität, verbunden mit Ärger, einer Wehmut, aber auch Stolz auf unsere Fans, denn es war schon phänomenal, wie die insgesamt bei dieser Geschichte reagiert haben, wie sie während des Spiels reagiert haben, aber auch wie sie - bis auf einige wenige vollidiotische Ausnahmen - nach dem Spiel reagiert haben. Das hat mich schon sehr bewegt.
Wie hat sich die ganze Sache im Einzelnen überhaupt abgespielt?
Welling: Wir haben am Freitag einen Brief bekommen - adressiert an Waldemar Wrobel / Management. Vorm Training hat Waldi den beiläufig aufgemacht. Damian war dabei und hat mich sofort angerufen. In dem Brief war anonym der Sachverhalt geschildert, wie er sich letztendlich dargestellt hat. Mit konkreter Nennung der Namen und der Beträge. Daraufhin haben wir die Mannschaft befragt und die Spieler haben sehr schnell gesagt: "Wenn so etwas im Raum steht, dann kann es nur um mich gehen." Das haben alle drei unabhängig voneinander so vorgebracht. Daraufhin haben wir die Mannschaft befragt, ob es noch weitere Fälle gibt, das wurde aber verneint. Wir haben gemäß der Regularien des DFB gehandelt, das Ganze zur Anzeige gebracht und berichtet, was vorgefallen ist. Das Ganze ging dann mit unserem Anwalt zu Dr. Rainer Koch, dem Vizepräsidenten des DFB und später zum DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock. In gemeinsamer Absprache haben wir das Ganze dann so kommuniziert.
Welling will klare Positionierung ohne Vorverurteilung
Was bedeutet das für die Spieler. Ist die Tür ein für alle Mal zu, falls sich der Sachverhalt im Laufe des Verfahrens relativieren sollte?
Welling: Das kann ich nicht abschätzen. Stand jetzt sind sie freigestellt. Sicher ist aber, dass wir uns da sehr klar positionieren und so etwas verurteilen. Wir wollen da alles aufs Tableau bringen, was in irgendeiner Form eine Rolle spielt, aber wir werden eben auch niemanden vorverurteilen und komplett den Stab brechen. Wir werden versuchen, das gemeinsam mit den Spielern und dem DFB aufzuarbeiten. Der DFB hat ein Verfahren eingeleitet. Die Spieler haben auch signalisiert, dass sie in jeder Hinsicht bereit sind, das mit aufzuklären. Sie sind sich bewusst, dass sie einen riesigen Fehler gemacht und eine riesige Dummheit begangen haben. Gleichzeitig betonen sie aber auch - und ich denke, das ist wichtig - dass es zu keiner Spiel- oder Wettmanipulation gekommen ist.
Wie lautet denn der Vorwurf?
Welling: Es war Insiderwissen. Vor der Partie wurde die Aufstellung bekannt. Dabei haben alle drei unabhängig voneinander agiert, also nicht gemeinschaftlich gehandelt. Sie wurden angesprochen nach dem Motto: Dann muss Dortmund doch Favorit sein, da muss man doch Geld drauf wetten. Einer hat angeboten: Wenn sie gewinnen, lade ich Dich zum Essen ein. Es ist aber moralisch komplett verwerflich, es ist verbandsrechtlich eine Katastrophe, aber es ist zivilrechtlich eben nicht kriminalisierbar. Dementsprechend muss man genau gucken, was man da macht. Die Spieler sind vom Trainings- und Spielbetrieb freigestellt. Natürlich prüfen wir alle arbeitsrechtlichen Möglichkeiten, die es gibt, da zu reagieren. Aber eben auf Faktenbasis und verlässlichen Informationen und nicht auf Mutmaßungen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir das alles relativ zeitnah darlegen können. Am Montag werden wir mit den Spielern das Ganze sehr dezidiert kommunizieren und das dann gemeinsam mit dem DFB zur Aufklärung bringen.
Zeichen für eine Manipulation gibt es bislang nicht
Es ist allerdings zumindest fragwürdig, ob ein Spieler, der zum Einsatz kommt und aus einer Niederlage einen wie auch immer gearteten Vorteil zieht, in einem Spiel 100 Prozent Leistung abruft.
Welling: 90 Minuten durchgespielt hat ja nur Dirk Jasmund und man sieht, dass er an den Gegentoren nicht ansatzweise beteiligt war. Bei den ersten beiden Toren war Dirk nicht mal in der Nähe und es stand schon 0:2. Wenn man sich das Spiel ansieht, wird man in keiner Weise irgendetwas feststellen. Auch der DFB sagt: Zeichen für Spiel- oder Wettmanipulation gibt es nicht. Sportradar hat keinerlei Anschläge gezeigt, das wurde sofort kontrolliert. Von daher muss man da auch die Kirche im Dorf lassen, so doof das klingt. Dass die Lotter das natürlich nicht toll finden, ist klar. Ich würde an deren Stelle Amok laufen. Das hat natürlich für die einen faden Beigeschmack und das ist nicht mehr revidierbar. Egal, wie sich das Ganze herausstellt und egal, wie wenig Einfluss die Jungs genommen haben. Das ist vor dem Hintergrund der sportlichen Situation in Lotte sehr, sehr traurig.
Wie schädlich ist dieser Vorfall nach der mühsamen Aufbauarbeit für das Image des Vereins - gerade auf Sponsorenseite?
Welling: Ich könnte jetzt lange darüber referieren, dass Imagemessung per se eine sehr fadenscheinige Wissenschaft ist. Dass das nicht positiv ist, steht außer Frage. Dass uns das extrem trifft und betroffen macht, steht auch außer Frage. Wir haben uns das natürlich anders vorgestellt, aber es ist wichtig zu betonen: Auch wenn es Spieler von Rot-Weiss Essen waren und obwohl es bei einem Spiel von Rot-Weiss Essen passiert ist, hat es doch eigentlich relativ wenig mit RWE zu tun. Wir können da relativ wenig gegen tun und von daher glaube ich, dass diese Relativierung bei den meisten nach der ersten Emotion auch offenkundig wird. Dennoch wird es etwas sein, das immer wie eine Schleier dabei sein wird. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass nicht ansatzweise etwas Verwerfliches vorgefallen ist: Scheiße bleibt's!
"Wir wollen nichts unter den Teppich kehren"
Zumindest auf Seiten der gegnerischen Fans steht zu befürchten, dass das dankbar aufgegriffen wird.
Welling: Natürlich, aber auch da muss man relativieren. Ich will nichts verharmlosen, aber es ist kein Fall Cichon, es ist kein Fall Schnitzler. Es hat eben keine Wett- oder Spielmanipulation stattgefunden. Es ist jedoch wichtig, dass jetzt eine Aufklärung stattfindet. Deshalb sind wir auch von Anfang an sehr offen damit umgegangen und wollten nicht irgendetwas unter den Teppich kehren.
Angesichts dieses Vorfalls ist es schwer, dennoch können sie eigentlich auf eine extrem erfolgreiche Saison zurückblicken, oder?
Welling: Wir haben vor der Saison realistisch das Ziel Platz neun ausgeben. Dann haben wir ein richtig beschissene Phase gehabt, die sehr lang war, wo wir auch zurecht auf die Fresse gekriegt haben. Aber auch damit sind wir relativ entspannt umgegangen und ruhig geblieben, obwohl das stellenweise schon der Weltuntergang prophezeit wurde. Wenn man dann sieht, dass wir unser Ziel erreicht haben, ist das allerhand. Wenn man zusätzlich sieht, unter welchen - vor allem durch Verletzungen - widrigen Umständen wir das geschafft haben, muss man eine Kompliment aussprechen. Hinzu komm der Gewinn des Niederrheinpokals. Daher kann man sagen: Wir haben unser Versprechen gehalten. Jetzt freuen wir uns auf das neue Stadion und gehen positiv in die neue Saison.
Die Mannschaft soll weitestgehend zusammenbleiben
Mit welchen Zielen?
Welling: Wenn unser Kader feststeht und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stehen, werden wir Ziele formulieren. Ich bin relativ sicher, dass es uns gelingen wird, Ziele zu formulieren, die höher sind als der diesjährige Platz. Wie hoch genau, das hängt auch davon ab, wie viel Geld Viktoria Köln oder Wuppertal durch die Gegend schmeißen, wie viele Vereine auf die Idee kommen, nach der Regionalliga-Reform in die 3. Liga aufsteigen zu wollen. Das sind Unwägbarkeiten. Vor dem Hintergrund werden wir dann irgendwann eine Zielsetzung ausgeben. Auch wenn der Kaderumbruch jetzt größer sein wird als ursprünglich geplant, wird die Mannschaft im Kern zusammenbleiben. Wir werden mit Timo Brauer nur einen unumstrittenen Stammspieler verlieren. Wir werden uns bemühen, gute Jungs dazuzukriegen, die das Ganze gemäß unserer Philosophie gestalten können und dann bin ich sicher, dass wir den nächsten Entwicklungsschritt machen.
Das bedeutet, dass die vier Spieler, die vor dem Spiel gegen Fortuna Köln verabschiedet wurden, die einzigen bleiben werden. Der Rest soll also bleiben?
Welling: Wir haben mit allen Spielern gesprochen, bei dem einen oder anderen geht es noch um Kleinigkeiten. Auch da gilt aber wie immer: Wir kommunizieren Ergebnisse, keine Prozesse.