Essen.. Der Fußballgott hatte schon Feierabend. Rot-Weiss Essens Trainer Waldemar Wrobel strich sich über das kurze Haar. Zweimal, dreimal, viermal, er pustete die Backen auf, nahm Platz, stand auf, tigerte durch seine Coaching-Zone. Er konnte nicht fassen, dass seine Mannschaft in allerletzter Minute aus dem Pokal geflogen war.

Selten lässt sich der 42-Jährige so tief durchs dünne Nervenkostüm blicken. Doch die Anspannung brach sich Bahn nach draußen. Den Lohn für eine couragierte Leistung seiner Mannschaft so greifbar, war der Essener Trainer in der Verlängerung des Erstrundenspiels gegen Union Berlin nicht zu halten. RWE war drauf und dran gewesen, Union Berlin ein zweites Mal in Folge die Widrigkeiten dieses Wettbewerbs spüren zu lassen.

Wrobels Wechsel gehen auf

Er hatte sich in dieser ersten Pokalrunde so rar wie selten gemacht. Und auch im neuen Stadion Essen war der vielzitierte Klassenunterschied seiner Einladung nicht nachgekommen. Rot-Weiss Essens Regionalliga-Mannschaft nahm die Kulisse, die erstmals die Auslastungsgrenze des Drei-Tribünen-Stadions auslotete, selig lächelnd, ansonsten aber äußerlich ungerührt hin. Nach vorn getrieben von dem Großteil der 12.500 Zuschauer präsentierte sich RWE selbstbewusst, forsch und offensiv. Keine zwei Minuten waren gespielt, als Kevin Grund mit einem Eckball auf Max Dombrowka die erste Chance Beinahe-Chance des Spiels (2.).

Dombrowka, neben Roberto Guirino und Vincent Wagner eine von gleich drei Änderungen in der Startformation gegenüber dem letzten Ligaspiel. Wechsel, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Vor allem Wagner, der ja als Pokalheld schon einschlägig an der rot-weissen Historie in diesem Wettbewerb mitgeschrieben hatte, überzeugte und bildete mit Maik Rodenberg ein bärenstarkes Innenverteidiger-Pärchen. Auch aufgrund ihrer aufmerksamen Leistung gegen die Berliner Offensivkräfte Silvio und Simon Terodde, kamen die Gäste kaum zur Entfaltung.

Erst nach rund 20 Minuten stellte sich Union erstmals vor dem Kasten von Dennis Lamczyk vor. Terodde traf aber lediglich das Außennetz. Die größte Chance des ersten Durchgangs blieb den Gastgebern vorbehalten. Benedikt Koep hatte freie Schussbahn, doch Zweiltliga-Schlussmann Daniel Haas parierte mit beiden Fäusten. Ansonsten drohte die Partie nun fast schon zum Langweiler zu werden, was zumindest die Hausherren durchaus als Fleißkärtchen für sich verbuchen durften.

Union lange ohne Chance

Wer nun erwartete, dass der Favorit nach der Pause seine abwartende Grundausrichtung ändern würde, wurde schnell eines Schlechteren belehrt. Auch wenn die Berliner sehr hoch verteidigten, sich in der Essener Hälfte die Bälle zuschoben. Das Spiel der Mannschaft von Ex-RWE-Trainer Uwe Neuhaus ließ nicht den Hauch einer Idee erkennen, wie diese Essener Mannschaft zu knacken sei. Keine Tempowechsel, kein schnelles Kombinationsspiel. Bezeichnend, dass Parensen mit einem Schuss an den Innenpfosten in der 71. Minute die erste Großchance für Union verbuchte. Bei allem Bemühen schwanden dem Regionalligisten nun allmählich die Kräfte. Union hätte durch Christoph Menz in Führung gehen können, doch RWE-Keeper Dennis Lamczyk durfte nun auch mitspielen und lenkte die Kugel an den Pfosten. Der Favorit hätte nun gut und gerne in Führung gehen können, doch das späte Glück ließ sich einfach nicht erzwingen. Zudem offenbarten sich den sichtlich entkräfteten Hausherren noch Kontergelegenheiten, aber jeder Schritt schmerzte für drei. Holger Lemke kam ins Spiel und musste wenig später wieder raus – der Kreislauf!

Für die begeisterten Zuschauer stand der moralische Sieger längst fest und während selbst in der Teppichetage von den Balkonen der flammneuen Logen rot-weisse Fahnen geschwenkt wurden, wusste Neuhaus wohl ganz genau, warum er eigentlich so schnell nicht zurückkehren wollte an die Hafenstraße.

Bedarf es noch einer Erläuterung, dass sich nun auch in der Verlängerung herzlich wenig an den Kräfteverhältnissen änderte? Wie auch. Berlin zwar immer feldüberlegener, dafür aber mental schier ausgelaugt. Auch das Glück war einfach (noch) nicht mit den Gästen. Zwar wusste Terrode wohl selbst kaum, wie ihm der Ball so serviert wurde, doch ein zweites Mal sprang sein Versuch vom Innenpfosten in Lamczyks Arme (117.). Doch irgendwann ist auch das Glück des Tüchtigsten aufgebraucht. Nur eine Minute später machte Terodde doch noch alles klar (120.). 30 Sekunden haben gefehlt zum Elfmeterschießen. Eine weitere Sensation war für dieses Pokalwochenende offenbar nicht vorgesehen. Der Fußballgott hatte nach einem ereignisreichen Wochenende bereits Feierabend. (RevierSport)