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Als Politikerin umschifft Hannelore Kraft so manche Klippe. Privat dagegen glaubt die Ministerpräsidentin, eher weniger seetüchtig zu sein. Und so interessiert sie sich sicher für die nächsten paralympischen Spiele 2016 in Rio, diese aber auf dem Seeweg anzusteuern, hält sie eher für ausgeschlossen.

Sollte der Behindertensportverband Nordrhein-Westfalen (BSNW) also in vier Jahren wieder ein inklusives Segelschiff auf den Weg schicken, wird die Crew ohne Hannelore Kraft starten müssen. Aber eine Ministerpräsidentin kommt ja auch anders zu den Paralympics. Donnerstag ist sie in London eingetroffen, war abends im Deutschen Haus zu Gast und gestern noch einmal.

Schirmherrin der BSNW-Projekte

Zu einem ganz besonderen Anlass. Die NRW-Regierungschefin nahm sich ausgiebig Zeit, um mit den Schülerinnen und Schülern aus Oberhausen, die im Rahmen des Inspiration-Projektes in London und Canterbury während der Spiele Inklusion ganz praktisch leben, zu sprechen. Sie ist Schirmherrin der drei BSNW-Projekte Challenge (Segelschiff), Inspiration und Excellence (gemeinsames Training von Sportlern mit und ohne Behinderung), aber wer die Regierungschefin gestern im Deutschen Haus in London erlebt hat, der merkte sehr schnell, hier saß keine Frau, die ein Pflichtprogramm absolvierte, sondern eine, die zuhören und wissen wollte. Folgerichtig verzichtete sie auch darauf, sich das Mikro für eine Begrüßungsansprache in die Hand drücken lassen. Nein, sie wollte lieber zuhören.

Und auch ein bisschen erzählen. Denn Hannelore Kraft geht es nicht anders als 99 Prozent der Besucher in London. Die Paralympics reißen einfach mit. Am Vorabend hatte sie die Leichtathletikwettbewerbe im Olympiastadion verfolgt und die „ungeheure Ausstrahlung“ erlebt. Ihr Eindruck: Hier sei vieles in Sachen Inklusion schon so selbstverständlich, werde bereits gelebt, „da müssen wir noch viele Anstrengungen unternehmen“.

Womit die Ministerpräsidentin auch gleich beim Thema war. Denn die Inspiration-Gruppe lebt ebenfalls Inklusion. „Wir sind zu einer großen Gruppe geworden“, erklärt Silvia, „und kommen supergut miteinander klar.“ Ihr Gegenüber hat anfangs Unterschiede gesehen zwischen „normalen und Behinderten“. Aber jetzt sei „es ganz normal, dass jemand dabei ist, der zum Beispiel im Rollstuhl sitzt“. Und Alessia wünscht sich, dass die Menschen akzeptieren, „dass wir nicht anders sind, sondern alle gleich“ – egal, ob jetzt einer im Rollstuhl sitze oder nicht.

„Dann verliert man die Scheu“

Wahrscheinlich, so Hannelore Kraft nachdenklich, sei es das Beste, ganz unten, sprich in der Kita anzufangen. Damit es von Anfang an normal sei, mit Menschen mit Behinderung zusammenzuleben und zu arbeiten, „dann verliert man nämlich auch die Scheu“. Am Rande der Leichtathletik-Wettkämpfe hat sie viele Gespräche geführt, viele Schicksale gehört und auch mitgenommen, „wie schnell man in eine solche Situation kommen kann“.

Schon nach kurzer Zeit plaudern Jugendliche und Ministerpräsidentin wie alte Bekannte. Über Zukunftspläne, Sportvorlieben, sie erzählt ein bisschen von ihrem Sohn, der jetzt in Kanada studiert und den sie, obwohl er schon 19 ist, schweren Herzens hat ziehen lassen. Die jungen Leute haben natürlich auch ein Anliegen. In der nächsten Woche feiert die LVR-Förderschule in Oberhausen offiziell ihren neuen Namen: Christoph-Schlingensief-Schule. Es wäre prima, wenn Hannelore Kraft dann dabei sein könnte. Wer vorher aufmerksam zugehört, weiß, dass das kaum klappen wird. Denn die Regierungschefin hat Termine fast rund um die Uhr, bis Ostern ist der Terminkalender voll. „Aber wenn ich es nicht schaffe zu kommen, dann bekommt ihr von mir auf jeden Fall einen schönen Brief.“