London. . Menschen mit Handicap haben in England viel mehr Chancen, in den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden. Förderschulen sind die Ausnahme, integrativer Unterricht auf der Insel normal. Unterschiede zwischen Deutschland und England sind der Grund, dass die Paralympics in London ein Erfolg sind.

Otis Fidelio war knapp drei Monate nicht mehr in London. Für den 39-Jährigen, der im 100 Kilometer entfernten Canterbury lebt, ist das mehr als ungewöhnlich – denn Sportfotos sind sein Hobby. Die Gelegenheit wäre gerade mehr als günstig. Aber er habe einfach keine Lust auf Olympia und Paralympics, die Stadt sei ihm im Moment zu voll und zu teuer. Basta.

Vielleicht hätte er einfach fahren sollen. Mit jedem Kilometer, den Bus oder Bahn auf dem Weg von Canterbury nach London zurücklegen, rückt das Gefühl näher. London 2012 bedeutet – feiern, feiern, feiern. An allen Ecken und Enden. Knapp 200 000 Besucher kommen jeden Tag in die verschiedenen Stadien, Anfang der Woche wurde bereits die Millionenmarke geknackt. Wer keine Eintrittskarten bekommen hat, der geht zum Public Viewing.

Werbeplakate überall in der Stadt

Eine Stadt im Ausnahmezustand? London hat sich vorgenommen, die besten Paralympics der Geschichte auf die Beine zu stellen. Dem medialen Feuer konnte sich schon im Vorfeld kaum jemand entziehen. Channel 4, der offizielle TV-Sender für die Paralympics, hat die Athleten zu Supermenschen hochstilisiert, die überdimensionalen Werbeplakate sind überall in der Stadt zu finden. Viele andere Unternehmen und Organisationen haben mitgezogen, irgendein Paralympics-Dreh in Anzeigen und auf Plakaten lässt sich immer finden.

Kaum hatte die Anmeldefrist für die Volunteers, die freiwilligen Helfer, begonnen, waren die Listen voll. Londoner nehmen Urlaub, um an einer Bushaltestelle zu stehen, wie der nette ältere Her am Tower Hill, um Touristen zu erklären, wie sie am besten von A nach B kommen. Am Ende des Gesprächs bedankt er sich mit Handschlag bei seinem Gegenüber. Was macht er ab nächsten Montag? Da geht er zurück in sein Büro. Er und die anderen Freiwilligen machen das alles für die Spiele, Geld gibt’s nicht. Vertreter von Sportverbänden staunen. Das wäre in Deutschland so wohl nicht möglich.

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Inklusion ist selbstverständlich

Vielleicht sind die Unterschiede zwischen Deutschland und England genau der Grund, dass die Paralympics in London ein Erfolg sind. Inklusion, das schwierige Wort, dass die Deutschen gerade mit Aktionsplänen von Landesregierungen und Verbänden mit Leben füllen wollen, ist in England schon selbstverständlich.

Behindertenwerkstätten sind hier seit den 90er-Jahren sukzessive abgebaut worden. Menschen mit Handicap haben viel mehr Chancen, in den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden. Förderschulen sind die Ausnahme, integrativer Unterricht normal. Die Sportförderung auch für behinderte Athleten steht auf ganz anderen Füßen, zudem ist in England das gemeinsame Training von Athleten mit und ohne Behinderung nichts Besonderes.

Sportler sehen, die ihr Bestes geben

Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Paralympics auf der Insel einen anderen Stellenwert haben als in Deutschland, wo Behindertensport oft unter dem Mitleids-Aspekt gesehen wird. „Es geht nicht um Mitleid, es geht um Respekt“, hat der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, Friedhelm Julius Beucher, zum Auftakt der Spiele gesagt. Die sportverrückten Briten machen es vor. Wenn sie ins Stadion gehen, dann wollen sie Sportler sehen, die ihr Bestes geben. Ob sie das auf zwei Beinen tun oder mit einer Prothese, ist ihnen ziemlich egal.