London. . Beim Sitzvolleyball der Paralympics finden frühere Feinde aus Ruanda zusammen. Und die Spiele kehren zu ihren Ursprüngen zurück: Sport für Kriegsversehrte.

Sie schlugen reihenweise Bälle ins Aus, sie haben verloren, doch Emile Vuningabo sieht nicht aus wie ein Verlierer. Das 0:3 gegen den Weltmeister Iran ist erst eine halbe Stunde alt, die Halle hat sich geleert, doch Vuningabo ist noch in der Interviewzone und schwärmt mit großen Augen und großen Worten: Von jubelnden Zuschauern, von perfekter Organisation, von hilfsbereiten Teamkollegen. Emile Vuningabo, 25, ist Kapitän der Sitzvolleyballer aus Ruanda. „Viele Menschen verbinden Ruanda mit dem Völkermord“, sagt er. „Auch wir denken zurück, aber das Land hat sich entwickelt. Wir wollen zeigen, dass wir optimistisch nach vorn schauen.“

Die Paralympics, die Weltspiele für Sportler mit Behinderung, haben ihren Ursprung im Sport für Kriegsversehrte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Soldaten von der Front und stärkten durch Bewegung ihr Immunsystem. Der deutsche Neurochirurg Ludwig Guttmann gilt als Erfinder der Paralympics. Mit 16 kriegsversehrten Männern und Frauen führte er im Krankenhaus des englischen Örtchens Stoke Mandeville 1948 den ersten Wettkampf im Bogenschießen durch. In den vergangenen Jahren kehrten die Spiele zu ihren Wurzeln zurück. Irak, Afghanistan, Kosovo: viele Sportler, vor allem aus den USA und Großbritannien, die nun in London antreten, waren Soldaten in Konfliktregionen, wurden dort verletzt.

Die bemerkenswerteste Geschichte schreiben wohl die Sitzvolleyballer aus Ruanda. 1994 hatten Angehörige der Hutu-Mehrheit in rund 100 Tagen drei Viertel der Tutsi-Minderheit getötet, damals starben eine Million Menschen. Der Tutsi Dominique Bizimana gehörte zu den Rebellen, bei einem Gefecht verlor er seinen linken Unterschenkel. Bizimana überlebte und gründete 2001 das Nationale Paralympische Komitee Ruandas, er sah im Sport eine Chance zur Annäherung. Zu einem wichtigen Partner wurde ein früherer Gegner: Der Hutu Jean Rukundo war im Dienst für die Nationale Armee auf eine Mine getreten. Er verlor ein Bein.

Wenig Akzeptanz in Ruanda

Gemeinsam suchten die ehemaligen Feinde Sportler und Sponsoren. „Die Spieler versuchen sich auf die Zukunft zu konzentrieren, aber natürlich können sie ihre Geschichte nicht ablegen“, sagt Pieter Karreman. Der niederländische IT-Manager hat in seiner Heimat mehrere Volleyballteams trainiert. Die ruandische Mannschaft betreut er ehrenamtlich: „Die meisten Spieler haben ihre Behinderung aus dem Krieg. Ich habe mich über ihre Biografien informiert, falls es Spannungen geben sollte – aber die gibt es nicht.“

Menschen mit Behinderung haben in Ruanda wenig Akzeptanz. Es soll Eltern geben, die ihre behinderten Säuglinge getötet haben. Es soll Schulen geben, die behinderte Kinder nicht aufnehmen. Das Paralympische Komitee will Menschen mit Einschränkungen sichtbarer machen, und schon jetzt übernehmen die Nachbarn Uganda, Burundi und die Demokratische Republik Kongo Ansätze des Konzeptes. „Viele Menschen mit Behinderungen haben sich aufgegeben, fühlen sich wertlos“, sagt Emile Vuningabo. Er war mit fünf Jahren an Polio erkrankt, seitdem ist sein linkes Bein gelähmt.

„Unser Land entwickelt sich“

Die ruandischen Sitzvolleyballer gehören in London zu den beliebtesten Außenseitern. In Ruanda bestehen nur drei größere Sportanlagen, die Sitzvolleyball trainieren nur selten zusammen. Und wenn, dann auf Beton oder Sand. Nun in London sagt Trainer Karreman: „Die Ablenkungen für meine Spieler sind groß. Die Spieler sind beeindruckt: von der Stadt, vom Paralympischen Dorf.“ Ruanda hat seine paralympische Premiere 2000 in Sydney gefeiert, mit einem Teilnehmer im Schwimmen. Nun ist das Land mit 14 Sportlern vor Ort. Die Sitzvolleyballer haben alle Vorrundenspiele verloren. Emile Vuningabo denkt trotzdem an 2016, an Rio de Janeiro: „Ich möchte mindestens an drei Paralympics teilnehmen. Unser Team entwickelt sich – unser Land auch.“