London. Erst im fünften Versuch holte sich Favorit Robert Harting sein Diskus-Gold bei den Olympischen Spielen. Nach Welt- und Europameisterschaft ist es sein dritter Triumph innerhalb von 343 Tagen. Sollte er keine Lust mehr aufs Diskuswerfen haben, könnte er aufs Hürdenlaufen umsteigen.
Der Mann der sich selbst „der Harting“ nennt, hat es tatsächlich geschafft. Robert Harting, der Top-Favorit im Diskuswerfen, hat die zwei Kilo schwere Scheibe im Olympistadion auf die goldene Flugbahn geschleudert. Als er mit seiner Weite von 68,27 Metern als Olympiasieger feststand, hüpfte der 27-jährige Koloss von Berlin wie ein kleiner Junge über die rote Tartanbahn, ließ sich die Deutschland-Fahne reichen und scharte die Fotografen um sich. Jeder wusste, was jetzt kommen sollte. Und dann riss der Mann, der gerne auffällt, sein Olympiatrikot auseinander. So hatte er es schon nach seinen WM-Titelgewinnen 2009 und 2011 getan. Für einen Olympiasieger hat der Sponsor nicht nur ein neues Hemdchen parat.
Vor dem Finale hatte Harting sogar dem Superstar der Spiel, Usain Bolt, den Rang abgelaufen. Natürlich nicht auf der Tartanbahn, aber bei den Zockern. Der seit nun 29 Wettkämpfen, seit August 2010 unbesiegte Berliner wurde beim Sportwettenanbieter bwin als der große Favorit auf Gold notiert. Mit der Siegquote 1,55 lag Harting deutlich vor dem Litauer Virgilijus Alekna und Piotr Malachowski aus Polen (jeweils Quote 7,00). Für Usain Bolts 100-Meter-Triumph haben Wetter nur das 1,62-fache ihres Einsatzes bekommen.
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Aber nicht nur die Zocker ganz Deutschland erwarteten das Gold von Harting. Es war gut angelegtes Geld. Der harte Kerl mit dem weichen Kern wusste, dass die Nation auf ihn schaute. „Sich selber baut man immer Druck auf, das ist ja nichts Neues“, sagte er, „aber der Druck von außen, der ist neu, definitiv. Ein komisches Gefühl. Es ist erdrückend, weil: Druck drückt meistens. Es ist aber auch ein positives Gefühl. Ich muss jetzt gucken, dass ich das gut kanalisiere, um nicht kaputt zu gehen."
Hadadi entschied erstes Psycho-Spielchen für sich
Die Diskus-Hünen, die aussehen, als könnte sie nichts erschüttern, sind in Wirklichkeit genauso sensibel wie alle anderen Sportler. Und so will jeder gleich mit dem ersten Versuch ein Zeichen setzen. Seht her, was ich heute draufhabe, heißt das Motto. Es war der Iraner Hadadi, der dieses erste Psycho-Spielchen für sich entschied. Der 27-Jährige schleuderte gleich zum Auftakt die Scheibe auf 68,20 m, nur um zwei Zentimeter kürzer als bei seinem besten Versuch in 2012. Es sollte für ihn am Ende zu Silber vor dem Esten Gerd Kanter (68,03) reichen. Als Hartings Diskus zum Auftakt bei 67,79 m auf dem Rasen auftraf, schien der Berliner nicht zufrieden zu sein. Schließlich hatte er in diesem Jahr mit 70,66 m erstmals in seiner Karriere sogar die 70-Meter-Marke übertroffen.
Und es sollte zunächst weiterhin nicht so laufen, wie es sich Harting gewünscht hatte. Im zweiten Versuch blieb der Diskus im weißen Kunststoff-Netz des Schutz-Käfigs hängen. In den Durchgängen drei und vier reichte es zwar zu soliden, aber nicht erstklassigen Würfen. Aber die Besten lassen sich durch nichts durcheinander bringen. Harting, der an der Berliner Universität der Künste Gesellschafts- und Wirtschafts-Kommunikation studiert, hat in der Vorbereitung auch den Fall durchgespielt, dass er kontern muss. „Im Mittelalter, wenn der Ritter loszog mit Rüstung, da wollte er ja auch nicht, dass die Frau auf dem Schlachtfeld erscheint und sagt, ich habe Probleme mit den Kindern", sagte Harting, „der hat den Tunnelblick, der Ritter. So wie ich.“ Und dann nahm sich Ritter Harting seine Waffe und schleuderte sie auf 68,37 Meter. Platz eins!
Es sollte zum Gold reichen, auch wenn er es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. Vor den Spielen hatte Harting im Spiegel gesagt: „Ich brauche den Olympiasieg, um die negativen Sachen aus meinem Leben zu spülen. Ich brauche ihn, um nicht völlig die Hoffnung zu verlieren. Um nicht zu zerbrechen.“ Das Gold wird ihm helfen, die Trennung von seiner Freundin und die zahlreichen Verletzungsprobleme zu verarbeiten. Und mit 27 Jahren ist er noch jung genug, um seine Siegesserie weiter auszubauen. Sollte er keine Lust mehr aufs Diskuswerfen haben, könnte er aufs Hürdenlaufen umsteigen. Auf seiner Ehrenrunde zeigte er auch in dieser Disziplin, dass ein 2,02 Meter großer und 130 Kilo schwerer Mann nicht nur zum Diskuswerfen taugt. Eben ein echter Harting!