London. Für die deutschen Springreiter sind die Olympischen Spiele bisher enttäuschend verlaufen, im Mannschaftswettbewerb verpassten sie gar das Finale. Bundestrainer Otto Becker spricht über mögliche Ursachen und Konsequenzen - und wehrt sich gegen drastische Kritik.
Amtierender Welt- und Europameister, mehrfacher Olympiasieger – die Erfolgsliste der deutschen Springreiter ist ellenlang. Trotzdem verpassten Marcus Ehning, Janne-Friederike Meyer, Christian Ahlmann und Meredith Michaels-Beerbaum überraschend das Finale um die Mannschafts-Medaillen bei den Olympischen Spielen in London. Bundestrainer Otto Becker stellte sich in einer Gesprächsrunde, analysierte das Aus und blickte auf das Einzelfinale am Mittwoch.
Herr Becker, quälen Sie nach dem frühen Mannschafts-Aus Selbstzweifel?
Otto Becker: Wir haben uns natürlich kritisch hinterfragt, ob wir etwas besser hätten machen können. Aber ich habe bisher keine größeren Fehler festgestellt. Wenn wir ein paar Pferde außer Form gehabt hätten oder es wäre gründlich schief gegangen, dann müssten wir uns richtig Gedanken machen. Wir wussten jedoch schon Anfang des Jahres: Es sieht auf dem Papier gut aus, weil wir eine große Anzahl von guten Reitern haben. Wir wussten aber auch, dass das ein Problem werden kann.
Inwiefern?
Becker: Wir durften zum Beispiel nicht übersichten, was uns gelungen ist. Auf Grund des großen Konkurrenzkampfes, den wir bewusst geschürt haben, mussten die Reiter vom ersten Turnier an topfit sein. Vielleicht war der eine oder andere deshalb zu früh in Form, aber das ließ sich bei der Leistungsdichte nicht vermeiden.
Die Leistung stimmte, das Ergebnis nicht
Wie schwer wogen die prominenten Ausfälle von zum Beispiel Carsten Otto-Nagel und Ludger Beerbaum?
Becker: Wir hätten bei dieser Leistungsdichte hier für eine Medaille selbst ohne Ausfälle eine optimale Woche benötigt und das nötige Glück dazu. Das haben wir nicht gehabt, was keine Ausrede sein soll. Wahrscheinlich haben wir unser Glück in den vergangenen zwei, drei Jahren verbraucht. Denn die Leistung war gut, nur das Ergebnis nicht. Ein Fehler kann jedem Reiter passieren. Sie passierten schlicht am falschen Tag.
Nach dem Desaster beim CHIO in Aachen ist Marco Kutscher mit seinem Hengst Cornet Obolensky beim Nationenpreis in Hickstead kurz vor den Olympischen Spielen sehr gut gesprungen. Hätten Sie das Paar doch nominieren müssen?
Becker: Ich habe diesen Auftritt auch gesehen und habe während der ersten Runde gedacht: So ein Mist! Der ist echt super gesprungen. Aber für die Mannschaft im Nationenpreis ist Zuverlässigkeit gefragt. Da muss man ins Ziel kommen. Und nach dieser Sache in Aachen hatten wir Zweifel. Wenn wir Cornet nominiert hätten und es wäre so gegangen wie in Aachen, dann hätte ich die Schlagzeilen aber mal lesen wollen.
Die Fehler der Reiter waren "schlecht verteilt"
Die Schlagzeilen waren auch so deutlich. Von einem Debakel, einem Desaster, einer Katastrophe oder einer Blamage war zu lesen.
Becker: Das ärgert mich ein bisschen. Das Ergebnis war nicht gut, aber kein Desaster. Wir sind nicht abgestürzt. Dass es nicht für das Finale gereicht hat, darüber sind wir am meisten enttäuscht. Manchmal habe ich den Eindruck, und das betrifft nicht nur die Reiter, dass wir in Deutschland ein bisschen positiver sein und mehr hinter den Sportlern stehen könnten.
Was ist denn aus Ihrer Sicht passiert?
Becker: Es ist genau das passiert, was wir auch aus anderen Nationenpreisen kennen. Es ist immer schlecht, wenn jeder Reiter einen Fehler hat. Wir hätten nur einen Null-Fehler-Ritt benötigt und wären ins Finale eingezogen. Wir hatten aber dreimal einen Fehler - das war schlecht verteilt. Ich kann jedoch keinem der Reiter einen Vorwurf machen. Die haben alle einen guten Job gemacht. Bei Meredith Michaels-Beerbaum zeigte sich die Unerfahrenheit des Paares, bei Janne-Friederike Meyer war es einfach ein blöder Fehler und bei Marcus Ehning hatte sein Pferd einen schlechten Tag. Wir arbeiten mit Lebewesen, da kann so etwas passieren.
Für eine Einzelmedaille ist viel Glück nötig
Wie wirkt sich das frühe Scheitern auf den Einzelwettbewerb, in dem sich mit Ehning und Michaels-Beerbaum nur zwei deutsche Reiter für das Finale am Mittwoch qualifiziert haben, aus?
Becker: Die Reiter sind nach wie vor motiviert, aber der Schreck sitzt natürlich allen in den Gliedern. Wir hatten uns ja schon ausgerechnet, dass wir als Mannschaft im Finale sind
Wieviel Trost würde eine Einzelmedaille spenden?
Becker: Die ist viel schwerer zu erreichen als eine Medaille mit der Mannschaft. Im Einzel benötigt man natürlich die entsprechende Leistung, aber noch eine größere Portion Glück. Besonders Marcus Ehning ist zwar alles zuzutrauen, aber es wird verdammt schwer.
Bitte verstehen Sie die Frage nicht falsch, aber haben Sie sich bereits Gedanken über Ihre Zukunft gemacht? Ihr Vertrag läuft ja am Ende des Jahres aus?
Becker: Nein, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Das wird irgendwann passieren, wenn nach den Olympischen Spielen der Kopf wieder frei ist. Es hängt ja mehr an dieser Entscheidung. Ich habe zum Beispiel auch noch einen Betrieb zu Hause und muss schauen, wie alles miteinander zu vereinbaren ist oder nicht.