London. Michael Jung sicherte der deutschen Vielseitigkeits-Equipe das Mannschaftsgold - und krönte sich dann im Einzel an seinem 30. Geburtstag zum Doppel-Olympiasieger. Jung ist schon amtierender Weltmeister, amtierender Europameister und amtierender Deutscher Meister.

Tief atmet er nach dem Absitzen durch. Nicht etwa, weil Michael Jung sein Pferd Sam inmitten dieser 23000 aufgekratzten Zuschauer alleine lassen muss, nein, in Jung schlagen die Emotionen Purzelbäume. Die Gründe sind golden.

Er blickt einmal kurz auf den Boden, setzt sein breitestes Dauergrinsen auf – und stellt sich erneut hinter dieses riesige Podium in pink. Hinter das Podium, auf dem der 1,68-Meter-Mann wenige Augenblicke zuvor Mannschafts-Gold entgegen nahm und auf dem ihm wenige Minuten später Einzel-Gold überreicht wird.

Doppel-Olympiasieger der Vielseitigkeit.

Auch interessant

Das Kunststück, welches Hinrich Romeike 2008 in Peking gelang, wiederholt Michael Jung bei den Olympischen Spielen 2012 in London nicht nur, er übertrumpft es sogar, verfeinert es. Denn der Reiter aus dem schwäbischen Horb verfügt bereits vor dem Wettbewerb im Greenwich Park über eine Vita, die ihresgleichen sucht.

Amtierender Weltmeister, amtierender Europameister, amtierender Deutscher Meister – und nun zweifacher Olympiasieger. Mehr - geht nicht. „Das ist unglaublich“, sagt Jung nach der Siegerehrung, immer noch beeindruckt von sich selbst. Als sei das nicht genug, führt Jung in London ausgerechnet an seinem 30. Geburtstag erst die deutsche Mannschaft zur Goldmedaille, ehe er in der Einzelentscheidung sich selbst beschenkt. Wobei: Trotz seiner brillanten Vorstellung verdankt Jung seine Medaille auch dem Pech der späteren Silbermedaillen-Gewinnerin Sara Algotsson-Ostholt.

Schwächere Dressur, starker Geländeritt, sicheres Springen

Nach einer schwächeren Dressur, einem starken Geländeritt und einem sicheren Null-Fehler-Springen in der Mannschaftswertung geht der Deutsche auf Platz zwei liegend in die Einzel-Entscheidung. Und die wird nach dem sensationellen Sprung der 25-jährigen Deutschen Sandra Auffarth (Ganderkesee) mit Opgun Louvo auf einen der ersten drei Plätze zu einem finalen Nerven-Krimi mit Algotsson-Ostholt.

Jung legt vor. Null Fehler, lässig wie bei einer Reitpferdeprüfung absolviert er den Parcours – Rang eins. Während er mit Sam Richtung Abreiteplatz verschwindet, folgt die Schwedin. „Ich habe Michael bereits zu Silber gratuliert, das Pferd war so gut“, sagt Vater und Trainer Joachim Jung später. „Den letzten Sprung habe ich mir gar nicht angeschaut.“

Hätte er mal. Denn dort passiert der Fehler, der Jung zum goldensten aller goldenen Reiter macht und ihn zuerst in den Arm des Papas treibt. Fast zärtlich streichelt Wega, das Pferd der Konkurrentin, die oberste Stange. Sie wackelt in der Halterung, sie rollt hin, rollt her – und fällt.

Auch interessant

„Ich freue mich sehr, dass es Gold geworden ist und nicht Silber“, sagt Jung später über diese entscheidenden Augenblicke vor den Augen der englischen Royals Herzogin Kate, Prinz William und Prinz Harry. „Ich fühle aber auch mit Sara mit - das war großes Pech, das kann ich einschätzen, dafür bin ich lange genug Sportler.“

Deutschlands Chef de Mission, Michael Vesper, gibt sich weniger galant und sagt am Rande des Reitstadions zu den drei deutschen Medaillen: „Das ist ein großartiges Ergebnis. Jetzt ist der Knoten endlich durchschlagen. Ich hoffe, das war jetzt die Initialzündung.“

Buschreiter genehmigen sich Ale und Lager

Jung und Co. machen sich am Abend nach dem Medienmarathon und einem Besuch im deutschen Haus darüber wenig Gedanken. „Falls wir noch mal in das Olympische Dorf zurückkehren, gehen wir mit stolz geschwellter Brust dadurch“, erklärt Bundestrainer Hans Melzer lachend. „Aber wir werden wohl nicht im Dorf feiern – da gibt es nur Fanta und Cola.“ Die deutschen Buschreiter genehmigen sich lieber Ale und Lager, englisches Bier, in ihrer Stammkneipe „Greenwich Tavern“.

Jung mittendrin. Jung als Mann des Abends. Vor seinem Rückflug nach Deutschland am heutigen Mittwoch dürfte er nochmals tief durchatmen – und dann geht die Feier für den neuen König der Vielseitigkeit in der Heimat weiter.