London. . Bier und Bratwurst, aber keine Erdbeeren. Bei Olympia ist Wimbledon nicht das Wimbledon der Grand-Slam-Turniere. Bei diesen olympischen Spielen werden diese englischen Traditions-Bühnen aber mit eingebunden, so wie auch das Wembley-Stadion.

Es gibt Bier und Bratwurst. Ist Wimbledon beim Olympischen Tennis-Turnier gar nicht das richtige, das vornehme Wimbledon? Wo sind die Erdbeeren, die es im Juni beim wichtigsten der vier Grand-Slam-Turniere zwischen den Rasenplätzen gibt? Binden die Organisatoren den Zuschauern mit der Fassade im Londoner Vorort nur ein paar Beeren auf?

Die Antwort ist nicht schwarz und nicht weiß, wie meistens im Leben liegt sei in der Mitte. So ist der englische Landregen kalt, echt und typisch für Wimbledon. Das Dach über dem Centre Court schließt sich an diesem Mittag lautlos, es dauert 20 Minuten. Die Balljungen verstecken die übrigen Tennisplätze unter Plastikplanen.

Also Zeit genug, um die Erdbeeren zu suchen. Es gibt sie tatsächlich, allerdings nur im Keller. Im „Food-Court“ liegen sie unromantisch in einem Kühlregal, daneben brummt die Tiefkühltruhe mit dem Eis am Stil. Sechs Erdbeeren mit Sahne kosten 2,50 Pfund, knapp vier Euro. Auch die Wimbledon-Preise sind demnach echt. Draußen hat der Wind die Picknick-Tische mit den grünen Holzbrettern getrocknet. Leider weht er auch das Plastikschälchen mit den Erdbeeren von den grünen Holzbrettern, die Sahne ist flüssig, das Hemd ist versaut.

Das Dach vom Centre Court hat sich mittlerweile geschlossen, die Spiele können weiter gehen. Die Zuschauer strömen von der Flaniermeile der Klub-Anlage auf die Tribüne. Das Publikum ist nicht geübt mit Wimbledon-Ritualen. Am Anfang hocken alle auf einer Seite der Tribüne, es sieht aus wie bei den Passagieren eines Kreuzfahrtschiffes beim Sonnenuntergang.

Weniger Berührungsängste bei Olympia als bei Wimbledon

Venus Williams kommt vorbei. Die Stars haben bei Olympia weniger Berührungsängste als im normalen Wimbledon-Leben. In der Ehrengalerie hängt das Foto der US-Amerikanerin in der Reihe der Wimbledonsieger. Auf dem Bild reckt sie ihre Trophäe in die Luft, sie trägt dabei ein weißes Tennis-Kleid. Die Hüter der Tennis-Ordnung pochen bei ihrem eigenen Grand-Slam-Turnier auf Weiß.

An diesem Olympia-Mittag tritt Venus Williams in einem schwarz-grauen Kleid an, das an den Rändern rot abgesetzt ist. Sie plaudert und gibt Autogramme. Die Zuschauer bleiben stehen und genießen die Nähe und das Erzählen. Es bildet sich ein Knäuel aus Menschen. Williams hat ihr Einzel gegen die Kanadierin Aleksandra Wozniak mit 6:1 und 6:3 gewonnen. Sie plaudert und plaudert. Spiel, Schwatz und Sieg.

Wimbledon ist in diesen Tagen vielleicht nicht unbedingt das richtige Wimbledon, aber es bietet Olympia eine wunderbare Bühne des Sports. Nicht die einzige Traditions-Bühne in London. Fußball gibt es im Wembley-Stadion, in dem die Engländer 1966 Deutschland im WM-Finale 4:2 besiegt haben. Für das Bogenschießen haben die Engländer sogar den Lord’s Cricket Ground umgebaut, das Cricket-Heiligtum der Nation. Im Zuschauer-Turm rumpelt und ächzt zwar der langsamste Aufzug Europas, aber die Backsteinbauten aus dem 19. Jahrhundert verströmen Charme. Genau wie Wimbledon, wo schon auf den Gassen zum Klub-Eingang die Häuser mit den Tennisplätzen im Garten einen noblen Eindruck vermitteln.

Traditionen Englands bei Olympia

Eine gute Idee, die Traditionen Englands in die Traditionen Olympia einzuflechten. Es geht auch anders, schlimmer. Etwa beim Schwimmbecken, in dem Michael Groß als Albatros 1984 in Los Angeles zu Gold flog. Es liegt mittlerweile mitten auf einem Parkplatz, nur durch einen Drahtzaun von den Autos getrennt. Aus dem Olympiastadion von Montreal haben die Kanadier eine Baseball-Arena gezimmert. Der US-Amerikaner Bruce Jenner, der 1976 in Montreal Gold im Zehnkampf gewann, schüttelte beim Gang durch die zerschnittenen Tribünen nur den Kopf und murmelte: „Das kann nicht wahr sein.“

Noch ist Zyperns Marcos Baghdatis nicht ins Buch der Tennis-Helden aufgenommen.
Noch ist Zyperns Marcos Baghdatis nicht ins Buch der Tennis-Helden aufgenommen. © AP

Zurück nach Wimbledon. Auf Court Nummer 18 ballt Marcos Baghdatis die Faust, wie sie früher Boris Becker geballt hat. Der Mann aus Zypern, dem die Natur strahlende Augen unter das Stirnband ins Gesicht gezeichnet hat, hat den Franzosen Richard Gasquet mit 6:4 und 6:4 besiegt. Er packt seine Tasche und geht. Niemand will etwas von ihm wissen, ein Sieg in der zweiten Runde von Olympia reicht noch lange nicht für den Eintrag ins goldene Buch der Tennis-Helden.

Vom Platz 18 führt kein direkter Weg in die Umkleidekabinen. Verlierer Gasquet hat seine Sporttasche geschultert wie einen Sack voll mit Pflastersteinen und huscht über den asphaltierten Pfad zwischen den Zuschauern hindurch, am Bratwurststand vorbei zum Hauptgebäude.

Für ihn ist Olympia vorbei, und auch Olympia zieht in zwei Wochen weiter. Wimbledon wird bleiben. Wie die Sonne und der Mond. Und der Regen.