London.. In Rekordzeit hat die britische Hauptstadt Olympia-Spielstätten aus dem Boden gestampft und ihre Schmuddelviertel saniert. Doch was ist mit den Menschen passiert, die dem Großprojekt im Weg waren ?
Schöner, neuer Osten? In Rekordzeit hat die britische Hauptstadt Olympia-Spielstätten aus dem Boden gestampft und ihre Schmuddelviertel saniert. Doch was ist mit den Menschen passiert, die dem Großprojekt im Weg waren – den Schrebergärtnern, Freizeitkickern, Arbeitern und Mietern? Hier prallt olympischer Pomp auf unspektakuläre Alltagshelden, deren Leben ein anderes ist, seitdem die weltgrößte Sportveranstaltung vor ihrer Tür landete.
Hackney Marshes ist so ein Stückchen Großstadtnatur, über das man am manikürten Hyde Park abfällig lächelt. Im letzten Jahrhundert wehte der Wind die Kloakengerüche der Metropole über das alte Sumpfland. Nach dem Krieg lud die Stadt hier ihren Bombenschutt ab. Das East End machte das Beste aus der Brache, ließ Gras drüber wachsen und spielte Fußball auf den begrünten Trümmern. Über 1000 Hobbykicker, jedes Wochenende, seit über 60 Jahren. Sie nennen sich „Sonntagsliga“, worin keine feine Ironie steckt, sondern ziemlicher Ehrgeiz. David Beckham hat hier, auf dem Malocherrasen, begonnen. „Aber wen interessiert das heute noch“, sagt Johnnie Walker.
Der Trainer der Sonntagsliga klingt mürbe. Seit London 2005 den Zuschlag zu den Spielen bekommen hat, bemüht er sich um Schadensbegrenzung für die Marsch. Ein fünfstöckiges Medienzentrum thront nun auf dem Gelände, sechs Fußballplätze hat der Bau für immer vernichtet. Zusätzliche zwölf Fußballplätze hat ein Parkhaus unter sich begraben. Es soll nach Ende der Spiele zwar wieder verschwinden, aber Walker glaubt mittlerweile an nichts mehr. „Wir haben eine ganze Saison ohne Umkleiden gespielt, weil unsere Anlagen früher als geplant abgerissen wurden“, sagt er.
Wirrwarr der Zuständigkeiten
Die Litanei der Olympia-Vertriebenen klingt fast immer gleich: Im Wirrwarr der Zuständigkeiten gingen Versprechen verloren, werden Kritiker ausmanövriert, vertröstet – und am Ende hat die Olympic Delivery Authority (ODA) immer die stärkeren Muskeln. „Die Sommerspiele werden auf Kosten der kleinen Sportvereine mit Milliarden gefördert“, sagt Walker bitter, „aber wenn Großbritannien sich nicht um die Amateure kümmert, wächst doch keine Elite mehr nach.“
Wie Olympia in London ausgerechnet motivierten Freizeitsportlern das Training sabotiert, sieht man nirgendwo so gut wie im Eton Mission Rowing Club. Direkt neben die Bootshalle des Ruderclubs haben Planer den Betonsockel für eine Fußgängerbrücke über den Kanal in den Olympia-Park gesetzt. Seitdem können die Männer nur noch in Einer- und Zweier-Booten aufs Wasser – die langen Vierer-Boote lassen sich wegen des Sockels nicht mehr aus der Halle dirigieren.
Die Macher rühmen sich der Nachhaltigkeit
Offiziell rühmen sich die Olympia-Planer jedoch mit der Nachhaltigkeit, der „legacy“, dieser Spiele: London soll nicht nur 17 Tage lang von dem Spektakel profitieren, sondern mit dem sanierten Viertel ein Erbe für Generationen erhalten. Viele Ecken sind erst jetzt urbar gemacht worden, No-Go-Zonen wandeln sich in begehrte Viertel für junge Familien. Als „Schande“ und „Vandalismus“ hingegen bezeichnet Walker die Multiplex-Architektur, die sein kostbares Grasland frisst – eine Meinung, die in der Metropole in Dutzenden Nuancen daherkommt.
Auch Schrebergärtner, Hausbootbesitzer und Kleinbetriebe mussten von dem 250 Hektar großen Gelände, auf dem nun der Olympische Park steht, verschwinden. Fast 500 Firmen waren betroffen. Die meisten sind entschädigt worden, doch für die Summen kriegen sie in der rasant teurer werdenden Hauptstadt keine vergleichbaren Grundstücke. Nach den Spielen fällt ein weiteres Gebäude: Carpenters Estate, ein Klotz mit 450 Sozialwohnungen, muss dem neuen Campus vom University College London Platz machen.
Wohnungen als Spekulationsobjekte
Der alte Londoner Osten ist in den Augen vieler Kritiker zum Opfer von Spekulanten geworden, die darauf setzen, dass steuerfinanzierte Neubauten im Wert steigen und private Profite abwerfen. 8000 Wohnungen entstehen am Olympia-Park, die Sportanlagen sollen nach den Spielen vermietet werden. 12 Milliarden Euro pumpt Großbritannien in das Projekt. Und doch gilt: Wer hier gelebt hat, kann sich die Zukunft wahrscheinlich nicht mehr leisten.