Tokio. Kanu-Legende Ronald Rauhe durfte bei der Abschlussfeier die Fahne tragen. Zurück in Deutschland will er ein Versprechen einlösen.
Den letzten Schlag lässt Ronald Rauhe aus. In Gedanken hatte er ihn ja schon so oft gemacht. Hatte vor seinem inneren Auge gesehen, wie er mit diesem letzten Schlag seiner langen, beeindruckenden Karriere als Kajakfahrer noch einmal olympisches Gold gewinnt. Und nun passiert es. Der deutsche Männer-Vierer wird nach 500 Metern auf dem Seaforest Waterway in Tokio vor den Spaniern und den Slowaken die Ziellinie überqueren. Rauhe kann nicht anders. Er muss schon mal jubeln.
„Die Emotionen habe mich da überrannt“, sagt der 39-Jährige aus Potsdam später: „Das war der Moment, für den ich anderthalb Jahre noch mehr gearbeitet habe als sonst schon.“
Die fünfte Olympiamedaille von Familienvater Rauhe
Seine drei Kollegen, Schlagmann Max Rendschmidt aus Essen, der Dresdner Tom Liebscher und Max Lemke, ebenfalls aus Potsdam, sehen es ihm nach. Den letzten Schlag schaffen sie allein. Und anschließend berichten sie unisono vom großen Glück, Rauhe bei diesem letzten Sieg begleitet zu haben. Es ist die fünfte Olympiamedaille des Familienvaters, und die zweite goldene. Sein erster Olympiasieg liegt lange zurück, er gelang ihm 2004 in Athen mit seinem über viele Jahre kongenialen Zweierpartner Tim Wieskötter.
Und nun also nochmal Gold. Nach einem harten Duell mit den Spaniern, die nach 250 Metern noch knapp in Front lagen. Aber das deutsche Quartett ackerte sich unerbittlich heran – und auf den letzten Metern vorbei. „Das war einem olympischen Finale entsprechend. Ich habe mir so ein enges Finale gewünscht, weil das emotional noch intensiver ist“, sagt Rauhe. Den Oberen des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV) wäre etwas weniger Spannung wohl lieber gewesen. Denn das Viererfinale war am Samstag nicht nur Rauhes letzte Chance auf Gold, es war auch die letzte Gelegenheit für den DKV, diese Spiele von Tokio nach vier Medaillen in allen Slalomdisziplinen auch auf dem flachen Wasser noch halbwegs versöhnlich abzuschließen.
Finalläufe endeten aus deutscher Sicht enttäuschend
Die vorangegangenen Finalläufe des Tages waren aus deutscher Sicht allesamt enttäuschend ausgegangen. Der Berliner Conrad Scheibner, der in dieser Saison schon erfolgreiche Rennen gezeigt hatte und als großer Newcomer gehandelt worden war, wurde im Canadier Einer Sechster. Sebastian Brendel, Olympiasieger von 2012 und 2016 in dieser Disziplin, verpasste den Sprung ins Finale gleich ganz. „Das war ernüchternd für mich“, gestand der 33 Jahre alte Potsdamer. Er hatte für Tokio den Fokus auf den Zweier gelegt und dort mit Tim Hecker zumindest Bronze gewonnen. Darüber wolle er sich nun noch ein bisschen freuen, dann stehe Urlaub auf dem Programm, und erst dann wolle er darüber nachdenken, ob seine Karriere bis zu den Spielen in drei Jahren in Paris weitergehen soll.
Vor fünf Jahren in Rio hatten die deutschen Kanurennsportler vier Goldmedaillen geholt. Diesmal paddelten die Kajak-Frauen geschlossen der Weltspitze hinterher. In der neu eingeführten Canadier-Klasse kamen Lisa Jahn aus Berlin und Sophie Koch aus Karlsruhe im Zweier auf Rang vier. Die Canadier-Männer verfehlten mit einmal Bronze im Zweier das vom neuen Bundestrainer und dreimaligen Olympiasieger Andreas Dittmer ausgerufene Ziel, wieder in beiden Bootsklassen, also im Einer und im Zweier, aufs Podest zu fahren.
Nur die deutschen Kajak-Herren lagen in Tokio im Soll
Nur die Kajak-Herren lagen im Soll. Silber für den Essener Max Hoff und den Potsdamer Jacob Schopf im Zweier, für den 22 Jahre alten Schopf zudem ein guter vierter Platz bei seinem Olympiadebüt im Einer. Und dann Gold durch den Vierer, der schon 2016 in Rio auf der damals noch doppelten Distanz mit Hoff, Rendschmidt, Liebscher und Marcus Groß erfolgreich gewesen war. „Das war ein goldiger Abschluss von dann teils doch sehr unbefriedigenden Spielen“, resümierte DKV-Präsident Thomas Konietzko. „Aber ich denke, wir sind selbstkritisch und stark genug, um das zu analysieren und zukünftig wieder besser zu werden.“
Zwischen den beiden olympischen Goldmedaillen von Ronald Rauhe liegen 17 erfolgreiche Jahre mit reihenweise WM- und EM-Erfolgen. Zuletzt ging ihm aber fast die Luft aus. Als er durch die Corona-Verschiebung der Tokio-Spiele 2020 ein weiteres Jahr dranhängen musste, begannen die Zweifel größer zu werden. Lohnte sich all der Verzicht noch? Sollte nicht langsam die Familie im Mittelpunkt stehen?
Ronald Rauhe verzichtet für seinen Sohn
Wenige Stunden nach seinem Sieg in Tokio wurde Rauhes älterer Sohn eingeschult. Ohne den Papa. Bei dem Gedanken daran, kommen Rauhe die Tränen. Rauhe verzichtet am Montag auf den Olympia-Empfang in Frankfurt, weil er seinen Sohn versprochen hat, ihn zur Schule zu fahren.
Rauhe hält seine Goldmedaille fest. Sie mache es ihm leicht, seine Karriere hier und heute zu beenden, sagt er. Nur eins musste er noch erledigen: Am Sonntag trug er bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele von Tokio die deutsche Fahne aus dem Stadion. Das sei „die Krönung“ zusätzlich zu Gold, sagte er. Und: „Schluss.“