Tokio. Das Drama um die Moderne Fünfkämpferin Annika Schleu sorgt für heftige Reaktionen. Die 31-Jährige weist Vorwürfe weit von sich.
Die Moderne Fünfkämpferin Annika Schleu ist nach ihrem Olympia-Drama in Tokio von der Heftigkeit der Reaktionen überrascht. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass so etwas auf mich zukommt“, sagte die 31-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Sie hatte in Tokio nach zwei Disziplinen auf Goldkurs gelegen, ehe das ihr zugeloste Pferd mehrfach verweigerte. Schleu setzte auf Aufforderung von Bundestrainerin Kim Raisner die Gerte ein, dafür gab es heftige Kritik. Im Interview schildert die Berlinerin, wie sie die Szenen erlebt hat, was sie zur Kritik an Raisner sagt und wie sie mit den teils heftigen Kommentaren und Beleidigungen im Internet umgeht.
Frage: Wie haben Sie den Wettkampf und die Situation erlebt?
Annika Schleu: Das Schicksal hat seinen Lauf genommen, als ich vorher gesehen habe, dass die andere Sportlerin schon drei Verweigerungen mit meinem Pferd kassiert hat. Wir hatten dann die Hoffnung, dass ich ein Ersatzpferd nehmen kann. Das wäre für uns natürlich einfacher gewesen als mit einem Pferd, das schon Stress im Parcours erlebt hat. Diese Chance gab es leider nicht. Die Besitzerin meines Pferds hat mir dann Tipps gegeben, das habe ich mir alles zu Herzen genommen, das hat auch sehr gut funktioniert auf dem Abreiteplatz, so dass ich eigentlich relativ selbstbewusst in den Wettkampf gegangen bin.
Und was passierte dann?
Ich habe dann aber gemerkt, dass das Pferd total abgeblockt hat und gar nicht richtig wollte. Ich habe versucht, mit einer leichten Hand - ich war nicht mit der Hand doll vorne am Maul dran - auch mit den Beinen und mit der Stimme das Pferd vorwärts zu bekommen, dass es überhaupt in den Parcours reingeht. Es wollte aber gar nicht mehr aus der Ecke gehen. Leider habe ich in dieser Stresssituation - auf Platz eins bei den Olympischen Spielen - vielleicht etwas schneller die Nerven verloren und angefangen zu weinen. Ich habe dann versucht, die Gerte einzusetzen.
War das in diesem Moment vielleicht ein Fehler?
Ich denke nicht, dass es in einer Art und Weise war, wie es nicht auch Reiter machen würden, um einem Pferd Gehorsam beizubringen und es zu überzeugen, in den Parcours reinzugehen. Da sind diese Bilder entstanden. Ich fühle mich natürlich schon angegriffen, wenn gesagt wird, dass ich unmenschlich bin, wenn Vorwürfe der Tierquälerei geäußert werden. Ich bin nach bestem Gewissen mit dem Pferd umgegangen. Es war schon klar, dass man etwas konsequenter werden muss, aber ich war zu keiner Zeit grob.
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Ist Ihnen so etwas schon häufiger in Wettkämpfen passiert?
Das ist mir so noch nie passiert. Natürlich hat man immer mal Ritte, die nicht so gut sind. Aber dass das Pferd wirklich gar nicht wollte, das habe ich selten erlebt. Es hat sich aber für mein Gefühl schon etwas angedeutet. Eine Verweigerung des Pferds, überhaupt den Parcours weitermachen zu wollen, deutet ja auf größeres Unwohlsein bei dem Pferd hin, als wenn es einen Sprung verweigert.
Sie haben bei Olympia geführt und waren auf Goldkurs - war diese Situation für Sie deshalb besonders bitter?
Es war schwierig für mich. Ich hätte gerne ein Ersatzpferd genommen. Aber nachdem dann auf dem Abreiteplatz alles so harmonisch war, habe ich damit gerechnet, dass es anders laufen wird. Die Panik des Pferdes kam in dem Moment, als die Kameras auf uns gerichtet waren. Bis dahin lief alles nach Plan.
Sind die Bedingungen im Modernen Fünfkampf unfair, müsste aus Ihrer Sicht etwas am Reitreglement geändert werden?
Sicherlich muss man über Reformen nachdenken. Vor allem, wenn man sieht, dass sich ein Pferd - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr in der Lage fühlt, den Parcours weiterzuspringen, dass es dann auch andere Regeln geben muss, als nur auf die vier Verweigerungen zu gucken. Der Tierarzt hätte ja auch die emotionale Lage des Pferdes einschätzen können, die er aber natürlich nicht kannte. Natürlich hätten wir sowohl für mich als auch für das Pferd viel lieber ein Ersatzpferd gehabt.
Können Sie die Kritik an Bundestrainerin Kim Raisner, die Sie aufgefordert hatte, die Gerte einzusetzen, nachvollziehen?
Ich kann schon nachvollziehen, dass sie das vielleicht anders hätte ausdrücken sollen. Das, was sie gesagt hat, was ich auch von mir aus gemacht hätte, mit der Gerte einmal auf den Hintern zu hauen, das ist schon etwas, was man machen kann, um das Pferd zu überzeugen. Ich denke auch nicht, dass es besonders grob war. Ich habe von keinem aus dem Kreis von Reitern, die ich kenne, gehört, dass ich gegen das Tierwohl verstoßen oder das Tier gequält hätte. Natürlich hat sie vielleicht Worte gewählt, die der emotionalen Situation geschuldet waren. Auch als Trainerin ist man da sehr stark involviert. Da hätte sie sich vielleicht anders ausdrücken können.
Wie sind Sie mit den Nachrichten umgegangen, die Sie danach bekommen haben?
Es war natürlich eine schwierige Situation für mich. Ich wusste, was für Fernsehbilder um die Welt gehen. Wir wissen, dass wir Fünfkämpfer schneller in der Kritik stehen, auch wenn wir nach gutem Gewissen handeln. Ich habe kurz danach schon schlimme Kommentare bekommen und habe meine Uhr, die mit meinem Handy verbunden ist, dann an meine Trainer abgegeben, damit ich das vor dem Laufen nicht lesen musste. Ich habe mit diesen Reaktionen überhaupt gar nicht gerechnet, weil ich wirklich nicht das Gefühl hatte, dass ich zu grob mit dem Pferd umgegangen bin. Wenn man sich die Bilder anschaut, sieht man auch, dass der Zügel locker hängt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass so etwas auf mich zukommt. Ich habe dann meinen Instagram-Account erstmal deaktiviert. Trotzdem gibt es immer Leute, die Handynummern bekommen, die E-Mail-Adressen bekommen. Ganz kann man sich davor nicht schützen. Es war natürlich hart, das alles lesen zu müssen.
Den Instagram-Account haben Sie erst einmal deaktiviert, aber nicht gelöscht?
Genau, der Account ist nicht gelöscht, aber ich habe ihn zu meinem eigenen Schutz jetzt erst einmal deaktiviert. Da werden teilweise Wort gewählt, wo Leute sich angeblich für das Tierwohl und für Lebewesen einsetzen, aber dann in einer Art und Weise mit mir oder auch meinen Angehörigen sprechen, wo ich sage, das ist nicht ok, das geht viel zu weit. Ich wusste, dass Bilder um die Welt gehen werden, die nicht schön sein werden, aber ich hatte nicht mit so einer Art von Shitstorm oder mit so viel negativem Hass gerechnet.
ZUR PERSON: Die Moderne Fünfkämpferin Annika Schleu (31) aus Berlin nimmt in Tokio an ihren dritten Olympischen Spielen teil. 2016 in Rio de Janeiro wurde sie Olympia-Vierte, 2012 in London beendete sie den Wettkampf auf Platz 26. In Tokio lag sie nach zwei Disziplinen auf Gold-Kurs, ehe das ihr zugeloste Pferd mehrmals verweigerte. (dpa)