Tokio. Die deutsche Dressur-Equipe gewinnt bei den Olympischen Spielen in Tokio erneut Gold. Isabell Werth rückt an Birgit Fischer heran.
Japans Spagat zwischen Tradition und Moderne wird bei diesen Olympischen Spielen im Stadion der Reiter besonders deutlich. Der Equestrian Park im Westen Tokios ist ein hochmoderner Komplex, dem die Pferde ihre Bewunderung zum Ausdruck brächten, wenn sie es denn nur könnten. Inmitten der Arena ist das Dressurviereck eingebettet, das an eine traditionelle Kultur des Landes erinnert.
Deutsche Dressur-Equipe zeigt eine Machtdemonstration
Als Isabell Werth (52/Rheinberg), Jessica von Bredow-Werndl (35/Tuntenhausen) und Dorothee Schneider (52/Framersheim) mit ihren Pferden Bella Rose, Dalera und Showtime die Prüfungen in den Sand malen, sind sie umgeben von kleinen Teeshäuschen. Darin sitzen die Kampfrichter, die Athletik und Grazie benoten. Was sie am Dienstagabend von der deutschen Dressur-Equipe geboten bekommen, ist im übertragenen Sinn eine majestätische Teezeremonie.
Es passt nicht zur Etikette, aber zum Moment, als Schlussreiterin von Bredow-Werndl sagt: „Einfach geil.“ Dalera bekommt zur Belohnung eine Dusche, ihr Fell glänzt wie das die Goldmedaille. 8178 Punkte sind eine Machtdemonstration, auf den Plätzen landen mit großem Abstand die USA (7747) und Großbritannien (7723). „Alle haben zelebriert“, sagt Bundestrainerin Monica Theodorescu voller Stolz, „alle haben sich gesteigert, was auf diesem Niveau eine Riesensache ist.“
Bereits vor dem 14. Gold für eine deutsche Equipe seit 1928 war Werth, von Bredow-Werndl und Schneider durch Kanutin Ricarda Funk die Last genommen worden, das deutsche Team in Tokio mit dem ersten Sieg vom Golddruck zu erlösen. Wenn man so möchte, sind die Dressurreiter immer eine Absicherung, in der Heimat den Durst nach dem ersten Triumph zu löschen. „Wir sind ein superstarkes Team“, sagt Werth. „Wir wussten, dass das was wird, wenn wir alle im Viereck unsere Form bringen.“
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In Tokio verfügt kein Konkurrent über drei Starter, die auch allesamt heute (10.30 Uhr/ZDF) im Einzel siegen können: Werth führt mit Bella Rose die Weltrangliste vor von Bredow-Werndl an, Schneider ist nur nicht Dritte, weil die Rheinbergerin mit Weihegold noch ein zweites Spitzenpferd hat.
Der siebte Titel ist für Werth ein besonderer, weil Bella Rose das liebste ihrer vier Goldpferde ist, mit denen sie 1992 in Barcelona ihre Erfolgsgeschichte begann. Die 17 Jahre alte Fuchsstute „ist mein Traumpferd, weil sie alles vereint, was Gigolo, Satchmo und Weihegold zu großen Teilen mitbringen“. Ein paar Klapser verteilt Werth auf dem Rücken, als sie mit Bella Rose nach deren Olympia-Debüt das Stadion verlässt. Doch es dauert einen Moment, bis die Freude überwiegt.
„Ich weiß nicht, was sie sonst noch machen soll“, sagt Werth zu Theodorescu. 83,298 Prozentpunkte sind eine Besserung gegenüber der Qualifikation am zurückliegenden Wochenende. Zu Klassik und Opernmusik bewegte sich Bella Rose so grazil, dass aus ihr ein Kunstturner werden müsste, wäre sie ein Mensch. Piaffen, Passagen, Pirouetten – „ich habe schon ein paar Pferde geritten, aber das kann vom Gefühl her nicht viel besser sein“, so Werth.
Wertungsrichter achten auf die Harmonie zwischen Pferd und Reiter
Auch Theodorescu nennt die Prüfung „nahe an Perfektion“ und wundert sich anfangs noch über das Ergebnis. Die Wertungsrichter achten auf die Harmonie zwischen Pferd und Reiter. Sie sind Seismographen, die dem Tier ins Gesicht schauen und jegliche Schwingung empfangen, ob es aufmerksam ist. Bella Rose aber behält die Ruhe, ein zufriedengehendes Pferd wird höher benotet als ein angespanntes. Werth verdrängt den anfänglichen Frust und lobt ihr Pferd: „Bella war so relaxed. Am ersten Tag war sie noch eifrig, jetzt war sie richtig zu Hause in diesem Viereck.“
Eine Stunde später bringt Jessica von Bredow-Werndl mit der sogar besten Leistung des Turniertages (84,666 Prozentpunkte) zusammen, was zusammengehört. Dorothee Schneiders Anteil am Gold ist mit 80,608 Prozentpunkten nicht hoch genug zu bewerten. Die 52-Jährige hatte vor knapp drei Monaten ein traumatisches Erlebnis: Bei einem Sturz in Pforzheim brach sie sich das Schlüsselbein, ihre Stute Rock’n Rose verstarb im Viereck. „Das ist der Alptraum eines jeden Reiters, auf einem Pferd zu sitzen, das unter einem zusammenbricht“, zollt ihr Werth Respekt. „Chapeau, wie sie das alles weggesteckt hat.“ Mit Showtime war nach so kurzer Eingewöhnung und Vorbereitung auf Olympia nun trotzdem große Show angesagt. „Gänsehautgefühl“ habe sie trotz eines kleinen ungeplanten Angaloppierens ihres Wallachs gehabt, erzählt die 52-Jährige. Bei Schneider glänzten die schwarzrotgoldenen Strasssteinchen am Revers ihres Jackets daher noch ein bisschen heller.
Werths Goldjagd setzt sich heute fort. Ein Triumph noch, und dann ist sie gleichauf mit Kanu-Legende Birgit Fischer als erfolgreichste deutsche Olympionikin (achtmal Gold, viermal Silber). Es wäre in ihrer eindrucksvollen Sammlung erst der zweite Einzelsieg nach dem vor 25 Jahren in Atlanta. Das Gold-Rennen wird entschieden zwischen Werth und von Bredow-Werndl, zwischen Bella Rose und Dalera. „Es sind zwei Königinnen“, sagt Theodorescu. Heute kann aber nur eine von beiden gekrönt werden.