Pyeongchang. Eisschnellläuferin Claudia Pechstein wird während Olympia 46. Trotzdem gehört die älteste Athletin in Pyeongchang zu den Medaillen-Favoriten.

Neun olympische Medaillen hat Claudia Pechstein bereits gewonnen, davon fünf goldene. Die Berliner Eisschnellläuferin ist die älteste Athletin in Pyeongchang und zum siebten Mal bei Winterspielen, so oft wie keine andere Frau. Sie greift nach ihrer zehnten Medaille. Wir sprachen mit ihr vor dem Olympia-Auftakt.

Frau Pechstein, wir wollen nicht auf Ihrem Alter herumreiten. Aber Sie sind 45, werden während Olympia 46 und betreiben Leistungssport auf höchstem Niveau. Dazu gehört eine Menge Disziplin...

Claudia Pechstein: Generell muss jeder Leistungssportler eine gewisse Art von Disziplin haben, sonst wird er nicht zu seinen Leistungen kommen. Das gilt allerdings auch für das normale Leben.

Als Sportlerin mit solchen Erfolgen unterliegt man aber doch bestimmt einem besonders strengen Regiment. Oder nicht?

Pechstein: Sportler sind, was das Feiern angeht, die schlimmsten. Ich kenne viele Athleten aus zig verschiedenen Sportarten, die da ganz krass sind. Als ich jung war, bin ich da oft vom Glauben abgefallen. Mein früherer Trainer, Joachim Franke, hat immer gesagt: ‚Wer abends feiern kann, muss morgens auch gerade stehen können.‘

Sie waren offenbar etwas behutsamer, sonst sähen Sie auf dem Eis nicht immer noch aus wie mit 25.

Pechstein: Mein Alter merke ich durchaus, mal mehr, mal weniger. Das hängt davon ab, wie die Trainingsinhalte gestaltet sind.

Dennoch geben Sie immer alles. Wie schaffen Sie es, diese Disziplin zu leben?

Pechstein: Ich gebe im Training nicht immer alles. Es gibt schon Einheiten, in denen ich es mal etwas lockerer angehe. Aber es ist sicher so, dass ich, wenn ich einfach mal gern im Bett bleiben würde, trotzdem aufstehen muss. Auch an Wochenenden. Nichtsportler sind auch mal etwas länger unterwegs. Als Sportler darf ich das natürlich ebenso, muss aber meine Grenzen genau kennen.

Wie schwer fällt es Ihnen, diese nicht zu überschreiten?

Pechstein: Ich bin jemand, der lange feiern kann. An Silvester etwa fange ich schon an zu überlegen. In einer Olympia-Saison macht man sich da sicher ein paar mehr Gedanken. Grundsätzlich bin ich aber ein normaler Mensch. Diese Freiheit nehme ich mir ab und zu auch. Wie eng die Bahn ist, auf der man sich bewegt, bestimmt jeder für sich. Das ist eine Art von Disziplin, die man sich selbst auferlegt.

Wie steht es bei den jungen Läufern um Disziplin?

Pechstein: Disziplin hat etwas mit Pünktlichkeit zu tun, mit Respekt. Guten Morgen sagen, auf Wiedersehen, das gehört auch dazu. Das vermisse ich schon. Aber nicht nur bei Jüngeren, das scheint generell ein gesellschaftliches Problem zu sein.

Müssen Sie das in Ihrer rein männlichen Trainingsgruppe vorleben?

Pechstein: Nach meinen Maßstäben lebt keiner von ihnen. Mit der Sauberkeit halten es die Herren nicht so, was nach Fahrten mit dem Teambus recht deutlich wird. Vielleicht bin ich da auch ein bisschen zu streng.

Mit Ihnen ist man sehr penibel. Wohl kein Athlet wird so umfassend auf Doping getestet. Das sind tiefe Eingriffe in die Privatsphäre. Wie oft haben Sie verflucht, diszipliniert sein zu müssen?

Pechstein: Wenn ich sage, die sollen mich in Ruhe lassen, bedeutet das, dass ich verweigert habe. Das gilt als positiver Test. Welche Wahl habe ich also? Das ist eine erzwungene Disziplin. Meine Arme sind manchmal zerstochen wie bei einem Junkie. Ich würde mir wünschen, dass es wenigstens für alle Länder und Sportarten die gleichen Regeln gebe und nicht, dass nur Einzelne permanent dran sind und andere kaum oder gar nicht. Die Jungs aus meiner Trainingsgruppe, die aus Ungarn, Norwegen, Russland oder Finnland kommen, werden im Training so gut wie nie getestet. Grundsätzlich habe ich aber kein Problem mit den vielen Kontrollen. Ich war und werde immer sauber sein.

Gesperrt wurden Sie dennoch für zwei Jahre. Und obwohl nachgewiesen ist, dass eine vererbte Blutanomalie der Grund für erhöhte und schwankende Werte waren, ist es juristisch bislang nicht gelungen, Sie zu rehabilitieren. Darüber kann man aus Verzweiflung schon mal die Selbstbeherrschung verlieren...

Pechstein: Natürlich kann man das. Ich war auch sicher schon kurz davor. Doch ich bin eine Person, die in der Öffentlichkeit steht. Einige Leute warten nur darauf, dass mir so etwas passiert. Schwach werden darf ich nur zu Hause.

Sportlich sind sie unantastbar, Sie laufen immer noch vorne weg, gewannen zwei Weltcup-Rennen in dieser Saison, Was erwarten Sie für Pyeongchang?

Pechstein: Eigentlich müsste ich Letzte sein in meinem Alter. Im Prinzip könnte ich also relativ entspannt an den Start gehen. Ich habe aber noch sehr viel Spaß an meinem Sport und die Möglichkeit, meine olympische Medaillensammlung noch ein wenig auszubauen. Ganz so entspannt werde ich also nicht sein, weil ich mir selbst großen Druck auferlege und meine Ziele habe. Wenn es eine Medaille wird, schön, wenn nicht, dann ändert sich mein Leben auch nicht.