Pyeongchang. In Pyeongchang finden die Olympischen Winterspiele 2018 statt. Wie ist die Stimmung? Unser Reporter Andreas Berten hat sich umgesehen.
Olympia ist in Südkorea angekommen, die meisten Athleten sind es auch bereits, nur von diesem besonderen Flair ist noch nichts zu spüren. Auf der Olympic Plaza in Pyeongchang sollen ab Samstag allabendlich die Medaillen überreicht, nebenan im Stadion tags zuvor die Olympischen Winterspiele eröffnet werden. Eigentlich ein perfekter Ort, um sich auf die Suche nach der Olympia-Stimmung zu machen. Also los.
„Alles ist fertig geworden“, hat Choi Moon Soon bei der Eröffnung der beiden Athletendörfer, eines im „Mountain Cluster“ Pyeongchang in den Bergen, eines im am japanischen Meer gelegenen Gangneung im „Coastal Cluster“, gesagt. Das wollen die rund 2900 Sportler aus 92 Ländern, darunter 154 aus Deutschland, hören. Das soll auch die Besucher beruhigen, von denen nach den politischen Spannungen zwischen Südkorea und dem verfeindeten Bruderstaat im Norden allerdings nicht zu viele erwartet werden. Richtig, Fahnen hängen hier schon mal, aber für „alles fertig“ wird hier oben noch ganz schön viel gebaggert und geschraubt.
Hinein in den Bus
Also hinein in den Bus, der die Besucher in einer guten halben Stunde vom knapp 44.000 Einwohner zählenden Pyeongchang hinunter nach Gangneung bringt, wo immerhin rund 230.000 Südkoreaner leben. Es ist eine skurrile Fahrt von etwa 30 Kilometern. Im Bus hängen Blümchengardinen, bei dem Fernsehprogramm auf einem riesigen Flachbildschirm über dem Fahrer staunt der ans europäische TV gewöhnte Fahrgast Bauklötze. Und unterm Busdach grelles Licht. Wie in einer Disco. Rot. Gelb. Blau. Grün. Mit allen Zwischentönen. Quasi alle Farben, die die Eiseskälte der Natur in dem Landkreis Pyeongchang erbarmungslos entrissen hat.
Auf dem Weg in die Hafenstadt sieht man sich an schroffen Hügeln, braun in braun gehalten, satt, hin und wieder ein Häuschen und ein paar Bäume, der letzte Schnee ist schnell außer Sichtweite. Und das, da die Temperaturen doch scheinbar wie für Winterspiele gemacht sind. Inklusive Wind haben sie sich auf der Haut wie 23 Grad unter Null angefühlt, hat das Internationale Olympische Komitee Anfang der Woche bekannt gegeben – kälter, um genau ein Grad, war es nur im Februar 2008.
Doch die ersten Olympischen Winterspiele auf dem asiatischen Festland wirken irgendwie deplatziert. Erst 78 Prozent der Eintrittskarten waren am Mittwoch verkauft, abgesehen von Shorttrack können die Südkoreaner mit Biathlon und Skispringen so viel anfangen wie mit Stäbchen vor einer Schüssel Buchstabensuppe. Sie leben eben nicht in einem klassischen Wintersportland. „Da stimmt“, pflichtet Chanyeol bei, „aber wir sind trotzdem hierher gekommen. Das ist doch Olympia.“ Ein erster Anflug von Begeisterung im Zeichen der fünf Ringe.
Der 42 Jahre alte Familienvater aus Daegu steht mit seiner Frau Chi-Yuen und der neunjährigen Tochter Seo Yong vor dem Gangneung Hockey Centre. Eine architektonisch moderne Halle, die auch jeden Klub der Deutschen Eishockey-Liga beheimaten könnte. Hier spielen Koreas Frauen – die aus dem Süden gemeinsam mit denen aus dem Norden – um Siege und für die Völkerverständigung. Wenn Olympia einen Sinn machen soll, dann aus diesem Grund. Und nicht aus Profitgier, weshalb die nordamerikanische Profiliga NHL die Superstars lieber daheim als im wenig zukunftsträchtigen Markt Asien spielen lässt. Was sie sich anschauen werden? „Die Skiabfahrten“, sagt Chanyeol, „und natürlich Shorttrack.“ Natürlich.
Alles wirkt gestresst
Zwei Tage vor der Eröffnung siecht allerdings auch Gangneung irgendwie vor sich hin, viele der Passanten eilen mit Atemschutz vor dem Mund umher, alles wirkt gestresst. Zwischen den 25 Stockwerke hohen Wohnsilos bieten aber auch Geschäfte oder Restaurants kaum Ablenkung an. Und Olympia? Lässt sich an den Laternenmasten erahnen, an denen fünf beleuchtete Ringe untereinander angeordnet sind.
Es hilft nichts, zurück nach Pyeongchang. Die Taebaek-Berge sind eine strukturschwache Region, das wird bei jedem Kilometer mehr immer deutlicher. Gäbe es nicht die koreanischen Journalisten und insgesamt 18.500 Volunteers, die von Bussen an den 13 Veranstaltungsorten scharenweise ausgespuckt werden und unglaublich freundlich sowie hilfsbereit sind: Man könnte glatt den Eindruck gewinnen, die Region wäre völlig verwaist. „Ist sie jetzt ja auch, weil die ganzen Touristen fehlen“, sagt Kwang-Woo. Der 24-Jährige jobbt im Alpensia Resort, ein gigantischer Hotelkomplex und das Kernstück des oberen Olympia-Standortes, zur Aushilfe in einem Imbiss. Normalerweise ist er Skilehrer in Pyeongchang, auch wenn das Skigebiet für einen strammen Tagesskipass-Preis von rund 80 Euro nur sechs kurze Pisten bietet, die selbst das Sauerland übertrifft. Im Alpensia Resort wirkt alles künstlich, denn die Häuserfassaden sind – der Name verrät es – denen aus dem Alpenraum nachempfunden. In der Wiege des Wintersports in Europa werden reihenweise Olympia-Bewerbungen von der Bevölkerung abgelehnt, und in Südkorea machen sie auf Jagertee-Romantik.
Dennoch: Die Spiele von Pyeongchang sollen besonders nachhaltig sein, so hat es das Organisationskomitee versprochen. Sein Gesamtbudget von gut zehn Milliarden Euro ist verhältnismäßig gering angesetzt, das fünfeckige Stadion, in dem am Freitag 35.000 Zuschauer den Einmarsch der Nationen verfolgenden werden, kann hinterher wieder abgebaut werden. Aber: Eine ökologische Reinwaschung sind auch diese Spiele nicht. Es gab grobe Eingriffe in die Natur, einige Bewohner mussten gegen eine läppische Abfindung ihre Heimat aufgeben. Dieser Anklage macht sich inzwischen jeder Olympia-Gastgeber schuldig.
Am Alpensia Resort macht sich besonders bemerkbar, dass bei aller lobenswerter Wirtschaftlichkeit die Stimmung zu leiden hat. Nicht einmal Souvenirs gibt es zu kaufen. Einzig ein älterer Herr steht am Straßenrand und verkauft Anstecknadeln, auf denen die Maskottchen Soohorang und Bandabi zu sehen sind.
Olympia ist in Pyeongchang angekommen, die Stimmung aber noch nicht. Hoffentlich lohnt es sich, auf sie zu warten.