Rio de Janeiro. . Yusra Mardini rettete sich aus Syrien nach Berlin. In Rio ist sie Hoffnungsträgerin. Sportlich ist die 18-Jährige zwar chancenlos. Doch ihre Geschichte macht Mut.

Samba heißt der große Saal des olympischen Medienzentrums in Rio de Janeiro. Hier erzählen die Superstars der Sommerspiele, wie sie ab Freitag in der brasilianischen Metropole auf Goldjagd gehen. Aber auch wenn Usain Bolt, der schnellste Mann der Welt, in den nächsten Tagen hier Hof hält, kann es nicht voller werden als bei der Pressekonferenz des Flüchtlings-Teams, das hier in Rio erstmals unter der olympischen Flagge an den Start gehen wird.

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Das Mitwirken der zehn Flüchtlinge aus dem Südsudan, aus dem Kongo und Syrien ist ein Symbol des Friedens in einer Welt voll mit Kriegen und Elend. Einige meinen, das Internationale Olympische Komitee (IOC) habe die Idee dieses Teams nur ins Leben gerufen, um von den aktuellen Problemen um Doping und Korruption abzulenken. Aber die Hundertschaften von Journalisten aus der ganzen Welt, die Zeugen dieses Auftritts einer einzigartigen Gemeinschaft waren, sahen keine Marionetten des IOC-Präsidenten Thomas Bach. Sie erlebten zehn Sportler, die in Rio nicht auf dem Podium stehen werden, jedoch mit ihren Auftritten weitaus mehr erreichen können als alle Olympiasieger.

Stellvertretend für 60 Millionen

„Alle Menschen sollen ihre Träume leben“, sagt Yusra Mardini in nahezu perfektem Englisch. „Manche Flüchtlinge haben sie durch ihre große Not schon fast vergessen. Wir wollen ihnen Mut machen, ihre Träume eines Tages zu realisieren. Wir starten hier stellvertretend für 60 Millionen Flüchtlinge auf der Welt.“ Die 18-jährige Syrerin ist das Gesicht des Flüchtlings-Teams.

In Rio wird sie über 100 Meter Schmetterling und 100 Meter Freistil auf den Startblock steigen. Sie wird im Vorlauf ausscheiden, aber darum geht es nicht. Hier geht es um Zeichen, ums Mutmachen für die Schwächsten. Yusra Mardini, die in Berlin lebt und trainiert, hat Schreckliches erlebt. Gemeinsam mit 20 Flüchtlingen aus Somalia und Syrien hockte sie vor einem Jahr auf einem kleinen Boot. Schlepper hatten ihnen viel Geld für die Überfahrt nach Griechenland abgenommen. Als der Motor ausfiel, schwappten Wellen ins Boot. Verzweifelt warfen die Menschen Gepäck ab. Ohne Erfolg, das Boot begann zu sinken. Gemeinsam mit ihrer Schwester Sarah, ebenfalls Wettkampfschwimmerin, sprang Yusra Mardini in die Fluten. Sie nahmen das Boot ins Schlepptau, paddelten der Insel Lesbos entgegen und retteten sich und den anderen das Leben.

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Yusra Mardini erzählt aber nicht gern von ihrer Heldentat, sie blickt nach vorn und will anderen Auftrieb geben. Ihr Spandauer Trainer Sven Spannekrebs, der in der schwarzen Trainingsbekleidung des olympischen Flüchtlings-Teams Fragen beantwortet, hat schon in Berlin mehrere hundert Interviewanfragen abgelehnt. Selbst zwei Hollywood-Produzenten interessieren sich für die Lebensgeschichte seines Schützlings.

Traum von der Rückkehr

Yusra Mardini hat erst einmal ganz andere Dinge im Kopf. Sie lebt in Rio ihren sportlichen Traum. Ihren anderen Traum verrät sie auch: „Ich will bald wieder zurück nach Damaskus.“ Ihr syrischer Teamkollege Rami Anis, ebenfalls ein Schwimmer, spricht von seinen zwei besonderen Wünschen. „2009 bei der WM in Rom wollte Michael Phelps kein Selfie mit mir machen. Hoffentlich holt er das hier nach”, erzählt er und fügt mit strahlenden Augen hinzu: „Es wäre schön, wenn es in vier Jahren bei den Olympischen Spielen in Tokio kein Flüchtlings-Team mehr geben müsste.“