Als eine Million Menschen den Rallye-Tross in Buenos Aires mit offenen Armen empfingen, wurde in der Volkswagen-Zentrale in Wolfsburg hinter verschlossenen Türen über die Zukunft von Motorsportchef Kris Nissen entschieden. Gegen den Dänen wurde ausgerechnet wenige Stunden vor dem Start der Rallye Dakar in Argentinien und Chile eine interne Ermittlung wegen schwerwiegender Vorwürfe der sexuellen Nötigung eingeleitet.
Das sagte ein ranghoher VW-Mann dem SID und bestätigte damit einen Bericht des Nachrichtenmagazins Focus. Die VW-Motorsport-Abteilung wittert wegen des Zeitpunkts der Enthüllungen eine Kampagne. Ob Nissen allerdings bis zum Ende der Dakar-Rallye am 15. Januar Motorsport-Direktor bleibt, ist angesichts der Erfahrungen des Wolfsburger Automobilherstellers mit derart pikanten Themen mehr als fraglich.
Nissen hat inzwischen einen Anwalt eingeschaltet und wird bis auf Weiteres keine öffentliche Stellungnahme abgeben. VW-Konzernsprecher Stephan Grühsem war am Sonntag nicht zu erreichen. Nach SID-Informationen hat sich jetzt auch der mächtige VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech in die internen Untersuchungen eingeschaltet.
"Kris Nissen wird erstmal hier bleiben"
Laut Stefan Moser, Leiter Marketing und Kommunikation, sei es "Stand heute", dass Volkswagen die Dakar mit Nissen zu Ende fährt. "Kris Nissen wird erstmal hier bleiben", sagte Moser dem SID: "Danach wird die Angelegenheit zu Hause geklärt."
Moser schränkte aber zugleich ein: "Sollten noch schlimmere Vorwürfe auftauchen, müsste man die Situation neu überdenken." Soll heißen: In diesem Fall würde Nissen abberufen und nach Hause geschickt. In der VW-Zentrale ist Eile geboten. Es wird deshalb noch bis Montag mit einer Entscheidung gerechnet, also bevor die Dakar so richtig ins Rollen kommt. Spekulationen zufolge könnte Nissen bis zur endgültigen Klärung des Falles sein Amt ruhen lassen.
Laut Focus geht es um Vorfälle nach dem Formel-3-Saisonfinale im November in Macau. Dort soll Nissen in der Hotelbar einen weiblichen Gast beleidigt und an die Brust gefasst haben. Außerdem sei der frühere DTM-Pilot noch gegen einen Audi-Mitarbeiter handgreiflich geworden, weil der sich geweigert habe, ihm ein Bier zu zahlen.
Auch die schwedische Rallye-Co-Pilotin Tina Thörner wandte sich jetzt an den VW-Konzern-Vorstand. Als sie noch bei VW unter Vertrag war, habe Nissen sie aufgefordert, ihm zwischen die Beine zu fassen, "um zu spüren, was ein echter Kerl dazwischen hat". Thörner sagte Focus: "Für kein Geld der Welt hätte ich weiter mit Nissen gearbeitet, so wie er mich behandelte."
Auch Kleinschmidt meldet sich zu Wort
Auch Deutschlands bekannteste Rallye-Fahrerin Jutta Kleinschmidt lässt kein gutes Haar an Nissen: "Nissen führte ein Regiment der Angst. Ich habe mehrmals beobachtet, wie er sich völlig unangemessen Mitarbeitern und vor allem Frauen gegenüber verhalten hat." Auch habe er sich bei den Verhandlungen zu ihrer Vertragsverlängerung unerfreulich verhalten.
VW-Motorsportchef Nissen wollte im Focus keine Stellung zu den schweren Vorwürfen nehmen. Der Konzern bestätigte allerdings interne Ermittlungen, wollte sich zu Details jedoch nicht äußern.