Spielberg. Die Liebe zu Ferrari ist dahin, aus der Traumehe wird eine Zweckbeziehung. Sebastian Vettel spricht über einen Wechsel.

Nicht mal an den Augen sind Enttäuschung oder Entrüstung abzulesen. Nur leicht bewegt sich der ferrarirote Gesichtsschutz, als Sebastian Vettel vor dem Auftakt der neuen Formel-1-Saison mit seinem Noch-Arbeitgeber abrechnet. Er erzählt vor dem Großen Preis von Österreich in Spielberg (Sonntag, 15.10 Uhr/RTL und Sky) sachlich, wie sehr ihn der Anruf von Teamchef Mattia Binotto schockiert habe, den zum Jahresende auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen: „Wir sind nie in Verhandlungen eingetreten, es lag kein Angebot auf dem Tisch.“

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Der viermalige Weltmeister und letzte Deutsche im Fahrerfeld fühlt sich ausgemustert, abgeschoben, respektlos behandelt. Trotzdem muss der Heppenheimer noch eine ganze Saison mit der Scuderia verbringen. Kann einer noch dem anderen trauen?

Vor Vettel liegt kein leichtes Jahr bei Ferrari

Der verstoßene Vettel hat seinem Ärger Luft gemacht, und er wollte unbedingt richtigstellen, dass am kommunizierten gemeinsamen Einvernehmen wenig dran ist. Und damit den Seelenfrieden finden, den er für sein Tun so dringend braucht. Man hat sich offenbar so weit voneinander entfernt, dass es nicht mal mehr zu einem Gespräch an einem Tisch reichte, vielleicht auch, weil in dem 25 Jahre alten Spanier Carlos Sainz junior der Nachfolger schon längst verpflichtet war.

Es wird wieder kein leichtes Jahr, ganz generell. Denn Ferrari fährt schon wieder hinterher. Die Techniker haben sich bei den Testfahrten im Februar verzockt, nun muss eine neue Aerodynamik her, die aber erst beim dritten Rennen in zwei Wochen in Ungarn fertig ist. Wieder verstehen, was schief lief, wieder alles neu lernen, wieder erst Erfahrungen sammeln. Binotto, auch der oberste Ingenieur im Team, gesteht: „Wir wissen, dass wir momentan nicht das schnellste Paket haben.“ Prognosen abzugeben hält er derzeit für sinnlos.

Kein Titel in fünf Jahren

Diese technischen Sackgassen kennt Vettel, sie sind ein Grund dafür, dass es mit dem ersehnten Titel in Rot fünf Jahre lang nicht geklappt hat. „Wir waren als Team nie so stark wie Mercedes, konnten immer nur eine halbe Saison mithalten“, bilanziert Vettel in Spielberg mit einer gewissen Bitterkeit, „wir haben die Dinge einfach nie zusammenbekommen“. Keine Abrechnung, nur eine Analyse einer verkorksten Traumehe, die lediglich noch eine fragile Zweckbeziehung ist.

Im Training in Spielberg fuhr Vettel im Ferrari erneut hinterher.
Im Training in Spielberg fuhr Vettel im Ferrari erneut hinterher. © AFP | LEONHARD FOEGER

Eine letzte Chance in dieser Corona-Saison bietet sich Vettel, vielleicht ist es sogar eine große Chance. Zu verlieren hat er nichts mehr, eher den bislang 14 Siegen mit Ferrari noch welche hinzuzufügen. Denn von nun an fährt er zwar im Ferrari-Rennanzug, aber ausschließlich für sich selbst. Bevor er im Einzelinterview auspackte, saß er mit etwas größerem Abstand neben seinem Teamkollegen Charles Leclerc (22) auf einem Hocker. Der Monegasse ist die neue Numero uno, nominell erst für 2021, in Wirklichkeit schon seit vergangenem Herbst, als er häufig bessere Leistungen als Vettel zeigte.

Leclerc erzählte professionell gerührt von allem, was er vermissen werde, wenn Vettel weg ist; dessen Tempo, die Erfahrung. Auch den Respekt, zumindest den außerhalb der Rennstrecke. Auf der Piste hatten die beiden gegenseitig Stallorder ignoriert, eine „Inteamfeindschaft“ gelebt. Die Zwickmühle ist für Rennstallchef Binotto durch das Abservieren Vettels noch enger geworden, denn ihn ganz kaltzustellen kann sich Ferrari nicht leisten. Sein Wissen, seine Punkte sind wichtig für das Gemeinwohl.

Zu jung, um zu scheitern

Vettel sagt, dass er immer versucht habe, sich zu integrieren. Wenn es Sinn ergebe, werde er die Regieanweisungen befolgen. Das ist eher eine wachsweiche Beruhigung, denn er sagt auch: „Ich werde Charles das Leben nicht leichter machen, indem ich ihn einfach vorbeiwinke.“ Vettel ist am ersten Trainingstag in Spielberg – an dem er deutlich hinter den Mercedes-Piloten blieb – 33 Jahre alt geworden. Bestes Rennfahreralter, zu jung, um zu scheitern. Dass es den Champions Alain Prost und Fernando Alonso im Intrigantenstadel Maranello ähnlich erging, ist kein Trost.

Jedes Rennen wird jetzt zum Bewerbungsschreiben, aber die Alternativen des Hessen liegen – Rücktritt oder Sabbatical beiseite gelassen – wohl nur bei Mercedes. Das könnte im Silberpfeil-Werksteam neben oder statt Lewis Hamilton sein, oder im künftigen Aston-Martin-Rennstall. Auch Vettels Vorbild Michael Schumacher hat den Farbenwechsel am Karriereende vorgenommen. Bei RTL platzierte Vettel eine Offerte zum Gespräch: „Mercedes wäre eine Option, aber ich kenne deren Pläne nicht.“