Monza. Zum zweiten Mal in Folge hat Charles Leclerc einen Formel-1-Grand-Prix gewonnen. Beim Ferrari-Heimrennen ruinierte Sebastian Vettel sein Rennen.
Zu zweiten Mal innerhalb von einer Woche gilt in der Formel 1: Alles auf Rot! Mit einer ebenso starken wie rücksichtslosen Darbietung sichert sich der Monegasse den Triumph auch beim Großen Preis von Italien, es ist der erste Ferrari-Sieg im Autodromo Nazionale seit 2010. Die neue Nummer Eins bei der Scuderia siegt vor dem Mercedes-Doppelpack mit Valtteri Bottas und Lewis Hamilton, der sich die schnellste Runde sichert. Sebastian Vettel belegt nach einem schweren Fahrfehler und einer Zeitstrafe den indiskutablen 13. Platz.
Leclerc zieht in der WM-Gesamtwertung an Vettel vorbei
„Mamma mia, mamma mia" stöhnt der Sieger ins Helmmikrofon, der in der WM-Gesamtwertung mit 182 Punkten jetzt an Vettel (169) vorbei ist und nur noch drei Zähler hinter Max Verstappen auf Rang vier liegt. Vorn bleibt weiterhin souverän Hamilton (284) vor Bottas (221). „So müde hat mich noch nie ein Rennen gemacht", sagt Leclerc nach seiner erfolgreichen Verteidigungsschlacht, dann verfällt er zur Freude der 90000 Zuschauer in eine italienische Liebeserklärung. Er spürt, was dieser Erfolg auch intern bedeutet. Sebastian Vettel, der maßlos enttäuscht sein muss, spricht von einer „kleinen Unachtsamkeit", danach habe er „das Auto verloren" und es sei klar gewesen, dass das „Rennen gelaufen" ist. Die Bilanz ist wortgleich die vom letzten Wochenende, als er Vierter wurde: „Ein guter Tag fürs Team, kein guter Tag für mich."
Nach der Windschatten-Farce, mit der Charles Leclerc sich die Pole-Position beim Ferrari-Heimspiel sichern konnte, absolviert der Monegasse auch den Start zum 14. WM-Lauf mit absoluter Coolness. Der Mann in Rot kommt am besten weg, dahinter rangeln die Mercedes-Verfolger Lewis Hamilton und Valtteri Bottas kurz, und schon ist der Spitzenreiter um eine Sekunde enteilt. Für Sebastian Vettel beginnt das Rennen schon nicht gut, er muss sich trotz PS-Übermacht im deutsch-deutschen Duell dem Renault von Nico Hülkenberg geschlagen geben, aber nur kurz. Bis zur siebten Runde ist er schon deutlich hinter dem Führungstrio zurückgefallen. Er kommt mit dem SF 90 und dessen instabilen Heck einfach nicht klar.
Was sich in der siebten Runde mehr als deutlich zeigt. Unbedrängt dreht sich der Heppenheimer in der Ascari-Kurve. Das kann passieren, auch einem Champion, gleichwohl es dem unter Druck stehenden vierfachen Weltmeister in diesem Jahr viel zu oft passiert. Dass er dann jedoch im Scheitelpunkt der Kurve ohne Rücksichtnahme auf den heranrasenden Verkehr einfach wieder auf die Piste einbiegt, und damit nicht nur sein Leben, sondern auch das des Kanadiers Lance Stroll riskiert, das hätte er vermeiden können und müssen. Stroll dreht sich, und gefährdet beim Einfädeln ebenfalls einen Gegner. An Vettels Auto hängt der Frontflügel herunter, er muss zum vorgezogenen Boxenstopp. Und gleich danach noch einmal, um eine Zehn-Sekunden-Strafe abzusitzen. So ruiniert er sich nicht nur das Rennen, sondern auch seine Position bei Ferrari. Denn nun ist Leclerc vorn allein auf sich gegen die beiden Silberpfeile gestellt. Der Taktikpoker kann beginnen, der Führende wird auf „Plan B" gesetzt.
Epischer Zweikampf bei Spitzentempo 360
Die Mercedes-Strategen holen Lewis Hamilton in Runde 20 als ersten rein, danach kommt Leclerc, der über ruinierte Hinterreifen geklagt hat. Er kommt knapp vor dem Briten auf die Strecke zurück, aber der Champion legt ihn sich zurecht. „Mach ihm Druck, das spielt uns in die Hände", ruft ihm sein Renningenieur zu. Zwischen die beiden gerät Nico Hülkenberg, auf der letzten Rille ziehen die Kontrahenten vorbei. Generationen-Duell, nächste Auflage. Vor der zweiten Schikane ist Hamilton außen gleichauf, Leclerc drängt den Mercedes immer weiter auf den dort nur schmalen Grasstreifen. Um nicht zu crashen, muss der Brite durch das Grün des Königlichen Parks rodeln. Er protestiert heftig, aber die Rennkommissare zeigen nur die schwarz-weiße-Flagge: letzte Warnung. Schlecht für Hamilton, gut für Valtteri Bottas. Der Finne, der noch nicht beim Boxenstopp war, baut an der Spitze seinen Vorsprung aus. Ein munteres Rennen, wo die Highspeed-Hatz sonst oft langweilig war.
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Bottas hat seine Chance verwirkt, er kommt kurz nach Rennhalbzeit nur als Vierter wieder raus. Jetzt muss Hamilton mit den etwas weicheren Reifen Leclerc auf den harten Pneus hetzen. Die Rivalen der Rennbahn bleiben innerhalb von einer Sekunde, vom silbernen Kommandostand kommt die Order: „Mach einfach weiter so..." Der mentale Kraftakt beginnt. Zunächst gilt nach zwei virtuellen Safety-Car-Phasen ein Nichtangriffspakt, Vettel haben beide inzwischen überrundet. Lauern auf Dauer, bei einem Abstand von lediglich einer halben Sekunde. „Ich brauch' mehr Power", fleht Hamilton, wissend, dass die Ingenieure bei Mercedes mehr PS freigeben könn(t)en. Leclerc wehrt sich im Kamikaze-Stil, als Hamilton dicht dran ist. In der ersten Schikane kürzt der Ferrari-Pilot ab, eigentlich ein klarer Regelverstoß – die Rennleitung sieht das aber trotz der vorherigen Verwarnung anders. Der 21-Jährige hat offenbar richtig gezockt. So geht das Katz- und Maus-Spiel weiter, Hamilton soll Leclerc in weitere Fehler treiben.
Ein epischer Zweikampf bei Spitzentempo 360. Elf Runden vor Schluss wird auch Hamilton die Schikane zum Verhängnis, er muss richtig Slalom fahren. Damit übernimmt Kollege Bottas die Verfolgungsjagd. Zehn Runden, den großen Triumph in Rot zu verhindern... Der Finne tastet sich heran, er könnte zum bestgehassten Mann in Italien werden. Er knabbert den Vorsprung ab, sieben Runden vor Schluss bis auf eine Sekunde. „Los jetzt, Valtteri, dass ist Dein Sieg", suggeriert der Boxenfunk.
Lange sieht es nicht danach aus, aber zwei Runden vor Schluss bauen die Reifen am Ferrari ab, doch Bottas verbremst sich beim entscheidenden Angriff. Mercedes-Sportchef Toto Wolff erleidet körperliche Schmerzen, denn es wird erneut der große Tag von Charles Leclerc.