Witten. .

„Schon als Kind habe ich immer davon geträumt, fliegen zu können“, erzählt Gerhard Währisch. Diesen Traum hat sich der 52-Jährige erfüllt - und das gleich tausendfach: Vor 32 Jahren ist der Wittener erstmals mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen - „und ich kann mir einfach nicht vorstellen, mal damit aufzuhören.“ Zu groß ist die Faszination vom freien Fall, vom Sprung aus mehreren tausend Meter Höhe ins Nichts.

„Ich weiß, dass viele Menschen da draußen glauben, wir haben ‘ne Macke“, sagt der zweite Vorsitzende der Sportfachgruppe Fallschirm im Deutschen Aero-Club (DAeC). Es ist ja auch beileibe nicht jedermanns Wunschvorstellung, sich an einem zarten Fallschirm hängend gen Erde zu stürzen. „Aber für mich ist das heute schon so alltäglich wie Busfahren. Wichtig ist in unserem Sport allerdings absolute Disziplin: Ein großer Fehler beim Fallschirmspringen kann das Leben kosten - ein kleiner bringt zumindest größere Schmerzen mit sich“, berichtet Währisch, der weiß wovon er spricht. „Okay, ich hatte mal nach unglücklichen Stürzen das Sprunggelenk gebrochen und einmal die Schulter draußen - aber da war ich früher beim Judo häufiger verletzt“, flachst der gelernte Informatiker, der selbstständig als Unternehmens-Berater arbeitet und ehemals bei der Sport-Union Annen auf der Judomatte stand.

Wie Währisch zum Fallschirmspringen gekommen ist? „Das war damals bei der Bundeswehr - 1978, ich war stationiert in Lippstadt und Iserlohn. Fallschirmspringen wollte ich ja immer mal, und dort hatte ich dazu die Gelegenheit.“ Vier Wochen Drill am Boden - dann ging es endlich erstmals ‘raus aus dem Flieger. „Mein Premierensprung war gar nicht so schlimm. Hart vom Kopf her war der zweite Sprung - schließlich wusste ich ja da, was auf mich zukommt. Der ganze Körper sträubt sich dagegen - aber dann hab’ ich es doch wieder getan.“ Und das beileibe nicht zum letzten Mal: Gerhard Währisch hat - wie wohl jeder Springer - mitgezählt, bringt es aktuell auf 3722 Sprünge. Eine unglaubliche Zahl. „Und nächstes Jahr mache ich die 4000 voll.“

In seinem Club, dem „Verein für Fallschirmsport Marl“, fungiert der Wittener als Ausbilder, Prüfer, Tandem-Master und Kameramann. „Wir haben 240 Mitglieder, in jedem Jahr bilden wir zwischen 60 und 80 Leute aus. Im Sommer bin ich praktisch an jedem Wochenende unterwegs“, so Währisch. „Ich bin schon ewig Ausbilder, möchte mein Wissen über unseren Sport einfach weitergeben. Und ich reise unheimlich gerne - durch die Springerei habe ich dazu oft die Gelegenheit.“ Bis auf Australien hat der 52-Jährige Vater einer Tochter jeden Kontinent mit seinem Fallschirm bereist - „und dadurch habe ich Freunde auf der ganzen Welt, das ist ein weiterer Grund, warum es mir so große Freude bereitet.“ Begeistert war Gerhard Währisch vor allem von Borneo („einfach ein Traum, auch die Menschen waren ungeheuer freundlich“), von Thailand - kaum ein anderer hat einen so guten Blick auf diese Traumziele wie er. Von hoch oben.

„Für mich“, sagt Währisch, „ist das aber immer noch ein Hobby - auch wenn ich sehr viel Zeit dafür opfere.“ Würde er den Fallschirmsport auch wettkampfmäßig betreiben, wäre seine Freizeit noch knapper. „Wer auf europäischer Ebene mithalten möchte, muss 500 bis 1000 Sprünge pro Jahr machen.“ Währisch belässt es derweil bei bis zu 300 - „da sind viele Kamerasprünge dabei, ich filme die Leute bei ihrem Sprung. In der Regel macht man sowas ja genau einmal im Leben“, sagt der erfahrene Ausbilder, der sich selbst als „Adrenalin-Junkie“ bezeichnet. „Es muss ja nicht jedem gefallen - aber ich kann mich nur an zwei Leute erinnern, die nach ihrem Sprung zu mir kamen und meinten: Das ist nix für mich.“

Tandem-Springen, quasi die Kombination von Lehrer und Schüler, die gemeinsam an einem Fallschirm hängen und bäuchlings gen Erde sinken, ist für die Vereine ein wichtiger Bestandteil, um den Etat zu decken. 185 Euro kostet ein solcher Sprung - wer sich dabei filmen und fotografieren lässt (Gerhard Währisch verfügt über entsprechendes Hightech-Equipment), zahlt noch einmal 85 Euro drauf. Geld, das viele gerne investieren. „Viele bedanken sich noch Jahre später für dieses Video bei mir“, sagt der Wittener, für den vor allem die Vereinsarbeit mit jungen Leuten ein wichtiger Motivationsfaktor ist. „Ich möchte einfach dafür sorgen, dass gute Leute in unseren Sport kommen.“ Leichtfertigkeit hat dabei keine Chance. „Bei uns geht es zuallererst um Disziplin - alles verläuft nach einem genauen Plan. Ich bin ja sonst für jeden Spaß zu haben - aber wenn es ans Springen geht, bin ich hochkonzentriert. Und das erwarte ich dann auch von meinen Schülern.“

Wer mit gut 200 km/h durch die Lüfte fliegt, der kann sich keinen Lapsus erlauben. „Wenn man sich an die Regeln hält, dann ist das Fallschirmspringen wirklich so gefährlich wie Minigolf“, sagt Währisch. 3722 erfolgreiche Sprünge untermauern diese These.